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Biel

«Sie hätten viel mehr verdient»

Das Berner Obergericht hätte das Strafmass gegen den «falschen Zahnarzt» von Biel gerne verschärft – konnte aber nicht. Der Angeklagte habe deshalb «Schwein gehabt», sagte der vorsitzende Richter. Das Obergericht bestätigte die erstinstanzlich verhängten 54 Monate Haftstrafe.

Der Zahntechniker wurde gestern nicht geschont. Oberrichter Samuel Schmid sagte, der Beschuldigte habe vor allem eine Passion fürs eigene Portemonnaie gehabt. Keystone

Lino Schaeren

Der Zahntechniker, der sich in Biel über viele Jahre hinweg als Zahnarzt ausgegeben und illegal Patienten behandelt hat, ist auch vor Obergericht wegen mehrfacher schwerer Körperverletzung, mehrfacher einfacher Körperverletzung, Betrug, Urkundenfälschung und weiteren Delikten verurteilt worden. Die Oberinstanz bestätigte nicht nur die vor einem Jahr durch das Regionalgericht Berner Jura-Seeland festgestellten Straftatbestände, sondern auch das verhängte Strafmass von 54 Monaten.

Obwohl: Das Obergericht hätte den Zahntechniker gerne länger ins Gefängnis geschickt. Aber es war an diese 54 Monate gebunden, weil nur der Angeklagte Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil erklärt hatte, die Staatsanwaltschaft verzichtete auf eine sogenannte Anschlussberufung, da sie mit ihrem Antrag auf 44 Monate Haftstrafe vor dem Regionalgericht bereits unter dem verhängten Strafmass blieb. Das Obergericht hätte also die Möglichkeit gehabt, die Strafe zu mildern, nicht aber, diese zu verschärfen. Oder wie es der vorsitzende Oberrichter Samuel Schmid in der Urteilsbegründung ausdrückte: «Wir können nicht über diese 54 Monate, selbst wenn wir wollten. Und das wollten wir sehr.»

Schmid sagte, die erste Instanz sei mit dem ausgesprochenen Strafmass «sehr gnädig» gewesen, der Angeklagte habe «Schwein gehabt», sagte er an diesen gerichtet, «Sie hätten viel mehr verdient». Das Obergericht hätte also eine deutlich härtere Strafe ausgesprochen, hätte es nur gekonnt. Schmid rechnete gestern vor, dass die Oberinstanz schon nur für die vierfach begangene schwere Körperverletzung bei einer Strafe von 77 Monaten gelandet sei, die restlichen Schuldsprüche sind hier noch gar nicht aspiriert.

 

«Ein rabenschwarzer Bereich»

Sowieso schonte Oberrichter Schmid den Zahntechniker gestern nicht. Auf die Aussage von Verteidiger Lukas Bürge in seinem Plädoyer vom vergangenen Dienstag, dass sein Mandant in einem Graubereich zwischen Zahntechniker und Zahnarzt gearbeitet habe, entgegnete Schmid, dass der Bereich «rabenschwarz» gewesen sei. Und auch die Angabe, dass der Beschuldigte mit seinen Behandlungen den Patienten doch nur habe helfen wollen, zerlegte das Gericht: «Sie hatten primär eine Passion für das eigene Portemonnaie, nicht für das Wohl anderer Menschen.» Wenn der Zahntechniker nun angebe, er habe es nur gut gemeint, versuche er damit einzig, sein Gewissen zu beruhigen, sagte Schmid. Doch wenn der Angeklagte in sich gehe, dann wisse er sehr genau, was er getan habe.

Der heute 54-jährige Angeklagte hatte von 2006 bis 2015 zahnmedizinische Arbeiten vorgenommen, obwohl er nie eine entsprechende Ausbildung absolviert und abgeschlossen hat. Seine Behandlungen, die er in seiner Praxis in Biel vornahm, hatten für die Patienten teils gravierende Folgen. Eine Geschädigte gab vor einem Jahr am Regionalgericht unter Tränen an, dass über 50 Nachbehandlungen nötig gewesen seien. Der Beschuldigte hatte etwa Zähne gezogen, Zähne unsachgemäss abgeschliffen oder Brücken fehlerhaft eingesetzt. Davon sah er auch nicht ab, als eine Strafuntersuchung gegen ihn eingeleitet, seine Praxis mehrfach versiegelt und er einen Monat in Untersuchungshaft verbracht hatte. Vor Gericht gab er an, die meisten ihm zur Last gelegten Arbeiten im Mund von Patienten gar nicht selber durchgeführt zu haben, er habe nur den bei ihm eingestellten Zahnärzten assistiert. Zudem hätten seine Patienten gewusst, dass er nicht Zahnarzt sei.

 

Er bleibt in Sicherheitshaft

Der Darstellung, dass sich die Geschädigten wissentlich von einem Zahntechniker haben zahnmedizinisch behandeln lassen, tat Oberrichter Schmid als Lüge ab. Der Beschuldigte habe Scharade gespielt. «Kleider machen Leute, ein anständiger Zahnarztstuhl macht eine Praxis und eine anständige Praxis macht in ihrem Fall einen Zahnarzt», sagte Schmid zum Angeklagten. Dieser hielt den Blick während der ganzen Urteilsbegründung auf den Boden gesenkt.

Das Obergericht bestätigte gestern auch das fünfjährige Berufsverbot des Regionalgerichts als Zahntechniker und Dentalassistent sowie die Sicherheitshaft. Schmid begründete dies damit, dass die Wiederholungsgefahr wegen der Uneinsichtigkeit des Beschuldigten nach wie vor gross und dieser als Zahntechniker deshalb eine «Gefahr für die Allgemeinheit» sei.

Der Oberrichter legte dem Zahntechniker nahe, im Gefängnis in sich zu gehen, «Sie haben ja Zeit». Schmid sagte, dass der Angeklagte durchaus über Fähigkeiten verfüge, wie aus den Akten hervorgehe. Er habe diese aber bislang falsch eingesetzt. «Starten Sie neu. Dann werden Sie einen gefreuten Lebensabend verbringen», sagte der Vorsitzende des Gerichts, bevor er die Verhandlung schloss. Der Zahntechniker kann das Urteil des Obergerichts nach Eintreffen der schriftlichen Urteilsbegründung ans Bundesgericht weiterziehen.

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