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Kunst

Das Private ist politisch!

Das Photoforum Pasquart zeigt unter dem Titel «Disruptive Perspectives» Arbeiten von acht Fotoschaffenden, die sich mit Sexualität, Beziehungen und Identität befassen. Formal klassisch dokumentarisch zeigen die Fotografien, dass das Private nach wie vor politisch ist.

Alexandre Haefeli: Aus der Serie «The company of Men». Bild: zvg/Alexandre Haefeli

Alice Henkes


In den prüden, alten Hollywood-Filmen wurde stets dezent abgeblendet, wenn die Lippen der Liebenden einander fanden. Alles, was danach kam, war so unzeigbar wie unaussprechlich. Auch wenn Sexualität in westlichen Gesellschaften heute längst nicht mehr von strikten Schweigegeboten umzingelt ist, so hat sich doch in vielen Köpfen die Vorstellung gehalten, dass Liebe und Erotik Privatsache seien. Eine Privatsache allerdings, die durchaus von öffentlichem Interesse ist.


Aktueller Diskurs
Wie man über Liebe spricht, über die sexuellen Orientierungen und Vorlieben anderer denkt und urteilt, das ist eng mit den jeweiligen Moralvorstellungen und dem Menschen- und Weltbild verbunden. Und da wird es schnell politisch. Welche Sprengkraft auch in Westeuropa in den Auseinandersetzungen mit der Frage liegt, wer wen lieben darf, das zeigten jüngst erst die heftigen Kontroversen um die gleichgeschlechtliche Ehe in Frankreich.
Das Photoforum Pasquart bezieht mit der aktuellen Ausstellung Position in dem gerade wieder hochaktuellen Diskurs um sexuelle Identität als politisch relevante Privatsache. Die Ausstellung «Disruptive Perspectives» zeigt Arbeiten von acht Fotoschaffenden, die sich mit sexueller Identität beschäftigen. Vor allem mit jenen Formen von sexueller Identität, die in vielen Ländern und Regionen nach wie vor als seltsame Normabweichung oder sogar als strafwürdiges Laster angesehen werden.
Formal gesehen ist es eine überraschende Ausstellung. Setzt Photoforum-Direktorin Nadine Wietlisbach normalerweise auf experimentelle Formen von Fotografie und Präsentation, so zeigt sie mit «Disruptive Perspectives» nun erstmals eine Auswahl an Arbeiten, die eher der klassischen Reportagefotografie zuzuordnen sind.
Dabei überwiegen Porträtbilder, Aufnahmen, die die Normalität des Anderen zeigen und eine Verbindung ermöglichen zwischen Schauenden und Dargestellten. Und die damit das leisten, was gelungene Reportagefotografie zu leisten imstande ist: die Grenzen des je eigenen Blickfeldes zu erweitern. Welt zu vermitteln, ohne dass man als Betrachter oder Betrachterin dafür auch nur das Zimmer verlassen müsste.
Die reportagehaften Fotostreifzüge durch die Welt von Liebe, Lust und Partnerschaft haben zuweilen durchaus eine humorvolle Note. Da gibt es etwa eine Serie von Schwarz-Weiss-Aufnahmen, die Barbara Davatz in den letzten 30 Jahren geschaffen hat. Die Zürcher Fotografin begleitete Freunde und Verwandte, fotografierte sie in festgelegten Zeitabständen (jeweils 1982, 1988, 1997 und 2014) mit ihren teils wechselnden, teils gleichbleibenden Partnern oder Partnerinnen und Kindern.
Die Fotografien dokumentieren sowohl die persönliche Entwicklung der einzelnen Personen, als auch die verschiedenen Konstellationen von Partnerschaft, Single-Leben, Familie, die in verschiedenen Lebensabschnitten relevant für sie waren. Es gibt Bildreihen, die im linearen Verlauf das gemeinsame Altern zweier Menschen zeigen und solche, bei denen sich das Beziehungsleben immer weiter auffächert. Die Aufnahmen wirken wie Familiengeschichten im Schnelldurchlauf und regen an, die Veränderungen im eigenen Umfeld zu reflektieren.


Ist Erotik weiblich?
Familie ist eine Sache. Längst hat man sich daran gewöhnt, dass Ehen nicht mehr ein ganzes Leben lang halten (in der Schweiz ist es nur etwa die Hälfte aller Ehen) und dass aus Kernfamilien Patchworkfamilien werden. Andere Vorstellungen halten sich weit hartnäckiger. Zumal wenn es um Erotik geht. Erotik ist in öffentlichen, nicht-pornografischen Darstellungen im Allgemeinen weiblich konnotiert. Junge, schlanke, weibliche Körper gelten als Sinnbild für das Erotische. Alexandre Haefeli beschäftigt die Frage, warum das so ist. Und er sucht nach einer fotografischen Bildsprache, die den männlichen Körper als erotisches Symbol zeigen. Mit der Foto-Serie «The Company of Men» stellt der in Lausanne und Paris lebende Fotograf Bilder aus, die den männlichen Körper als schön und verführerisch preisen, ohne explizit pornografisch zu sein.


Keine Altersfrage
Bilder von grosser Brisanz zeigt Laurence Rasti. Der in Lausanne lebende Fotograf hat homosexuelle Paare aus dem Iran in Doppelporträts abgebildet. Meist so, dass die Fotografierten nicht oder kaum zu erkennen sind. Das Spiel mit Enthüllung und Verhüllung, Tabu und Coming-out hat einen sehr ernsten Hintergrund. Im Iran gibt es offiziell keine Homosexualität. Gleichgeschlechtliche Paare können mit der Todesstrafe belegt werden. Liebe und Partnerschaft berühren hier eindeutig das Feld des Politischen. Rasti gelingt es, in seinen Doppelporträts die Geschichte der Bedrohung, des Schweigens und Sich-Versteckens mitzuerzählen.
Eine Foto-Ausstellung, die Fragen zu Sexualität und Gender zeigt, stösst naturgemäss hie und da an Tabuzonen. Die Porträtserie der US-amerikanischen Fotografin Jess T. Dugan berührt ein Tabu, ohne dass dies sogleich sichtbar würde. Ihre Aufnahmen zeigen ältere Menschen. Nicht irgendwelche Menschen allerdings, sondern Transgender-Menschen. Damit machen diese Aufnahmen deutlich: Sexualität und vor allem auch das Abweichen von der heterosexuellen Norm sind nicht nur ein pikanter Zeitvertreib für junge Menschen mit knackigen Körpern. Sie sind Teil der jeweiligen Persönlichkeit und bleiben dies für das ganze Leben.


Info: Die Ausstellung « Disruptive Perspectives» im Photoforum Pasquart ist bis 19. November zu sehen. www.photoforumpasquart.ch
 

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