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Titelgeschichte

40 Jahre sind noch nicht genug

Hans Stöckli will für vier weitere Jahre in den Ständerat – es wären seine letzten. Der SP-Politiker geht als Favorit ins Rennen um die Berner Vertretung in der kleinen Kammer. Die Kritik an seiner Person ist aber ausgerechnet in seiner Heimat Biel am lautesten.

Der Bieler Hans Stöckli will vier weitere Jahre im Bundeshaus in Bern ein- und ausgehen. Bild: Raphael Schaefer
  • Dossier

Lino Schaeren

Hans Stöckli steht ratlos in der Altstadt von Thun. Es ist der 21. August und in fünf Minuten soll der SP-Ständerat vor Publikum sprechen. Doch wo war das nur schon wieder? In einer alten Bierbrauerei. Google hilft dabei nicht weiter. Durchfragen zum Glück schon. So kommt Stöckli gerade noch auf die Minute pünktlich durch die Tür gerauscht, sehr zum Erstaunen von Moderator und Kabarettist Bänz Friedli: «Wir haben später mit dir gerechnet», ruft er aus, als er seinen Gesprächsgast erblickt.

Es ist ein Vorurteil, mit dem sich der Bieler seit vielen Jahren herumschlägt, in Politkreisen pflegt man zu sagen: Kommst du an eine Sitzung und Stöckli ist schon da, bist du zu spät. Es sind solche Geschichten, die zu dieser Veranstaltung in der schwierig auffindbaren Brauerei passen. Zusammen mit dem Thuner Stadtpräsidenten und SVP-Nationalratskandidaten Raphael Lanz hat Stöckli aus einer Bieridee heraus Friedli für die Leitung eines Podiums verpflichtet, das sie, getreu der Entstehungsgeschichte, «Biergespräch» nennen.

Es folgt ein lockeres, humorvolles Schulterklopfen anstelle des ansonsten so gewohnten Schlagabtauschs zwischen SP- und SVP-Politiker. Dem Publikum gefällt es und Stöckli ist zufrieden: Er konnte sich schlagfertig, launig und bisweilen ironisch im Berner Oberland präsentieren – ein gelöster Auftritt vor grossem Publikum. Als Gegengeschäft wird Lanz eine Woche später in Nidau dieselbe Chance im Seeland erhalten.

240 Kilometer auf dem Velo

In Thun hat Stöckli seine «Tour de Berne» abgeschlossen, mit der er seinen Wahlkampf richtig eingeläutet hatte. Auf dem Elektrovelo hat der SP-Ständerat in zwei Tagen zwölf Etappen absolviert, von Magglingen über Biel und Bern nach Langenthal, von Burgdorf über Münsingen, Interlaken und Spiez bis nach Thun. Der 67-Jährige will es 40 Jahre, nachdem er in den Bieler Stadtrat gewählt wurde, ein letztes Mal wissen in der Politik. Wird Stöckli wiedergewählt, würde er Ende 2023 nach fast 20 Jahren Bundespolitik von der Bühne abtreten, das sagt er klipp und klar: «Das ist mein letzter Wahlkampf.»

Dass Stöckli überhaupt noch einmal antritt, war nicht immer so klar, obschon er sagt, dass er sich so «fit und zwäg» fühle wie beim Eintritt in das Bundeshaus. Im Wahlkampf 2015, erinnert er sich, habe er in einem gemeinsamen Interview mit Werner Luginbühl (BDP) um ein_Haar gesagt, dass er nun zu seiner letzten Legislatur antrete. «Zum Glück nur fast», sagt Stöckli heute lachend.

Luginbühl hat dann während der laufenden Legislatur doch noch seinen Abgang angekündigt, Stöckli nicht. Dass er weitermachen will, habe er im vergangenen Herbst gemerkt, als er von seiner Partei gegen die Selbstbestimmungsinitiative der SVP an die Front und damit auf viele Podien geschickt wurde. «Da wurde mir klar, dass ich mich immer noch gerne mit der politischen Konkurrenz auseinandersetze, dass in mir immer noch das Feuer brennt.»

Seine Frau, so Stöckli, sei zwar nur mässig begeistert gewesen, als er entschieden habe, noch einmal anzutreten. Die Skepsis sei aber verflogen: Rosmarie Stöckli leitet das Backoffice, «sie hat unsere Garage in eine richtige Wahlkampfzentrale verwandelt», sagt Stöckli. Wahlkampf ist eben nach wie vor auch eine Familiensache, «ohne geht es nicht, und diese Unterstützung ist nicht selbstverständlich», sagt der ehemalige Bieler Stadtpräsident.

So ist die Familie auch dabei, als Stöckli im August mit dem Velo den Kanton Bern bereist. Insgesamt legt Stöckli mit seiner Entourage strampelnd 240 Kilometer zurück. Geleitet wird die Tour von Sohn Thomas Stöckli, Tochter Katharina stösst unterwegs dazu. Sowieso gleicht die Tour zwischenzeitlich einem regelrechten Familienausflug: Stöckli wird nicht nur von Parteimitgliedern begleitet. Auch Freunde aus seiner Zeit als Pfadfinder sind dabei, ebenso Wegbegleiter aus der Studentenverbindung «Commercia Biennensis». Letztere rufen Stöckli auch auf der Velotour konsequent bei dessen Verbindungsnamen «Fätze» – und sind beileibe nicht alle Sozialdemokraten. Stöckli ist stolz darauf, Unterstützer hinter sich zu wissen, die sich auch ausserhalb der Parteigrenze bewegen. «Mich stört, wenn man Wahlen immer nur auf die Parteien reduziert», sagt er. «Wahlen sollen alle bewegen – und meine Stärke ist es, Brücken zu bauen.»

Tatsächlich geht Stöckli als Bisheriger auch deshalb als grosser Favorit in die Berner Ständeratswahlen, weil er weit über die eigene Partei hinaus Sympathien geniesst. Zwar tritt der SP-Kandidat auch diesmal traditionsgemäss auf einem Zweierticket mit den Grünen an – er steht Seite an Seite mit Nationalrätin Regula Rytz, der Präsidentin der Grünen Schweiz. Im Gegensatz zu Rytz dürfte Stöckli aber bis weit ins bürgerliche Lager Stimmen holen, das zeigte eine vor gut zehn Tagen veröffentlichte Umfrage der Zürcher Forschungsstelle Sotomo, die im Auftrag der Zeitung «Der Bund» durchgeführt wurde.

Grüne müssen auf Stöckli hoffen

Diese bescheinigt Stöckli sogar eine minime Chance, bereits im ersten Wahlgang das absolute Mehr zu erreichen. Dies wäre Voraussetzung, damit der ambitiös angekündigte Angriff von Rot-Grün auf beide Berner Ständeratssitze tatsächlich gelingen kann. Denn Stöckli und Rytz haben eine Vereinbarung unterzeichnet, wonach sich in einem zweiten Wahlgang jene Kandidatur mit den schlechteren Wahlchancen zurückzieht. Dass dies der Bisherige Stöckli sein wird, ist unwahrscheinlich. Die Grünen müssen also aller Voraussicht nach auf die Überraschung hoffen, dass Stöckli die Wahl bereits im ersten Umgang schafft. Ein schwieriges Unterfangen bei einer Kopfwahl, der sich 15 Kandidierende und alle grossen Parteien stellen: Nebst Stöckli und Rytz buhlen bekanntlich auch Regierungsrätin Beatrice Simon (BDP), Nationalrat Werner Salzmann (SVP) und Nationalrätin Kathrin_Bertschy (GLP) um einen der Berner Sitze in der kleinen Kammer.

Stöckli selber rechnet jedenfalls fest damit, erneut einen zweiten Wahlgang absolvieren zu müssen. Der Bieler ist ein erfahrener Wahlkämpfer. Nach seiner Wahl 1979 ins Stadtparlament wurde Stöckli zwei Jahre später zum jüngsten Bieler Stadtratspräsidenten aller Zeiten, ehe er 1984 nebenamtlicher Gemeinderat und 1990 Stadtpräsident von Biel wurde. In diesem Amt wurde Stöckli ganze fünf Mal bestätigt. 2002 wurde Stöckli zudem Grossrat, 2004 rückte er für Rudolf Strahm in den Nationalrat nach. 2011 dann jagte der Bieler der SVP den Berner Ständeratssitz ab, indem er den Bisherigen Adrian Amstutz verdrängte. Jetzt will er selber seinen Sitz zum zweiten und letzten Mal verteidigen.

Budget von 290 000 Franken

Finanziell orientiert sich Stöckli dabei am Wahlkampf 2015 – das Budget ist mit 290_000 Franken ähnlich hoch. 100_000 Franken an Spenden sind nötig, damit die Wahlkampfrechnung aufgeht, was erreichbar sein sollte, wie Stöckli sagt. Einen Teil der Spenden hat er auch auf seiner «Tour de Berne» eingefahren. Diese war vor allem eines: die Möglichkeit, seinen Stöckli-Bleistift und die Wahlflyer unter die SP-Parteimitglieder zu bringen.

Stöckli radelte zum Auftakt des Wahlkampfes nicht zuletzt auch deshalb durch den ganzen Kanton, um die Ortsparteien dazu zu motivieren, für ihn auf die Strasse zu gehen. So wurden er und seine Mitstreiterinnen unterwegs nebst den jeweiligen Stadt- und Gemeindeoberhäuptern denn auch von insgesamt zwölf SP-Sektionen empfangen und verpflegt. Stöckli weiss: Auch wenn er breiter mobilisieren muss, ist die eigene Parteibasis ungemein wichtig.

Während Stöckli also in allen Kantonsteilen um Stimmen buhlt, bläst ihm ausgerechnet in seiner Heimat aus linken Kreisen ein steifer Wind entgegen. Im Widerstand gegen den A5-Westast wurde der Alt-Stadtpräsident in den letzten Jahren zum Buhmann, weil sich die Arbeitsgruppe Stöckli, der er vorstand, 2010 für die Autobahnvariante mit dem Vollanschluss Bienne Centre und dem Halbanschluss Seevorstadt aussprach. Trotz massivem Widerstand gegen das offizielle Westast-Projekt hat sich Stöckli inhaltlich nie mehr dazu geäussert, verwies jeweils darauf, sich nicht in die Geschäfte seines Nachfolgers Erich Fehr (SP) einzumischen. Im Wahlkampf hat nun das Komitee «Westast – so nicht!» erneut versucht, Stöckli dazu zu bewegen, sich von den Stadtanschlüssen zu distanzieren. Weil sich dieser aber geweigert hat, an einer entsprechenden Umfrage teilzunehmen, schiessen die Westast-Gegner nun in Zeitungsinseraten auf die Person Stöckli, werfen ihm vor, sich beim «wichtigsten_Thema der Region» in Schweigen zu hüllen. «Westast – so nicht!» empfiehlt stattdessen Regula Rytz und die Grünliberale Kathrin Bertschy zur Wahl in den Ständerat.

Stöckli wehrt sich gegen den Vorwurf, geschwiegen zu haben: Er habe nicht an der Umfrage teilgenommen, weil die Fragestellung keine differenzierte Antwort zugelassen habe. Zudem sei es ein Gebot der Korrektheit, dem derzeit laufenden ergebnisoffenen Dialogprozess nicht vorzugreifen. Er, so Stöckli, habe sich aber bei Bundesrätin Simonetta Sommaruga (SP) für diesen Prozess eingesetzt. Sollte aus dem Stresstest mit dem Ausführungsprojekt eine umwelt- und stadtverträglichere Lösung resultieren, so würde er diese unterstützen.

Rückblickend sagt Stöckli, sei er froh, dass es gelungen ist, Ost- und Westast voneinander zu trennen. «Sonst hätten wir heute den Ostast nicht, der für die Stadtentwicklung entscheidend ist. Die Verkehrszahlen des Ostasts sollten jetzt in die Lösungsfindung miteinfliessen.» Stöckli versteht zwar, dass frühere Entscheide hinterfragt werden. Die Art und Weise, wie die Westast-Gegner nun Wahlkampf betreiben, erachtet er aber als kontraproduktiv. «Der Suche nach einer besseren Lösung ist das sicher nicht dienlich», sagt Stöckli. Das werde ihn aber nicht davon abhalten, sich bei einer Wiederwahl weiterhin für die Suche nach einer besseren Lösung einzusetzen – «nebst all den andern Tätigkeiten im Ständerat.»

Gespielte Empörung

Stöckli hat sich in der kleinen Kammer einen Namen als Gesundheitspolitiker gemacht. Zuletzt sorgte er mit der von ihm lancierten Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» für Schlagzeilen: Stöckli reichte sie als Präsident des Initiativ-Vereins zusammen mit verschiedenen Gesundheitsorganisationen am 12. September ein. Die Initianten verlange nein lückenloses Verbot für Tabakwerbung, die Kinder oder Jugendliche erreicht.

Die Kisten mit den Unterschriftenbögen überreichten Stöckli und seine Mitstreiter in Rauchschwaden gehüllt, die Zigarettenrauch symbolisieren sollten. Der Zeitpunkt war geschickt gewählt: Nur wenige Tage, nachdem die Initiative bei der Bundeskanzlei deponiert wurde, beschloss der Ständerat, die Verbots-Schraube bei Tabakwerbung deutlich anzuziehen – das dürfte wohl auch mit dem Druck der Initiative zusammenhängen.

Wird er wiedergewählt, will Hans Stöckli auch in den nächsten vier Jahren im Ständerat seinen Schwerpunkt bei der Verbesserung der Qualität und der Prävention im Gesundheitswesen setzen – und erreichen, dass die Tabak-Initiative umgesetzt wird. Er ist zudem stark im Tourismus engagiert, war die treibende Kraft hinter dem Tourismuspapier der SP-Bundeshausfraktion. Dieses sieht mehr staatliche Förderung, Klimaabgaben und Subventionen für eine nationale Buchungsplattform vor. «Solche Dinge sind als Bundespolitiker jetzt meine Hauptthemen, nicht mehr der Bieler Westast», so Stöckli.

Schafft Stöckli die Wiederwahl, wird er 2020 Präsident des Ständerats. Ein Posten, der ihn motiviert. «Ich würde sicher gerne ein anerkannter Ständeratspräsident werden», sagt er. «Auf diesem Posten kann man während eines ganzen Jahres einen Kanton und eine Region ins richtige Licht rücken, das darf man nicht unterschätzen.»

Als 1. Vizepräsident hat Stöckli als Stellvertreter bereits mehrere Plenarsitzungen im Ständerat geleitet. Beim bierernsten Gespräch mit Thuns Stadtpräsident Raphael Lanz und Bänz Friedli zum Abschluss der Tour de Berne zeigt er sich deshalb gespielt empört über die ewig immer gleiche Geschichte, er komme immer zu spät: Das habe er sich längst abgewöhnt, denn als Sitzungsleiter könne man sich dies gar nicht mehr leisten.

Stichwörter: Hans Stöckli, Ständerat, SP

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