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Yukon

Abgeschirmt, aber nicht unversehrt

Bis vor kurzem wähnten sich die Menschen im Yukon in ihrer Abgeschiedenheit relativ sicher vor dem Coronavirus. 
Doch inzwischen sind auch sie auf dem harten Boden der Realität des Jahres 2020 gelandet, schreibt Christine Mäder.

Weisse Überraschung beim Verlassen des Hauses: Ein Rekordschneefall (der bislang nicht aufgehört hat) und die drastische zweite Covidwelle machen den Menschen im Yukon derzeit zu schaffen. Bild: Christine Mäder
  • Dossier

Christine Mäder

Unsere spärlich bevölkerte Gegend im Nordwesten von Kanada ist bis vor einer Woche weitgehend von der Pandemie verschont geblieben. Nachdem am 22. März die ersten zwei Fälle von Yukonern, eben zurückgekehrt von einer Reise in die USA, bekannt wurden, reagierte unsere Territorialregierung rasch und versetzte uns in einen Lockdown. Die Grenzen zum Ausland waren schon landesweit geschlossen, doch nun durften auch Kanadierinnen und Kanadier aus anderen Provinzen und Territorien nicht mehr frei zu uns kommen, ausser sie waren dringend notwendiges Personal.

In den ersten Wochen mutete es sehr seltsam an, die Innenstadt von Whitehorse so ausgestorben zu erleben, da die meisten Leute ins Heimoffice verbannt waren. Nach und nach wurden die strengen Bestimmungen dann wieder gelockert; Geschäfte, Restaurants, Bars und Sportanlagen konnten, wenn auch mit verminderter Kapazität, wieder öffnen. Ab Juli gab es eine Reiseblase mit unserer Nachbarprovinz Britisch Kolumbien, die bis dahin die Anzahl der Covid-19-Fälle recht gut im Griff hatte, sowie mit Nunavut und den Nordwest Territorien. Alle anderen Reisenden mussten sich in Whitehorse 14 Tage in Quarantäne begeben, ehe sie sich im Yukon frei bewegen durften.

 

Ohne Touristen kein Einkommen

Kein Wunder, dass deshalb im Sommer 2020 nur wenige Besucherinnen und Besucher hierherkamen. Unser Tourismus ist total am Boden. Während der Verlust in dieser Branche national auf 60 bis 80 Prozent geschätzt wird, sind es im Yukon 85 bis 100 Prozent. Viele Kleinanbieter werden den Winter kaum überstehen, trotz Hilfsprogrammen und staatlicher Unterstützung in Form von Lohnzuschüssen.

Ein befreundetes Schweizer Ehepaar, das eine Fahrstunde von Whitehorse entfernt seit Jahren ein Familienunternehmen mit Schwergewicht auf Touristen aus dem deutschsprachigen Europa betreibt, konnte diesen Sommer keine einzige Tour durchführen, da die Grenzen für ausländische Besuchende geschlossen sind. Die wenigen Blockhaus-Übernachtungen von Einheimischen, die am Wochenende mal aus Whitehorse raus wollen, bringen nicht genug ein, um die Bedürfnisse der fünfköpfigen Familie und ihren diversen Haustieren abzudecken. Aushilfsweise auf einer benachbarten Farm arbeiten zu können, gab einen willkommenen Zustupf.

 

Wir sind nachlässig geworden

Bis Mitte Oktober wiegten wir uns in falscher Sicherheit; die von den nationalen Grossverteilern eingeführte Maskenpflicht in all ihren Läden wird in den Whitehorse-Filialen nicht konsequent durchgesetzt, da die Regierung im Yukon bis anhin keine solche Verordnung erlassen hat. Dennoch sieht man hier von Woche zu Woche mehr Menschen mit Schutzmasken. Gleichzeitig ist aber festzustellen, dass die zwei Meter oder «eine Karibulänge» Sicherheitsabstand oft nicht eingehalten wird. Die nicht abzustreitende Covid-Müdigkeit macht sich überall bemerkbar. Einige Geschäfte haben ihre Abstandsmarkierungen am Boden inzwischen wieder entfernt, und lange nicht überall gibt es heute noch Handdesinfektionsmittel bei der Ladentüre.

Sehr befremdet hat mich das Verhalten der Leute bei meiner kürzlichen Blutuntersuchung im Spital. Zwar werden alle am Eingang von einem Sicherheitsbeamten zum Gesundheitszustand befragt, ob man sich in den letzten 14 Tagen ausserhalb des Yukons aufgehalten habe. Wer noch keine Maske trägt, erhält eine in die Hand gedrückt. Doch in der Wartehalle, wo die Stühle vorbildlich in grossen Abständen platziert sind, sitzen die meisten mit ihrer Maske in der Hand oder auf dem Schoss. Im Behandlungszimmer war dann zu meinem Erstaunen auch die Laborantin maskenlos. Hätte ich nie erwartet in einem Spital! Ganz anders dann bei der Grippeimpfung, die dieses Jahr im viel Platz bietenden Kongresszentrum angeboten wird. Hier trägt das ganze Personal Schutzmasken, von den Arzthilfen bis zur Putzmannschaft, die fleissig nach jeder Person die frei gewordenen Stühle desinfizieren.

 

Plötzlich aufgerüttelt

Werden uns die neusten Entwicklungen nun wieder wachrütteln? Bis am 26. Oktober in der knapp 1500 Einwohner zählenden Gemeinde Watson Lake im Südosten des Yukons fünf Coronavirusfälle gemeldet wurden, von denen einer tödlich ausging, wähnten wir uns in relativer Sicherheit. Doch dieses Gefühl ist weg, zumal sich seither die Fälle in Whitehorse mehren. Kontaktnachfragen haben die Wahrscheinlichkeit der Ansteckung mehrerer Personen in einem der lokalen Fitnesszentren an einem einzigen Tag ergeben. Innerhalb eines Monats hat sich die vorgängig während eines halben Jahres tief gehaltene Zahl von 15 Covid-Positiven mehr als verdoppelt und steigt fast täglich weiter an.

Dies mag allen, die in dichter besiedelten Gegenden wohnen, wenig Grund zur Besorgnis scheinen, doch hier gehts unter die Haut. Das noch isoliertere Territorium Nunavut, bis 6. November als einzige Gegend in Kanada Covid-frei, ist innerhalb von drei Wochen von null auf 128 Fälle angeschwollen. In einer abgelegenen 2850-Seelen-Gemeinde wie Arviat an der Hudson Bay, die keine Infrastruktur für Krankenversorgung hat, können 98 coronapositive Personen verheerende Auswirkungen haben.

Um einem solchen möglichen Ausbruch vorzubeugen, hat Vuntut Gwitchin Chief Dana Tiyza-Tramm deshalb für alle 265 Seelen von Old Crow, der nördlichsten und nur per Flugzeug zu erreichenden Ortschaft im Yukon, letzte Woche eine freiwillige 14-tägige Selbstisolation angeordnet. Dies weil drei seiner Gemeindemitglieder kürzlich in Whitehorse Geschäfte besuchten, wo laut Contact Tracing zur ungefähr selben Zeit auch eine der infizierten lokalen Personen anwesend war.

Von den insgesamt 42 230 Einwohnerinnen und Einwohnern im Yukon sind bis anhin nicht mal 11 Prozent getestet worden. Antigen-Schnelltests wie in Biel gibt es bei uns nicht, und testen lassen kann sich nur, wer Symptome aufweist oder in vermeintlichem Kontakt mit Coronavirus-Positiven stand.

 

Wieder hermetisch abgeriegelt

So wenig wie das Schweizer Volk mögen die Kanadierinnen und Kanadier von der Landesregierung diktierte Verordnungen. Der «Kantönligeist» der zehn Provinzen und drei Territorien führte deshalb im Umgang mit Corona-Schutzmassnahmen zu markanten Unterschieden. Doch auch diejenigen, die während der ersten Covidwelle die Oberhand behielten, wurden jetzt im Herbst von der zweiten, weitaus stärkeren Welle überrollt. Die Ausbreitung des Virus scheint sich in unserer südlichen Nachbarprovinz Britisch Kolumbien gegenwärtig alle 13 Tage zu verdoppeln.

Aufgrund der überall steigenden Zahlen hat unsere Territorialregierung deshalb am vergangenen Freitag die seit Juli bestehende Reiseblase platzen lassen. Jede Person, die auf dem Landweg oder per Flugzeug in den Yukon kommt, muss für 14 Tage in Quarantäne – egal ob Einheimische, die von einem Businesstrip zurückkommen, oder Menschen aus anderen Teilen Kanadas. Für Menschen aus dem Ausland bleiben die Grenzen weiterhin dicht, auch wenn das die (Noch-)Trump-Regierung nicht gerade glücklich macht.

Ansonsten hat sich für uns ausser dem Wetter nicht viel geändert. Der Winter kündigte sich gleich Anfang November in Whitehorse mit einem Rekordschneefall von einem halben Meter innerhalb von zwölf Stunden heftig an. Seither musste ich schon öfters am Morgen mein Auto ausbuddeln. Das kann ja noch heiter werden bis zum Frühling!

Info: Christine Mäder, in Biel geboren und aufgewachsen, war von 1977 bis 1993 Journalistin und Redaktorin beim «Bieler Tagblatt». 1996 wanderte sie in den spärlich besiedelten 
Yukon aus, wo sie heute in Whitehorse als 
Administrative Assistentin in der Finanzabteilung von Parks Canada tätig ist. 


 

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