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Studierte Mütter

Akademikerinnen am Herd

50 000 Frauen mit abgeschlossenem Studium widmen sich in der Schweiz dem Haushalt und den Kindern. Lassen sie ihr Potenzial verpuffen? Antworten aus Sicht einer Hausfrau mit akademischer Ausbildung.

Kind und Haushalt statt Karriere: Dass sich immer mehr studierte Frauen für diesen Weg entscheiden, hat diverse Gründe. Bild: Keystone

von Marcel Friedli

«Sie sind Hausfrau, also nicht berufstätig? Ähm, ich meine, Sie machen natürlich schon was», heisst es beim Arzt. Und Bekannte sagen: «Immer zu Hause, das wäre mir zu langweilig.» Solche Aussagen hört Karin, Anfang 40 und Mutter von zwei Buben im schulpflichtigen Alter, immer wieder. Noch grösser ist das Unverständnis, wenn sie erzählt, dass sie vier Jahre an einer Universität Deutsch, Englisch und Französisch studiert hat und ausgebildete Lehrerin auf Oberstufe ist - sich aber seit nunmehr elf Jahren um Kinder und Haushalt kümmert. «Hausfrau sein», so die Erfahrung von Karin, «hat einen geringen Stellenwert. Und dass man als Akademikerin den Kindern den Vorrang gibt, stösst bei vielen zusätzlich auf Unverständnis.»

 

Für die Kinder da

Karin ist eine von 50 000 Hausfrauen in der Schweiz, die ein abgeschlossenes Studium vorweisen können. Diese Zahl geht aus der schweizerischen Arbeitskräfteerhebung von 2013 hervor. In den letzten Jahren ist diese Zahl kontinuierlich gestiegen: 2003 gab es noch 32 000 Akademiker-Hausfrauen - also ist diese Zahl in zehn Jahren um 18 000 in die Höhe geschnellt. Dass sich immer mehr hervorragend ausgebildete Frauen für diesen Weg entscheiden, hat diverse Gründe: schulische und steuerliche Strukturen, mangelnde Krippenplätze, zu wenig Teilzeitstellen, persönliche Prioritäten, Angst vor Doppelbelastung (siehe Interview).

Schon früh wusste Karin, dass sie für ihre Kinder da sein will. «Die Jahre mit ihnen zu geniessen, das ist mir wichtig. Ich will sie unterstützen, ihre Emotionen auffangen.» Es sei wesentlich stressfreier, dies nicht neben einem hektischen Job bewerkstelligen zu müssen. Karin macht vieles selber, ist kreativ, näht und liest viel; hat Zeit, Freunde zu treffen und ein offenes Ohr für die Sorgen anderer. «Wäre ich zusätzlich erwerbstätig, würde ein Stück Lebensqualität wegfallen.»

Selbstverwirklichung auf Kosten der Allgemeinheit: So kommt das bei etlichen an. Sie argumentieren damit, dass ein fünfjähriges Studium durchschnittlich 115 000 Franken kostet. Hochgerechnet bedeutet das laut der Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell: Es wurden rund 5,75 Milliarden Franken in die Hochschulausbildung von Frauen investiert, die momentan nicht erwerbstätig sind. Ein immenses Potenzial, das schlummert.

 

Freiwilligenarbeit

Nach Ansicht von Karin greift diese Rechnung zu kurz. «Vielen ist nicht bewusst, dass ich gleichwohl einen Beitrag zum allgemeinen Wohl leiste.» Sie spielt auf unbezahlte Freiwilligenarbeit an: So unterstützt sie ihre Eltern, damit sie nicht ins Altersheim müssen. Zudem hütet sie ab und zu Kinder, gibt Nachhilfe, arbeitet bei einer Kinderkleiderbörse, geht als Aufsicht zum Schulschwimmen, erledigt Einkäufe für eine betagte Nachbarin.

«Ich bin froh über meine gute Ausbildung. Sie ist hilfreich bei der Erziehung,im alltäglichen Leben.» Sie sei zudem eine Art Back-up für Notfälle: «Wird mein Mann krank oder stehe ich plötzlich alleine mit den Kindern da, könnte ich via Stellvertretungen wieder Fuss fassen und mit meiner Arbeit als Lehrerin eine Familie durchbringen. Diese Gewissheit ist beruhigend.»

 

Offen für Wiedereinstieg

Ob sie dereinst wieder ins Berufsleben einsteigt, weiss sie nicht: «Ich bin offen für eine Veränderung, wenn sich diese aufdrängt. Momentan stimmt es für mich, auch weil meine Arbeit im Kleinen geschätzt wird. Glücklich zu sein, das ist das Wichtigste. Das färbt auch auf die anderen ab: auf meinen Mann, unsere Kinder, die Menschen in unserer Umgebung.»

Sie wünscht sich mehr Respekt für die unterschiedlichen Lebensentwürfe. «Auch für Mütter, die Karriere machen. Deswegen sind sie keine Rabenmütter. Sie wären zu Hause vielleicht unglücklich.»

 

Zurück ins Business

Zurzeit laufen auf politischer Ebene Bestrebungen, Frauen den beruflichen Einstieg zu erleichtern. So fordert die Tessiner SPNationalrätin Marina Carobbio in einer Motion, welcher der Nationalrat zugestimmt hat, Praktikumsstellen für Wiedereinsteigerinnen. Und CVP-Ständerat Konrad Graber verlangt, dass der Bundesrat prüft, ob in Zusammenarbeit mit Wirtschaftsverbänden ein entsprechendes Förderkonzept realisiert werden kann. Die Universität St. Gallen (HSG) hat das Potenzial der akademischen Mütter erkannt und bietet die Managementausbildung «Women back to business» an: Nebst der fachlichen Ausbildung erhalten Frauen eine Laufbahnberatung und ein Coaching sowie die Gelegenheit, ein Praktikum zu absolvieren. Laut HSG schaffen drei Viertel der Absolventinnen den Wiedereinstieg. mf

geschätzt wird. Glücklich zu sein, das ist das Wichtigste. Das färbt auch auf die anderen ab: auf meinen Mann, unsere Kinder, die Menschen in unserer Umgebung.»

Sie wünscht sich mehr Respekt für die unterschiedlichen Lebensentwürfe. «Auch für Mütter, die Karriere machen. Deswegen sind sie keine Rabenmütter. Sie wären zu Hause vielleicht unglücklich.»

Das Interview zu diesem Thema mit Andrea Frommherz vom Zentrum Frau und Arbeit finden Sie hier.

Link: www.frac.ch; www.teilzeitkarriere.ch

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