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Auch eine Niederlage ist fast ein Sieg

Wer interessiert sich schon für den Fünftbesten bei einem Sportwettbewerb? Oder gar die Zwanzigbeste? Eine Rangierung auf der hinteren Resultatliste ist nicht der Rede wert. Da sind die Medien gnadenlos. Dachte ich bislang zumindest. Denn im Grunde ist es umgekehrt.

Niklaus Baschung

Die aktuellen Sportnews, welche mir die Nachrichten-Apps aufs Handy schicken, handeln oft vom Scheitern. Da hat doch ein Schweizer Eishockeyspieler, dessen Name mir völlig unbekannt ist, während eines Spiels seiner kanadischen Klubmannschaft, von der ich noch nie etwas gehört habe, tatsächlich kein Tor erzielt. Nicht einmal ein halbes? Keines.

Oder Stan Wawrinka, nach Roger Federer der zweitbeste aktive Schweizer Tennisspieler, er ist mir schon richtig ans Herz gewachsen. Den kenne ich praktisch nur von 
Niederlagen. Durchs ganze Sportjahr fällt er in irgendeiner Vorrunde heraus, manchmal bereits in der ersten, ausser er gewinnt das Tennisturnier, was sehr selten vorkommt. Doch bei jedem Misserfolg kommt ihm mittels Push-Nachricht die ganze mediale Aufmerksamkeit zuteil. Aber das ist richtig so. Auch eine Niederlage ist fast ein Sieg.

Dass wir mit Tom Lüthi, dem Schweizer Sportler des Jahres 2005, heutzutage mitfiebern müssen, ob 
er überhaupt die Qualifikation für ein Motorradrennen schafft, vielleicht als Sechsundzwanzigster, aber trotzdem, das hat er sich mit seinen früheren Erfolgen verdient.

Es ist an der Zeit, dass sich solch grosszügiges Wohlwollen auch ausserhalb des Sportbetriebs verbreitet. Während über einem Jahr wurde an der Hauptstrasse mitten durch das Dorf gebaut, unter körperlichen Schwerstbedingungen, bei jeder Wetterlage, nur ein paar Zentimeter entfernt von täglich tausenden ungeduldigen, genervten Autofahrern und Autofahrerinnen, welche die Bauleute am liebsten überfahren hätten. Eigentlich in permanenter Lebensgefahr.

Obwohl ich persönlich einen Tunnel unter der Hauptstrasse diesem neuen Belag auf der Strasse vorziehen würde, hat mich die Arbeit der Bauleute stark beeindruckt. Nun ist ihre Arbeit vollbracht – und ich habe keine Push-Nachricht erhalten.

Keine Nachricht sind auch die Leistungen von Mitarbeiterinnen in einem Seeländer Heim wert, die auf Abruf, ohne Rücksicht auf ihr Privatleben, sich engagieren, nie ganz 
sicher, ob sie vielleicht doch weggespart werden und nun erschöpft in Frührente gehen. Gänzlich vergessen gehen die jungen Leute, die in diesen Coronazeiten ohne Glanz und Gloria ihren Schul- oder Lehrabschluss schaffen, vielleicht als Hundertster, aber immerhin. Keine Ehrenmeldung kommt bislang über die Bäuerin, welche das eigene Vieh versorgt, zwei Enkel betreut und am Wochenende Kunden im Hofladen empfängt.

Vielleicht sollte man ihre anspruchsvolle Tätigkeit zur Sport-
disziplin erklären und zwischendurch die Arbeitszeit stoppen, dann könnte dieser Roger Federer, oder wie der heisst, seine Tennisschläger aber echt wieder einpacken.


Info: Niklaus Baschung ist Journalist, Kommunikationsfachmann und 
Hundehalter. Mehr zum Autor und 
seinem Schaffen finden Sie unter www.niklaus-baschung.chkontext@bielertagblatt.ch

Niklaus Baschung

Stichwörter: Neulich, Fokus, Niederlage, Sieg

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