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Norwegen

Auf den Lofoten «fischelet» es gewaltig

Auf ihrem Weg auf die Lofoten werden Stefan Leimer und seine Frau Nathalie Thierstein wegen Raketen von ihrem Nachtlager verscheucht. Am kühlen und windigen Ziel angekommen, ist alles voller trocknender Fische: Stockfisch ist eine einheimische Spezialität, die schon die Wikinger schätzten. Das Fernweh-Team allerdings hat noch keinen Bissen gewagt.

Die idyllischen norwegischen Häuser erfüllen noch heute für viele den perfekten Ferientraum. Einst waren sie aber ässerst spartanisch eingerichtet und dienten bloss als Mittel zum Zweck. Bild: zvg
  • Dossier

Text und Bilder: 
Stefan Leimer

F ür die letzte Aprilwoche hatten wir ein paar Tage Ferien geplant. Das 200 Kilometer weit entfernte Inselarchipel Lofoten ist unser Ziel. Berits am Vorabend unserer Ferienwoche fahren wir ab und suchen uns an der Westküste Andøyas einen abgelegen Platz, wo wir die erste Nacht verbringen wollen.

Die Spaghetti sind gerade al dente, als es klopft. Vor der Tür steht eine Gestalt, die direkt aus einem Rambo-Film entsprungen sein könnte. Gross, kräftig gebaut, und vor dem Bauch hängt eine Maschinenpistole. Die schwarze Gesichtsmaske unterstreicht den martialischen Auftritt noch zusätzlich. Nur die knapp erkennbaren Augen mit den Lachfältchen sprechen ein anderes Bild. Die Gestalt entpuppt sich als norwegischer Soldat, der uns informiert, dass nicht unweit von hier in den folgenden Stunden eine Rakete abgeschossen werden soll. Er fordert uns höflich, aber bestimmt auf, mindestens einen Kilometer weiter südlich einen anderen Schlafplatz zu suchen.

Dazu muss man wissen, dass bereits seit 1962 auf der Insel Andøya Raketen in die Atmosphäre geschossen werden. Die erste Rakete hatte das Ziel, das Phänomen Aurora Borealis quasi von innen her zu erforschen. Seither wurden weit über tausend Forschungsraketen und wissenschaftliche Ballone erfolgreich vom Andoya Space Center aus gestartet.

 

Jelzin war schon 
am Atomknopf

Brisant wurde es 1995. Die Forschungsrakete Black Brant XII, die an diesem Tag gezündet wurde, war um einiges grösser als die bisher üblichen Raketen. Selbstverständlich wurde den umliegenden Staaten und somit auch Russland der geplante Raketenstart mitgeteilt. Doch die Nachricht versumpfte in der russischen Bürokratie, und die Radarstationen wurden nicht entsprechend informiert.

Mitarbeiter des Russian Missile Attack Warning System (MAWS) interpretierten die norwegische Forschungsrakete auf ihren Radarschirmen irrtümlich als den Launch einer amerikanischen Trident-Rakete, die von einem U-Boot abgeschossen wurde. Der verantwortliche Offizier handelte strikt nach Vorschrift und meldete den Vorfall direkt nach Moskau. Präsident Jelzin aktivierte daraufhin den Atomkoffer. Zum Glück für die Welt konnte das Missverständnis aber relativ schnell aufgeklärt werden.

Ob an diesem Abend die meteorologischen Bedingungen gut genug waren, um eine Forschungsrakete zu starten, wissen wir nicht. Wir schliefen tief und fest in unserer Koje.

 

Innovative Vorschläge vom Aprilwetter

Die Lofoten präsentierten sich, wie man es von ihnen erwartet: wunderschön und spektakulär. Nur den Frühling vermissten wir. Bis auf ein paar Krokusse, Schlüsselblumen und Schneeglöckchen, die im Schutz wärmender Hauswände blühen, gibt sich die Flora sehr zurückhaltend. Das Aprilwetter machte seinem Namen alle Ehre und überraschte uns mehrmals pro Tag mit innovativen Vorschlägen. Von Nieselregen bis Schneesturm, Nebel und strahlendem Sonnenschein war alles dabei. Die Temperaturen hingegen hielten sich konstant um den Nullpunkt.

In den vergangenen Monaten haben wir uns aber gut an die hier vorherrschenden klimatischen Bedingungen akklimatisiert. Ganz nach dem Motto: «Es gibt kein schlechtes Wetter – nur schlechte Kleider» unternehmen wir Ausflüge in malerische Fischerdörfer und machen ausgedehnte Spaziergänge an den schönsten Ständen Norwegens. Das Inselarchipel Lofoten besteht aus 80 kleinen und grossen Inseln. Der raue Atlantik und die direkt aus dem Meer aufsteigenden, bis zu 1200 Meter hohen Berge sorgen für eine spektakuläre Kulisse.

 

Schon die Wikinger 
schätzten Stockfisch

Die Fischfangsaison wurde zwar am 15. April beendet. Auf speziellen Holzgestellen hängen jetzt aber Millionen Fische zum Trocknen an der frischen Luft. Es ist unglaublich, schlicht unfassbar, wie viele Dorsche hier zu sogenanntem Stockfisch verarbeitet werden.

Bevor der Kühl- oder Gefrierschrank erfunden wurde, war es nicht möglich, fangfrischen Fisch länger als wenige Tage aufzubewahren. Also musste eine andere Lösung her. Sofort nach dem Fang nahm man die Fische aus, spülte sie sauber und hängte sie zum Trocknen an langen Stöcken auf. Dort blieben sie dann je nach Wetter zwei bis drei Monate hängen. Bei diesem Trocknungsprozess bleiben alle Nährwerte erhalten, den Fischen wird lediglich das Wasser entzogen und sie verlieren so ca. 80 Prozent ihres Gewichts. Der Nährwert eines Kilogramms Stockfisch entspricht ungefähr fünf Kilogramm frischen Fischs.

Stockfisch ist, wenn er richtig gelagert wird, fast unbegrenzt haltbar. Die Lofoten mit ihren grossen Dorschschwärmen vor der Küste waren von jeher die bedeutendsten Lieferanten von Stockfisch. Die salzige Meerluft hier ist weder zu warm noch zu kalt, was einen Insektenbefall oder ein Einfrieren verhindert.

Schon die Wikinger schätzen Stockfisch als Proviant und Tauschmittel, und seit dieser Zeit hat sich an der Herstellungsmethode praktisch nichts geändert. Besonders katholische Länder lernten den «stokkfisk» für ein fleischloses Fastenessen schon früh schätzen.

Um mit Stockfisch zu kochen, wässert man ihn vorher bis zu 36 Stunden. Dabei saugt er sich wieder mit Flüssigkeit voll und verliert den durch das Trocknen fischigen Geruch.

Wir müssen allerdings eingestehen, dass wir Stockfisch noch nie probiert haben – wir sind noch zu sehr auf die Schweizer und mitteleuropäische Küche fixiert und haben zudem den Gefrierschrank noch voll frischem Fisch.

 

Die Fischerhütten 
im Aufschwung

Unsere Lofoten-Rundreise führt uns zum Abschied nach Nusfjord, in ein pittoreskes Dorf, dessen Gebäude teilweise noch aus dem späten 18. Jahrhundert stammen. Die typischen hölzernen Fischerhütten, auf Norwegisch Rorbu genannt, dienten den Fischern einst als einfachste Unterkunft. Der Name setzt sich zusammen aus «Ro» (rudern) und «bu» (wohnen).

Die typische rote Farbe hatte ursprünglich einen zweckdienlichen Grund: Die billig verfügbare rote Tranfarbe schützte gegen Witterungseinflüsse. Die Einrichtung war spartanisch und bestand aus hölzernen Etagenbetten, einer einfachen Kochgelegenheit, einem Tisch mit mehreren Holzstühlen. In der Regel stehen die Holzhütten auf kleinen Felsinseln oder auf Stelzen direkt am Fjord. Inzwischen werden die ehemals armseligen Unterkünfte als Ferienhäuser vermietet. Ausgestattet mit TV, Wlan-Anschluss, Badezimmer und einer komplett eingerichteten Küche muss man betreffend Komfort auch keine Einbussen mehr in Kauf nehmen.

Trotz ausbleibender Touristen hat das «Landhandel-Kaffee» in Nusfjord offen. Wir sind die einzigen Gäste an diesem Nachmittag und setzen uns an einen Tisch mit Ausblick auf den kleinen, von mächtigen Felsen geschützten Hafen. Der servierte Filterkaffee ist bitter ... er hat wohl in Erwartung weiterer Gäste schon den ganzen Tag auf der Heizplatte gestanden. Aber die Waffeln schmecken gut, und der Klecks Erdbeerkonfitüre mit etwas frischem Sauerrahm ist ein Gedicht.

 

Stichwörter: Fernweh, Ausland, Norwegen, Meer

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