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Coronablog

Besser als nichts

Ich hatte nie so etwas wie ein Lebensmotto. Das heisst, ich kenne schon ein paar Sprichworte, die ich mir bei Gelegenheit innerlich vorbete. Aber ich halte mich jeweils nur daran, wenn es gerade gut passt.

Sarah Grandjean, Stagiaire Region
  • Dossier

Ich hatte nie so etwas wie ein Lebensmotto. Das heisst, ich kenne schon ein paar Sprichworte, die ich mir bei Gelegenheit innerlich vorbete. Aber ich halte mich jeweils nur daran, wenn es gerade gut passt. «Man bereut im Leben nur jene Dinge, die man nicht getan hat» zum Beispiel. Da halte ich mich gern dran, wenn mich jemand fragt, ob ich mit Skifahren komme, obwohl ich just an dem Tag hätte die Wohnung putzen wollen. Oder wenn ich Lust auf ein Dessert habe, obwohl ich mich längst überessen haben. Aber wenn es darum geht, endlich mal die Waschküche zu wischen, den Keller aufzuräumen oder die Fahrradkette zu ölen, dann fällt mir plötzlich ein, dass diese Sprichworte irgendwie nie ganz zu Ende gedacht sind. Und so mache ich dann irgendwas anderes.

Seit einem Jahr habe ich nun aber doch ein Motto, um mich selbst bei Laune zu halten. Nicht, dass ich mich bewusst dazu entschieden hätte, das hat sich einfach so ergeben. Und zwar sage ich mir ständig: «Besser als nichts.» Zum Beispiel hätte ich im Herbst Ferien im Piemont machen wollen. Gelandet bin ich im Tessin: besser als nichts. Die Winterferien habe ich statt in Schweden im Diemtigtal verbracht: besser als nichts. Wieder mal ein Feierabendbier mit Freunden trinken: besser über Zoom als nichts. Essen gehen: besser Pizza nach Hause liefern lassen als nichts. Musik: besser Spotify als nichts. Kino: besser Netflix als nichts.

Aber inzwischen bin ich auch mit diesem Sprichwort nicht mehr so ganz zufrieden. Die herbstlichen Tessiner Wälder sind wunderschön, ebenso das verschneite Diemtigtal, aber ich würde halt schon gern mal wieder richtig weit wegfahren. Musik übers Handy hören ist schon toll, aber wieder mal ein richtiges Konzert mit richtig markerschütternden Bässen und richtig ausgelassenem Tanzen wäre noch viel toller. Ein Feierabendbier über Zoom kann auch lustig sein, aber sobald alle Freunde aus dem Meeting verschwunden sind, ist es dann doch irgendwie einsam mit der leeren Flasche vor dem leeren Bildschirm. Aber das kommt bestimmt alles wieder, irgendwann. Bis dahin bringe ich mir vielleicht noch was Neues bei. Bier brauen, zum Beispiel. Oder Gitarre spielen. Oder vielleicht öle ich endlich meine Fahrradkette. Das wär doch schon mal besser als nichts.

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