Sie sind hier

Abo

Neulich

Bibracte, la helvète

Bibracte, la gauloise» heisst es auf dem farbigen Prospekt, der in unserem Hotel im Burgund aufliegt und zu Ausflügen animieren soll.

Bild: Niklaus Baschung

Darin wird geschildert, dass der berühmte gallische Führer Vercingetorix in der Hauptstadt der mächtigen gallischen Häduer einst die gallische Koalition gegen den Römer Julius Cäsar proklamiert hat.

Typisch Frankreich. Gallier, Gallier und noch einmal diese Gallier. Schreiben einfach die Geschichte um, wie es ihnen gerade so passt. Dabei ist es doch ganz anders gewesen: Bibracte, dort waren doch wir, also die Helvetier, wir berühmten Kelten, die hier im Jahr 58 vor Christus so ruhmreich und heldenhaft von Cäsar, äh, geschlagen wurden.

Wird Zeit, dass ich in diesem Bribacte mal vorbeischaue und die geschichtlichen Zusammenhänge zurechtrücke. Zuvor versuche ich, mich zu erinnern, was uns in der Schule einst über die Helvetier gelehrt wurde. Praktisch nichts und dann nur Negatives. Uns wurde einfach die Sicht des Siegers Julius Cäsar aufgezwungen, der über die gallischen Kriege ein Buch geschrieben hat. Danach sollen die Helvetier ihre Felder und Siedlungen verbrannt haben, weil sie nach Südfrankreich auswandern wollten. Wild, ungebildet, chaotisch, strategisch ungeschickt müssen diese Helvetier gewesen sein.

Aber im Ernst: Wer zerstört schon mutwillig seine eigenen Lebensgrundlagen für eine ungewisse Zukunft? Und was hat dieser Cäsar überhaupt hier im Norden verloren?

Auf der Autofahrt nach Bribacte fallen wieder einmal die grossen Distanzen im Vergleich zur kleinräumigen Schweiz auf. Erstaunlich, dass die Helvetier so weit gekommen sind. Ohne Navigationsgerät. Hat sich genetisch ganz offenbar nicht durchsetzen können. Denn Schweizer Schulkinder werden heute von manchen Müttern in die Schule gefahren, weil sie sich auf dem bis zu 500 Meter langen Schulweg sonst verirren könnten. Ein junger Helvetier aus Biel käme heute nicht einmal bis nach Nidau. Schon vorher stolpert er über einen Stein und muss mit einer Schürfwunde notfallmässig ins Spital verbracht werden.

Auf dem Gebiet des ehemaligen Bibracte wurde ein aussergewöhnlich informatives Museum über die keltische Zivilisation errichtet. Ich nehme alle Vorurteile gegenüber den Franzosen von wegen Geschichtsfälschung wieder zurück. Pardon. Die Gallier waren nichts anderes als Kelten, die im heutigen Frankreich siedelten. Und die Helvetier werden als unterstützendes Volk geschildert, welches anderen keltischen Stämmen, die sich gegen die Römer auflehnten, zu Hilfe eilten. Wichtige Ausgrabungsfunde aus dem Dreiseenland werden vorgestellt: etwa auf dem Mont Vully am Murtensee oder bei La Tène am Neuenburgersee.

Mit dieser Sicht auf die Helvetier lässt sich besser leben. Wir hatten tatsächlich mal eine solidarische Kultur – was bei manchen aktuellen Debatten in der Schweiz fast vergessen geht.

Info:Niklaus Baschung ist Journalist, Kommunikationsfachmann und Hundehalter.

kontext@bielertagblatt.ch

Nachrichten zu Fokus »