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Biel: Die konservative Weltstadt im Kleinformat

Letztes Jahr erschien in der «NZZ am Sonntag» ein Artikel mit dem Titel «Es ist nicht sauber, nicht leistungsorientiert und auch noch stolz darauf. Warum ist Biel so anders als der Rest der Schweiz?»

Luca Brawand alias Landro

Letztes Jahr erschien in der «NZZ am Sonntag» ein Artikel mit dem Titel «Es ist nicht sauber, nicht leistungsorientiert und auch noch stolz darauf. Warum ist Biel so anders als der Rest der Schweiz?» Der Schriftsteller Robert Walser hingegen bezeichnete Biel einmal als «Weltstadt im Kleinformat». Wo liegt nun die Wahrheit? Und was hat das mit der Bieler Mentalität zu tun?


Das Biel eine schöne Stadt ist, steht für mich ausser Frage. Ich bezeichne Biel jedoch gerne als eine Stadt im Dornröschenschlaf. Aber wieso sollte man Biel wecken müssen? Wir haben doch eine wunderschöne Altstadt, den Bielersee, tolle Architektur und spannende Menschen. Das ist natürlich absolut richtig. Jedoch wird die Altstadt wahrscheinlich seit dem 13. Jahrhundert als Argument dafür verwendet, wieso die Stadt so schön sein soll, die Bieler Architektur mit ihren Bauhaus-Einflüssen wäre beeindruckend, stünde aufgrund der Bausünden der letzten Jahrzehnte nicht jeweils ein hässliches Gebäude zwischen zwei schönen, und schliesslich haben wir zwar einen See, aufgrund der Distanz zum Gewässer kann man Biel aber eben doch nicht wirklich als eine Stadt am See bezeichnen.
Sind also alle unsere Argumente, wieso Biel so toll sein soll, für die Katz? Selbstverständlich nicht. Die Altstadt wird immer schön sein, und den See kann uns auch niemand nehmen. Für mich zeigt es lediglich, dass sich viele Bielerinnen und Bieler gerne an Dingen festhalten, für die sie nichts können, jedoch wenig Interesse daran haben, ihren eigenen Teil dazu beizutragen, die Geschichte weiterzuschreiben. Die Altstadt entstand im Mittelalter, und der See war schon immer da. In welche Richtung die Stadt aber heute gehen soll, bestimmen wir selbst.


Aber wie viel Mut und Bereitschaft zu Veränderung ist überhaupt da, an einem Ort, der von der NZZaS als nicht sauber, nicht leistungsorientiert und stolz bezeichnet wird? Genau da liegt der Knackpunkt – meistens fehlt beides. Hier wird nun mal lieber Nein zu Dingen gesagt als Ja. Läse man nur die letzten drei Sätze, könnte man meinen, ich würde von einem konservativen Dorf auf dem Land sprechen. Dabei ist Biel doch die «Weltstadt im Kleinformat»?


Das mag für gewisse Bereiche auch stimmen. Kaum eine andere Schweizer Stadt hat eine derart multikulturelle Bevölkerung und durch die diversen kulturellen Einflüsse solch eine Weltoffenheit. Aber zu einer Weltstadt, und sei es nur im Kleinformat, braucht es eben mehr als das. Es braucht auch Mut zur Veränderung. Denn Biel spielt nicht nur bei der Multikulturalität ganz vorne mit in der Schweiz, sondern beispielsweise auch bei den hässlichsten Bahnhofplätzen. Oder bei den Städten am See, die gar nicht wirklich am See liegen. Oder bei den Städten, die ihre schönsten historischen Gebäude abreisst, um einen charakterlosen Klotz hinzustellen (man google einmal «Coop Nidaugasse Kaufhaus Knopf»).


In Zukunft sollte es also unser Ziel sein, das Schöne zu bewahren und gleichzeitig das grosse verbleibende Potenzial auszuschöpfen. Viel davon ist bereits im Gange, sei es zwischen See und Bahnhof, im Gurzelenquartier oder in Bözingen – am Willen der Bieler Stadtplanung scheitert es definitiv nicht.
Geht es mir also um Projekte wie Agglolac, die Bahnhofplatzsanierung oder andere ambitionierte und gescheiterte Bauprojekte? Nein, zumindest nicht im Einzelnen. Für jedes Vorhaben gibt es Argumente dafür und dagegen, die man berechtigterweise diskutieren kann und für deren Inhalt ich deutlich mehr als eine Kolumne benötigen würde. Mir geht es vielmehr um das Muster, das sich seit Jahren bei der Reaktion auf Bauprojekte zeigt, und die Mentalität, die dabei ersichtlich wird: Es wird grundsätzlich zu allem «Nein» gesagt. Das neuste Wahrzeichen von Biel ist der Swatch-Hauptsitz des japanischen Stararchitekten Shigeru Ban. Eine ehrlich gemeinte Frage: Wäre es angenommen worden, hätte die Bevölkerung darüber abgestimmt?
Selbstverständlich braucht es nicht überall Prestigebauten, um eine Stadt zu beleben und weiterzuentwickeln. Die Zwischennutzung des Gurzelenstadions ist ein gutes Beispiel dafür, genau so wie der Vorstoss, die Strecke zwischen Omega und See autofrei zu gestalten und zu einer Velo- und Fussgängerpromenade umzugestalten. Aber ganz allein mit Verboten, Zwischennutzungen und jahrzehntelangem «neuen Plan ausarbeiten» wird es halt auch nicht klappen. Und Biel muss aufpassen, in dieser Zeit nicht abgehängt zu werden.


Wenn man wirklich eine «Weltstadt im Kleinformat» sein will, muss man vielleicht für einmal den verteufelten und doch selbst so stark gelebten Konservatismus zur Seite legen und den Geist öffnen für neue Ideen. Meiner Meinung nach kann man sich auch weiterentwickeln und dabei trotzdem sich selbst bleiben. Und es wäre schon eine Weiterentwicklung, wenn man sich einmal für etwas anstatt gegen etwas einsetzt. Aber was letztlich bei aller Kritik doch gesagt sein muss: Dass ich aus einer Stadt komme, die so anders ist als der Rest der Schweiz – da bin ich auch ein wenig stolz darauf.


Info: Der 24-jährige Bieler Luca Brawand ist Musiker und hat einen Bachelor in Kommunikationswissenschaft und Medienforschung. 2018 hat er seinDebütalbum herausgegeben. LetztenDezember folgte die EP «Lonely Hearts Club Band».
kontext@bielertagblatt.ch

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