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Málaga

Camilla und Amaru rüsten sich gegen die Kälte

Eigentlich hat sich Camilla Landbø geschworen, nie mehr an einem Ort zu leben, an dem sie frieren muss. Die Sonnenstube Südspaniens schien deshalb der perfekte Wohnort zu sein. Doch sie hat die Rechnung ohne die Elektrizitätswerke gemacht.

Auf dem Weg zur Tankstelle: Amaru (im Bild) und Camilla gehen die Gasflasche wechseln, um zu Hause wieder warm duschen und kochen zu können. Bild: Camilla Landbø
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Camilla Landbø

Die Nasenspitze und die weit aufgerissenen Augen, das lugte unter der Decke hervor. Mehr ging nicht, sonst wäre ich erfroren. Mein Zimmer war eine Kühltruhe. Nur mit Mühe konnte ich ein- und ausatmen. Die erschwerte Sauerstoffzunahme war jedoch nicht wegen der Höhe, auf der Amaru und ich damals in La Paz auf 3500 Meter über Meer lebten. Sondern wegen des bleiernen Gewichts der zwei Wolldecken, die auf meine Lungenflügel drückten. So schläft man in den kalten Regionen von Bolivien: unter farbigen, zementschweren Decken aus Lama- und Alpakawolle. Mietet man sich dort in eine Wohnung ein, gehören Duvets nicht zur Standard-Einrichtung. Genau genommen existieren sie kaum.

Jene Zeit in den Anden Südamerikas lehrte mich: Zwar kann ich einfach leben, bescheiden. Aber Kälte und ein fehlendes flauschiges Bett, beides quält mich. Nach einer Zeit in Bolivien traf ich einen grundsätzlichen Entscheid: Egal, in welchem Land ich mich niederlasse, meine erste Investition wird immer ein Duvet sein. Gleichzeitig beschloss ich, dass ich künftig nicht mehr an einem Ort leben werde, wo es oft sehr kalt ist und es keine Heizungen in Innenräumen gibt. Die Wahl fiel auf Spanien.

In Málaga ist der Winter eingekehrt. Klar, insgesamt gesehen ist er mild. Wenn man sich tagsüber in die Sonne setzt, muss man bei rund 20 Grad nach ein paar Minuten mindestens die Jacke ablegen. Die meisten ziehen ebenso den Pullover aus. Aber wenn die Sonne hinter den Häusern verschwindet, kühlt es merkbar ab. Und wenn es einnachtet, dann wirds wirklich kalt, finde ich. Die Temperatur sinkt im Durchschnitt auf 10 Grad. Wäre ja kein Problem, wenn unsere Wohnung eine Heizung hätte. Tja, dieser Wunsch von damals ging nicht in Erfüllung.

Exorbitante Stromrechnungen
In Málaga findet sich kaum ein Haus, in dem es eine Zentralheizung gibt. Wer Glück hat, besitzt eine moderne Klimaanlage im Schlaf- und im Wohnzimmer, die im Sommer kühlt und im Winter heissen Wind bläst. Alle anderen holen mit Ankunft der winterlichen Tage die elektrischen Heizkörper aus den Schränken und Kellern. Eine weitere Besonderheit Málagas ist, dass sehr viele Menschen mit Gas kochen und das Heisswasser über einen Gasboiler erhitzen. Nur, dass zahlreiche Gebäude nicht an einer Gasleitung angeschlossen sind. Was bedeutet: Gasflaschen müssen her!

Eine kleine Anleitung: Eine volle Gasflasche ist echt schwer. Ein bisschen leichter wird sie, wenn sie ausgepustet hat. Wann genau dies jedoch der Fall ist, lässt sich im Vorfeld kaum zeitgerecht erahnen. Nicht selten trifft die Leere in der Gasflasche ein, wenn man gerade viel heisses Wasser benutzt, sprich unter der Dusche. Das vorletzte Mal geschah das, als Amaru das Shampoo noch in den Haaren hatte. Weiter: Die Gasflasche wechselt sich nicht von selber und nicht sofort. Sondern: Ein «Gas-Mann» kommt zu Hause vorbei und bringt eine neue mit – dies aber nur am Dienstag oder am Donnerstag, und auf Anfrage.

Soviel zum Gas. Das grössere Kopfzer-brechen bereitet mir zurzeit die Elektrizität. Denn: In Spanien sind die Stromkosten schwindelerregend gestiegen. Im Vergleich zum letzten Jahr flattern mittlerweile Rechnungen ins Haus, die etwa doppelt so hoch sind, eher mehr. Sie müssen sich vorstellen, der übliche Lohn in Málaga beträgt um die 1200 Euro, wenns gut geht. Zurzeit treffen Stromrechnungen von rund 100 Euro pro Monat ein, je nach Grösse der Wohnung. Und jetzt kommt noch der Winter: Man müsste heizen.

Dreckige Wäsche stapelt sich
«Also wir bei uns werden nur hie und da und nur für kurze Zeit den Elektroofen anmachen», sagt meine Nachbarin Emilia, «das liegt einfach nicht in unserem Budget.» Mittlerweile sind die exorbitanten Stromkosten nicht nur tägliches Thema in den Zeitungen, sondern auch im Café am Morgen. Wie kann man den Winter überstehen, ohne allzu sehr zu frieren? Emilia und ihre Freundin Vanesa werden als erste Massnahme Thermopyjamas kaufen. Viele Malagueños decken sich zudem mit grösseren Duvets mit dem Etikett «besonders warm» ein. Auch wir haben das getan, sind letzte Woche zu Ikea gefahren, um unser Beginner-Duvet aus den Anfängen Málagas upzugraden. Was trafen wir an: gähnende Leere in den Regalen! Zum einen wegen der hohen Nachfrage. Zum anderen, weil es unterdessen weltweit ja auch Probleme bei den Lieferketten gibt. Glück im Unglück: In der Restposten-Abteilung von Ikea fanden wir ein allerletztes XL-Duvet, damit wir in besonders kalten Nächten das Bett teilen können.

«Um Strom zu sparen, wasche ich die Kleider nur noch einmal pro Woche», fährt Emilia fort. In Andalusien existieren gemeinschaftliche Waschräume in Mehrfamilienhäusern nicht. In jeder Wohnung steht eine Waschmaschine. Ein Diagramm, das angibt, um welche Uhrzeit der Strom am billigsten ist, hat in der spanischen Bevölkerung die Runde gemacht. Seither waschen die meisten ihre Kleider zwischen Mitternacht und8 Uhr oder am Wochenende. «Und ich möchte einen kleinen Generator mit Solarzellen kaufen, damit ich zumindest mein Handy und meinen Laptop nicht über die Steckdose aufladen muss», sagt Vanesa. Ja, es ist blanke Realität: Die Energiekosten in Spanien gehören zu den höchsten Europas, einige Unternehmen haben deshalb bereits ihre Produktion ausgesetzt.

Wenn niemand an der Tür klingelt
Zurück zum Gas: Als vor rund zwei Wochen die Flasche leer war, rief ich subito den «Gas-Mann» an und hinterliess auf dem Anrufbeantworter eine Bestellung. Dabei war ich leicht angespannt, da am nächsten Tag Donnerstag war, was bedeutet: letzter möglicher Liefertag vor Wochenende. Am Donnerstag erhielt ich weder einen Rückruf, noch klingelte bei mir jemand mit Gasflasche im Gepäck an der Tür. Der «Gas-Mann» tauchte einfach nicht auf. Holy shit! Verzweifelt erzählte ich es Vanesa, sie beruhigte mich sogleich: «Bei der Tankstelle kannst du jederzeit deine Gasflasche gegen eine neue eintauschen.» Also schleppten Amaru und ich noch am gleichen Tag die leere Gasflasche auf dem Gestell eines umfunktionierten Einkaufswagens zur nächsten Tankstelle. Für rund 20 Euro bekamen wir eine volle. Wir benötigen pro Monat mindestens zwei. Ja, auch der Gaspreis ist gestiegen.

Sie sehen, wir befinden uns in einer Energiekrise: Unter zwei zentnerschweren Lama-Decken, die so drücken, dass einem der Körper wehtut, müssen wir nicht mehr schlafen. Aber zu Hause im Thermopyjama und dicken Pullovern sitzen, das zweifelsohne. Würden wir so heizen wie letztes Jahr, könnte uns eine monatliche Rechnung zwischen 350 und 450 Euro drohen. Einen kleinen Lichtblick gibt es: Unsere Wohnung hat ein Cheminée, was eher unüblich für Málaga ist. Die schlechte Nachricht: Auch Holz ist teuer. Aber nach reiflichem Abwägen und nach dem Erstellen eines Landbø-Energieplans habe ich entschieden, dass in den nächsten Monaten jeder Samstag der Cheminée-Tag sein wird.

Aber klar, das mit dem Nie-wieder-frieren, das ich mir in Bolivien geschworen hatte, daraus wird diesen Winter definitiv nichts. Zumindest nicht während der ganzen 24 Stunden. Trotz allem, die Hoffnung stirbt zuletzt. Und bis dahin tausche ich mich weiterhin im Café mit den Nachbarn aus und höre mir Ideen und Ratschläge an oder lasse mich von Zeitungsartikeln inspirieren, die zurzeit in Spanien erscheinen, mit Titeln wie: «Sechs Tipps, wie man sein Zuhause aufheizen kann – ohne Elektrizität und ohne Gas.»

Stichwörter: Malaga, Spanien, Fernweh

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