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Innovation

CO2-Deponie im Untergrund von Island

Das Zürcher Spin-off Climeworks filtert Treibhausgas aus der Luft. Das Unternehmen will damit dem Klima helfen und Geld verdienen.

In dieser isländischen Anlage wird das CO₂ in den basaltischen Untergrund geleitet. Dort reagiert es mit dem Gestein zu einem harmlosen Carbonatmineral. Arni Saeb
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Martin Läubli

Vor gut einem Jahr machten sie mit einer ungewöhnlichen Anlage auf dem Dach der Kehrichtverwertung Zürcher Oberland (Kezo) Schlagzeilen. Goldrichtig auf den Klimabericht des Weltklimarates IPCC terminiert, verkünden sie nun wieder eine Weltneuheit. Die Zürcher Firma Climeworks plant, im nächsten Jahr CO zu verkaufen, welches das Unternehmen aus der Umgebungsluft filtert und im Untergrund speichert. «Wir offerieren Privaten, Unternehmen, Institutionen und Ländern weltweit eine Gelegenheit, vergangene, gegenwärtige oder sogar künftige Emissionen quasi zurückzuholen», sagt Christoph Gebald, Mitbegründer von Climeworks.

Gebald ist geradezu euphorisch. Die Technologie funktioniere nicht nur, sondern sei auch sicher, lässt er sich in einer Firmenmitteilung zitieren. Der Grund für seine Zuversicht ist ein Projekt in Island, das seit einem Jahr im Geothermie-Kraftwerk in Hellisheidi von Reykjavik Energy läuft. Dort ist ein patentiertes Modul von Climeworks installiert, wie es in der Anlage in Hinwil mit 18 Modulen seit 2017 im Einsatz ist: Ein Ventilator saugt Aussenluft an. Ein spezielles Filtermaterial, etwa aus Zellulose, bindet ungefähr 50 Prozent des CO chemisch an dessen Oberfläche. Mithilfe von Abwärme wird das Treibhausgas bei 100 Grad Celsius aus dem Filter gelöst.

 

Ehrgeiziges Ziel
In Hinwil gelangt das gefilterte CO in die angrenzenden Treibhäuser eines Gemüseproduzenten zur Begasung von Gemüse. In Island hingegen, und das ist nun für den Klimaschutz wichtig, wird das abgeschiedene Gas in den basaltischen Untergrund geleitet. Dort reagiert es mit dem Gestein innerhalb von zwei Jahren zu einem harmlosen Carbonatmineral.

Die sogenannte direkte CO-Abscheidung aus der Luft und die anschliessende Speicherung im Untergrund sind Teil des Forschungsprojekts CarbFix2, das vom EU-Forschungsprogramm Horizon 2020 gefördert wird. Das Management von Reykjavik Energy glaubt, in Zukunft auf seinem Kraftwerkgelände mehrere Tausend bis Millionen Tonnen CO aus der Atmosphäre zu beseitigen.

Das Zürcher Start-up Climeworks hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2025 ein Prozent der globalen Emissionen aus der Luft zu waschen. Das entspricht jährlich rund 300 Millionen Tonnen CO. Das ist ein Bruchteil dessen, was in Zukunft aus der Luft gefiltert werden müsste, wie der Weltklimarat IPCC gestern in einem neuen Klimabericht aufzeigte. Er rechnet mit 100 bis 1000 Milliarden Tonnen CO, die aus der Atmosphäre entfernt werden müssten, je nachdem, wie schnell die Treibhausgase sinken, indem etwa Kohle und Erdöl durch erneuerbare Energieformen ersetzt werden.

«1000 Milliarden Tonnen sind kaum zu erreichen», sagt Andreas Fischlin, ETH-Klimaforscher und Vizevorsteher beim IPCC. Das Potenzial der direkten CO-Filterung aus der Atmosphäre liegt gemäss einer Einschätzung der Schweizer Akademien der Wissenschaften bei einer Abscheidung von 500 Millionen bis 10 Milliarden Tonnen CO pro Jahr.

 

Grosser Flächenbedarf
Für Andreas Fischlin ist deshalb das nächste Jahrzehnt entscheidend. Je früher die Trendwende bei den Emissionen erreicht wird, desto weniger ist man von solchen Technologien abhängig. Die direkte Filterung ist dabei nur eine von verschiedenen Optionen. Die am besten bewährte ist die Wiederaufforstung von ehemaligen Waldflächen, die CO binden. Hier liegt das Problem jedoch beim Platzbedarf und einem hohen Wasserbedarf. Zudem könnten Aufforstungen Flächen für die Nahrungsmittelproduktion konkurrenzieren. Das gilt, wenn auch nicht in diesem Ausmass, auch für Bioenergie-Kraftwerke, deren CO-Emissionen im Untergrund gebunkert werden. Als Energiequelle werden etwa Energiehölzer angepflanzt.

Die Technologie von Climeworks hat in dieser Hinsicht die besten Karten. Allerdings verlangt sie viel Energie für die Abscheidung und Speicherung. Dies ist jedoch in Island mit dem grossen Angebot an Wärmeenergie – ohne CO-Emissionen – kein Problem. Climeworks will in den nächsten Jahren in Island mindestens so viel wie in Hinwil aus der Luft filtern, 900 Tonnen pro Jahr. Das Unternehmen hofft, den Preis für eine Tonne von 600 auf 200 Franken senken zu können.

Unternehmen oder sogar Staaten, die sich bei Climeworks künftig von der Bürde der Emissionen entlasten möchten, können sich damit aber nicht von staatlichen oder internationalen CO-Auflagen befreien. Der Grund: Die CO-Speicherung ist noch zu wenig erprobt, und es gibt keinen international anerkannten Standard. Wer also derzeit für Geld CO filtern lässt, macht es für das grüne Image.

 

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Mit Schweizer Milliarden zum CO2-Staubsauger

Die Schweiz soll bei der Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre mithelfen. Klimaschützer wollen die Finanzierung frühzeitig sichern. Das Zürcher Spin-off Climeworks filtert Treibhausgas aus der Luft. Das Unternehmen will damit dem Klima helfen und Geld verdienen.

Der neue Bericht des Weltklimarats IPCC zeigt es auf: Um die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad begrenzen zu können, muss nicht nur der Ausstoss von Treibhausgasen rasch sinken. Nötig sind auch negative Emissionen, also die grossflächige Entfernung von CO aus der Atmosphäre und deren dauerhafte Entsorgung im Untergrund. Zumindest enthalten fast alle Szenarien im IPCC-Report diese Massnahme.

Offen ist nicht nur, inwieweit sich ein solches Vorhaben technisch je im grossen Stil realisieren lässt. Unklar ist auch die Finanzierung. Hier hakt die Klima-Allianz Schweiz ein, ein Verbund aus mehr als 70 Organisationen, darunter SP, Grüne und GLP sowie diverse Organisationen aus den Bereichen Umwelt, Entwicklungszusammenarbeit und Kirchen. Die Allianz will ein neues Instrument schaffen: den sogenannten Klima-Zukunftsfonds. «Jeder, der heute CO ausstösst, muss damit rechnen, dass man dieses CO wieder aus der Atmosphäre zurückholen muss», sagt Christian Lüthi, Geschäftsleiter der Klima-Allianz Schweiz. In Zukunft müsse daher jeder eine Rückhol- und Entsorgungsgebühr bezahlen – ganz im Sinne des Verursacherprinzips.

Da die nötigen Technologien heute noch nicht genügend erprobt sind, flössen diese Gelder in einen Fonds. Die Klima-Allianz Schweiz rechnet mit Kosten von 200 Franken pro Tonne CO, welche die Verursacher bezahlen müssten, zum Beispiel beim Kauf von Produkten oder bereits bei der Produktion und dem Import der Güter, von Energie und Lebensmittel. Der Fonds würde bis 2050 mit circa 189 Milliarden Franken geäufnet, so die Klima-Allianz Schweiz. Dieser Zahl liegt die vorsichtige Schätzung zugrunde, dass die Schweiz zwischen 2021 und 2050 noch 945 Millionen Tonnen CO ausstossen wird.

 

Verursacherprinzip einhalten
Ein Teil der Gelder, so die Idee, würde bis 2050 für laufende Projekte zum CO-Entzug eingesetzt. Die Generation der heutigen Jugend würde dann selber entscheiden, wie viel Geld sie aus dem Fonds entnähme und ob diese Beträge reichten, um auch einen Teil der laufend entstehenden Klimaschäden zu entschädigen. «Das Verursacherprinzip wäre so eingehalten», so Lüthi. Der neue Klimaschutz-Fonds hat ein Vorbild, und zwar im Atombereich: den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds.

Ersterer wurde 1984 gegründet, letzterer im Jahr 2000. Der Entscheid dafür oblag in beiden Fällen dem Bundesrat, der die entsprechenden Verordnungen erliess. Es war Moritz Leuenberger (SP), der 1999 als Umweltminister nach der Stilllegung der Atommeiler auch die Entsorgung der Atomabfälle finanziell sicherstellen wollte. Mit seinem Vorschlag reagierte er nicht zuletzt auf eine Aufsichtsbeschwerde gegen den Gesamtbundesrat, mit der Atomkraftgegner Druck aufsetzen wollten.

Vor diesem Hintergrund will die Allianz nun auch im fossilen Bereich das Bewusstsein dafür schaffen, «dass Kosten anfallen, die in Zukunft nicht gedeckt werden können». Im Parlament indes hat es der Vorschlag schwer. Bürgerliche Politiker winken reihum ab. «Die Bildung eines Fonds wäre wieder ein Alleingang der Schweiz», sagt SVP-Nationalrat Hansjörg Knecht. Bereits heute habe die Schweiz den höchsten CO-Abgabesatz weltweit. Eine weitere Anhebung schwäche die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Unternehmen. Die CO-Abgabe beträgt derzeit 96 Franken pro Tonne. Sie fällt nur auf Brennstoffe an, nicht aber auf Treibstoffe.

Peter Schilliger bezeichnet den Vorschlag gar als «Politisieren in der Traumwelt». Die Realität sieht der FDP-Nationalrat so: Das Parlament muss das CO-Gesetz demnächst revidieren und dabei zwei Ansprüche berücksichtigen. Das Resultat muss den Verpflichtungen der Schweiz aus dem Pariser Klimaabkommen laut Schilliger «nahekommen» und breit akzeptiert sein. Stefan Häne

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