Sie sind hier

Abo

Kafipause

Damals, als ich reich wurde

Erinnern Sie sich? An damals, als Sie ihren ersten richtigen Lohn erhalten haben? Als die Zeit des Taschengelds vorbei war und fortan monatlich richtig viel Kohle auf dem Konto landete?

Parzival Meister
  • Dossier

Parzival Meister

Ich weiss es noch. Ich war 16 Jahre jung. KV-Lehrling. Und am 25. August waren da plötzlich vierhundert-irgendwas Franken auf meinem Konto. So viel Geld hatte ich noch nie zuvor auf einmal bekommen. Und es würde Monat für Monat so weitergehen. Im zweiten Lehrjahr sollte es sogar noch besser werden. Im dritten nochmals eine Steigerung. Ich war reich. Dachte ich zumindest. Bis ich mit der ersten EC-Karte im Portemonnaie durchs Leben zog, das Zug-Abo bezahlte, auswärts zu Mittag ass, mir neue Sneakers kaufte, ... 

Die Erkenntnisse von damals sollten sich im Leben immer wieder bewahrheiten. Erstens: Mit steigendem Lohn steigen die Bedürfnisse. Und zweitens: Nichts scheint so weit entfernt wie der nächste Zahltag. Hinzu kommt: Das Leben wird, je älter man wird, desto teurer. Immer mehr Abzüge, immer mehr Steuern, immer höhere Krankenkassenprämien. Plötzlich bekommt man ganz viele Briefe, und 99 Prozent davon sind Rechnungen. Und Werbung.

Vor kurzem hat unser Junior seinen ersten Lehrlingslohn bekommen. Er macht das KV, wie ich damals. Sein Lohn ist zwar höher als meiner zu dieser Zeit, ansonsten aber ist alles wie früher. Es war «härzig», zu sehen, wie er den Tag ersehnte, an dem er reich sein würde. Er machte Pläne, wie viel er wird sparen können – und dabei trotzdem noch mehr als genug übrig haben wird. Meine Worte, dass seine Kalkulationen nicht aufgehen würden, weil erstens und zweitens, prallten an ihm ab. Schon gut. Er sollte träumen.

Es kam der 25. Unterdessen hatte er die Roller-Prüfung bestanden. Und plötzlich war da dieser Wunsch nach einem Mini-Töff, der den ersten Lohn gar nicht mehr so gross erscheinen liess.

Ich schätze ihn grundsätzlich als sparsameren Menschen ein, als ich es damals war. Er wird sein Geld nicht kopflos auf den Kopf hauen. Aber dass das Leben teuer ist, wird er noch mehr als einmal zu spüren bekommen. Das aber will ich ihm nun nicht mehr immer wieder unter die Nase schmieren. Er soll glauben, dass es besser werden wird.

Ich jedenfalls glaube das immer noch. Irgendwann werden alle unsere Kinder auf ihren eigenen Beinen stehen. Irgendwann werden meine Frau und ich unser Geld nur noch für uns ausgeben. Dann, ja dann werde ich endlich reich sein. Und nein, an alle, die schon soweit sind: Ich will gar nicht wissen, was Ihr mir dazu sagen wollt.

Nachrichten zu Fokus »