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Lebensmittel

Das Auge isst mit

Farben beeinflussen unser Essverhalten nachhaltig. Die einen mögen bunte, die anderen einfarbige Lebensmittel. Farben wecken Erwartungen oder raten uns vom Genuss ab.

Warme Farben wie Rot, Orange, Gelb oder Braun regen den Appetit an. Bild: Pixabay

Angela Bernetta


Menschen sind visuelle Wesen. Sie mögen schöne Dinge. So erscheint ihnen ein sattroter Apfel um einiges begehrlicher als ein blassgelber schrumpeliger. Auch naschen sie lieber von bunten Süssigkeiten als farblich sortierten, wie eine US-Studie kürzlich belegte. Denn das Auge isst mit. Doch nicht alle Farbenvariationen vermögen zu begeistern. Pinker Kartoffelstock an blauer Sauce beispielsweise wird lediglich von Kindern geliebt. Erwachsene haben gelernt, dass es eben keinen pinken Kartoffelstock gibt. Bereits unsere Vorfahren orientierten sich bei der Nahrungssuche an den Farben der Natur. Und lernten so, welche Produkte geniessbar sind und welche man meiden sollte.


Warme und kalte Farben
Was früher dem Überleben geschuldet war, beeinflusst unser Essverhalten noch heute. «Wenn uns die Farbe und das Aussehen eines Nahrungsmittels gefallen, dann macht das Lust auf mehr», sagt Nicole Meybohm, ernährungspsychologische Beraterin mit eigener Praxis und Präsidentin des Schweizer Berufsverbands epb-Schweiz. Noch vor dem Essen weckt der visuelle Eindruck eine Geschmackserwartung. Denn gut aussehende Produkte suggerieren Qualität, ein satter Farbton verspricht Frische und Geschmack.
«Warme Farben wie Rot, Orange, Gelb oder Braun regen den Appetit an», ergänzt Nicole Meybohm. Unternehmen wie die Migros oder eine amerikanische Fast-Food-Kette nutzen diese Erkenntnis geschickt und verwenden warme Farbtöne nicht nur für das Firmenlogo. «Kalte Farben wie Blau, Schwarz und Violett hingegen weisen uns ab.» Bereits unsere Vorfahren sollen einen Bogen um Nahrungsmittel in diesen Farben gemacht haben, sind sich Lebensmittelforscher einig. Sie weisen auf Gift und Fäulnis hin.
Farbassoziationen bilden sich beim Menschen früh aus. «Bereits von klein auf lernen wir, anhand der Farbe auf Reife und Zustand eines Nahrungsmittels zu schliessen», erklärt Nicole Meybohm. Welche Speisen und Getränke wir letztlich aber mögen, hängt auch von Familie und Kultur ab. Kinder sind offen und lieben buntes Essen. «Während ihrer Entwicklung durchleben sie intensive Farbphasen und essen gerne mal Gerichte mit den verrücktesten Farbkombinationen.»


Farbpräferenzen verrücken
Geschmackserwartungen lassen sich manipulieren. Nicole Meybohm berichtet von einem Experiment, bei dem die eine Gruppe der Probanden gesüssten weissen und die andere ungesüssten, rot eingefärbten Naturjoghurt vorgesetzt bekamen. «Die Testenden waren verwirrt, da sie beim Verkosten jeweils das Gegenteil erwarteten.» Erkenntnisse wie diese macht sich die Lebensmittelindustrie zunutze und setzt zusätzlich Farbstoffe ein, um den Konsumierenden mehr Aroma vorzugaukeln.
Auch Food- und Gesundheitstrends können Farbpräferenzen verrücken. «Derzeit sind violette Kartoffeln und lila Blumenkohl gefragt», sagt Nicole Meybohm. Violette Früchte und Gemüse weisen einen hohen Anteil an Anthocyane auf. Diese sekundären Pflanzenstoffe gelten als gesund und lassen viele ihre Abneigung gegen dunkelfarbene Produkte überwinden.


Gehirn nimmt Geschmack wahr
Geschmack ist die Summe aller Sinneswahrnehmungen. «Crossmodale Wahrnehmung heisst der Prozess, der die verschiedenen Sinneswahrnehmungen miteinander in Beziehung setzt», erklärt Nicole Meybohm. «Von Geburt an lernen wir so, wie beispielsweise Muttermilch schmeckt.» Das sinnliche Erleben bleibt haften und formt nach und nach unser Essverhalten. «Bei allem, was wir wahrnehmen, dominiert in unserer Gesellschaft der Sehsinn», ergänzt die ernährungspsychologische Beraterin Michaela Picker-Bailer. Da Schmecken und Riechen noch keinen eindeutigen Schluss auf ein Lebensmittel zulassen, helfen die Augen, dieses auf seinen Zustand hin zu identifizieren. «Im Gehirn werden die verschiedenen Sinneseindrücke dann miteinander verknüpft, so dass dort die eigentliche Geschmackswahrnehmung entstehen kann.»
Ernährungspsychologen zufolge beeinflusst das limbische System unser Essverhalten massgeblich. In dieser Region des Gehirns entstehen Wünsche, Triebe und Gefühle. Dieser unbewusst arbeitende Teil sei dafür verantwortlich, dass wir uns bisweilen unvernünftig ernähren oder bestimmte Gerüche mit Erinnerungen assoziieren.


Ins rechte Licht rücken
Bei der Vermarktung ihrer Produkte nutzt die Lebensmittelindustrie unsere Erwartungen gezielt. Oft geht die optische Präsentation von Lebensmitteln in Supermärkten einher mit einer farbigen Beleuchtung, die Gemüse, Früchte, Fleisch und Co. ins rechte Licht rücken. Auch werden fade Produkte gerne in roter, gelber oder oranger Verpackung präsentiert. «Und in der Werbung werden geschickt Bilder und Geräusche miteinander kombiniert, um beim Konsumenten Erwartungen und folglich die Kauflust zu wecken», ergänzt Michaela Picker-Bailer.
Interessant ist das Ergebnis einer kürzlich durchgeführten Studie der Universität Oxford. Die Forscher und Forscherinnen fanden heraus, dass rote Teller offenbar den Hunger schmälern. Bei den Versuchen zeigte sich, dass die Probanden und Probandinnen weniger von roten als von Tellern anderer Farben assen.
Was bei Lebensmitteln anziehend wirkt, schreckt offenbar beim Geschirr ab. Rot sei die schlechteste Farbe für Geschirr, wenn Menschen aus gesundheitlichen Gründen essen sollten, präzisieren die Wissenschaftler. Es könnte aber auch daran liegen, dass die Farbe Rot in vielen Kulturen als Warnsignal verwendet wird und uns rote Teller deshalb einfach nur abschrecken.

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