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Verbrechen

Das Luder mit dem Engelsgesicht

Man nannte Josette Bauer «die letzte Hexe von Genf». Denn um ihren ausschweifenden Lebensstil zu finanzieren, 
brachte ihr Mann ihren Vater um. Doch das waren Kinkerlitzchen verglichen mit dem, was folgte.

Josette und Richard Bauer bei der Urteilsverkündung 1961. Obwohl beide beteuerten, dass Josette nicht am Mord beteiligt war, erhielten beide eine Haftstrafe. Bild: Keystone

Irene Widmer, sda

Der Mord am leidlich reichen Kleinunternehmer Léo Geisser in der Nacht vom 8. auf den 9. November 1957 war ein Overkill – sieben Stiche in Brust und Rücken, dazu zahllose Schläge mit einem stumpfen Gegenstand. Da war eine grössere Wut am Werk als das blosse Ressentiment gegen einen geizigen Schwiegervater.

Das Ehepaar Bauer, das in diesen Mord verwickelt war, war eines jener Paare, von denen man denkt: «Wie hat der die bloss gekriegt und warum hat die den genommen?» Josette Bauer, geborene Geisser, war eine natürliche Schönheit mit einer kindlichen Ausstrahlung aber mondänen Vorlieben, süchtig nach rassigen Sportwagen, reinrassigen Pferden und rässen Mannsbildern, die was zu bieten hatten – wie der Pilot, der ihr das Fliegen beibrachte.

Richard Bauer dagegen war in jeder Hinsicht mittelmässig, ein klassischer «Bürogummi». Der einzige Ehrgeiz, den er jemals im Leben entwickelte, war der, von Josette geliebt zu werden ... oder zumindest geachtet ... oder im Minimum wahrgenommen ...

 

Glück ist den Dummen hold

Sie war noch ein Teenager gewesen, als sie Richard heiratete. Sie wollte weg von ihren Eltern, die sie seit der Scheidung hin- und herschoben. Weg vom Vater, der von einem stürmischen Liebesleben mit jungen Damen in Anspruch genommen wurde. Fort von der Mutter, die Liebe und Scheckheft verwechselte.

Mit Richard tat Josette einen ungeplanten Glücksgriff: Kurz nach der Hochzeit starb sein Vater und hinterliess dem jungen Paar eine Villa und ein paar hunderttausend Franken. Doch das Erbe schmolz wie Buttercrème-torte in der Sauna, bald war nichts mehr da. Wenn ihr Vater stürbe, würde sie erben, sagte Josette einmal im Scherz. «Dicky», wie sie ihn nannte, horchte auf.

 

Der Versager schlägt zu

Er reiste nach Marseille und kaufte sich ein Schiesseisen. Ihr kam seine Abwesenheit zupass, sie hatte mehrere Liebhaber zu betreuen. Zum Testschiessen im Wald ging sie mit, doch die Pistole funktionierte nicht, typisch Dicky! Mehrmals begab sich Richard danach abends mit Knarre, Dolch und einem selbst gebastelten Knüppel vor die Villa des Schwiegervaters an der Genfer Rue de Lyon – nur um unverrichteter Dinge zurückzukehren.

Josette machte sich lustig darüber, auch am 8. November 1957, bevor sie mit einem ihrer Geliebten in Rolle um die Häuser zog ... Als sie zurückkam, gestand Richard ihr den Mord und sie ihm ihre Seitensprünge. Dann half sie, seine blutigen Klamotten zu verbrennen. Das sollte ihr vor Gericht nicht zum Vorteil gereichen ...

Fast zwei Jahre benötigten die Genfer Strafverfolgungsbehörden, um einen wasserdichten Fall zusammenzuschustern. Ausschlaggebend war ein Haushaltsgegenstand: Dicky, der Tölpel, hatte die Reste des Besens, aus dem er den «stumpfen Gegenstand» fabriziert hatte, im Hause behalten.

Vor Gericht im Herbst 1959 beharrte er wie sie darauf, dass Josette nichts damit zu tun habe. Die Jury mochte das nicht glauben. Eine Frau mit so einem liederlichen Lebenswandel war prädestiniert für ein Verbrechen aus Habgier! Dass sie beim Schusswaffentest im Wald mit dabei gewesen war und später bei der Spurenbeseitigung half, waren Indizien. Richard erhielt 15, Josette 8 Jahre Zuchthaus.

 

Die Freiheit nehm’ ich mir

Im Gefängnis entdeckte die unschuldige Vatermörderin die Frauenliebe – und blieb dabei. Denn während Männer sie in den Knast brachten – Dicky war nicht der letzte – gaben Frauen ihr die Freiheit. Ihre Kerkergeliebte Claudine und eine Kollegin von draussen halfen ihr, im Herbst 1964 aus dem Berner Frauenspital, wohin sie für eine Operation gebracht worden war, abzuhauen.

Josette war der Ansicht, sie hätte sich die Freiheit verdient. Sie hatte zwei Drittel ihrer Strafe abgesessen – normalerweise der Zeitpunkt, um auf Bewährung entlassen zu werden. Nicht so für Josette. Ihre Anträge wurden durch alle Instanzen abgelehnt. Einmal Hexe, immer Hexe.

Auf ihrer Flucht, die 17 Jahre lang dauern sollte, erlebte Josette genug Stoff für einen Thriller, wenn nicht zwei. Sie liess sich in Paris das Gesicht operieren – «schön oder hässlich, egal, Hauptsache anders», sagte sie zum Chirurgen. Sie arbeitete als Pferdetrainerin in Spanien und Algerien, als Lasteselin für den Drogenhändler-ring French Connection und als Singvögelchen für das FBI.

 

Gangsta’s Paradise

Josette hiess nun Paulette Fallai und besass gültige Papiere, gekauft von einer Behinderten, die sie nicht benutzte. Im August wurde sie in Port Everglades, Florida, zusammen mit dem Lausanner Kleinkriminellen Willy Lambert verhaftet. Die beiden hatten 28 Pfund Heroin ins Land geschmuggelt – damals US-Rekord.

Die Schweiz beantragte die Auslieferung, gemäss einem Abkommen von 1900. Doch Josette ging einen Deal ein: Informationen über die Hintermänner der French Connection im Austausch gegen die Ablehnung der Auslieferung und eine reduzierte Haftstrafe.

Sie habe ein exzellentes Gedächtnis für Namen, Daten und Orte gehabt, hiess es später in Memos der Staatssekretäre Henry Kissinger und Cyrus Vance. Die USA waren ihr zu Dank verpflichtet; sie erhielt 7 statt 40 Jahre Haft und das Versprechen, nicht ausgeliefert zu werden.

Als sie nach zwei Jahren aus dem Gefängnis ausbrach, drückten die Behörden beide Augen zu. Sie liessen Paulette/Josette, die nun Jean Baker hiess, unbehelligt mit ihrer Lebenspartnerin ein bürgerliches Leben führen als Pferdetrainerin und Reittherapeutin in New Mexiko und Kalifornien. Beinahe hätte die Genferin sich sogar fürs US-Olympiateam der Dressurreiter qualifiziert.

 

Das Tauziehen geht weiter

Derweil ging das diplomatische Tauziehen weiter. Die USA drängten die Schweiz, den Auslieferungsantrag zurückzuziehen. Einerseits, weil Josette in Europa nicht sicher war vor der Rache der Drogenmafia, andererseits weil das FBI nicht durch einen Wortbruch künftige Whistleblower verschrecken wollte.

Der Wind drehte 1981: Der Kopf der Drogenbande, den Josette hatte hochgehen lassen, starb, von ihm hatte sie nichts mehr zu befürchten. Und die Schweiz gewann als Vermittlerin in der Geiselaffäre von Teheran für die USA an Bedeutung. Beides mündete in Josettes Auslieferung.

 

Kein Recht auf Vergessen

Sie musste ein paar Monate ihrer verbliebenen zweieinhalb Jahre absitzen. Die Organisation Terre des femmes wollte ihre vorzeitige Entlassung erreichen, aber Josette lehnte das entschieden ab: Es wäre einem Schuldeingeständnis gleichgekommen. Und sie hatte doch für den Tod ihres Vaters nichts gekonnt!

2001, da war Josette Bauer 65 und hatte noch drei Jahre zu leben, widerfuhr ihr ein letzter Skandal: Bei der Präsentation ihrer Biografie «Une femme en cavale» auf der Genfer Buchmesse wurde sie vor versammeltem Publikum als Hure beschimpft, «kaufen Sie diesen Schund nicht!», beschwor eine Dame die Messebesucher.

Es war der letzte Versuch, den Scheiterhaufen anzuzünden ...

Stichwörter: Verbrechen, Mord

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