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Der Grossvater auf Pikett

Seit mir Marcel sein Grossvatersein geschildert hat, bin ich zu diesem Lebensabschnitt etwas defensiver eingestellt.

Niklaus Baschung

Niklaus Baschung

Marcel: «Doch, doch, das macht schon sehr viel Freude. Mit unserem Justin. Er entdeckt neugierig die Welt, rennt den ganzen Tag herum, ist in einer Sekunde hier oder dort und schon wieder woanders. Das macht wirklich ganz grossen Spass. Meine Frau und ich haben ja nicht mehr mit einem Kind gerechnet. Sie geht schon gegen die 70 und ich bin schon darüber. Aber ein Enkel, das ist ein grosses Geschenk, deshalb heisst es wohl auch Grosskind. Der wird dir plötzlich in die Wiege gelegt, auch wenn du gar keine Wiege mehr hast.

Jetzt blühen wir richtig auf. Gestern habe ich im Garten den halben Vormittag mit Justin Fussball gespielt, er als Ronaldo und ich als Pelé. Von Pelé, dem Weltmeister von 1958, 1962 und 1970 hat Justin erstaunlicherweise noch nie etwas gehört. Ich habe Ronaldo deshalb zur besseren Anschauung in Grund und Boden gedribbelt, Rochade links, Haken rechts, Innenrist, Aussenrist, bis ich verletzt ausgewechselt werden musste. Mit Verdacht auf Muskelfaserriss. Meine Frau hat dann als Auswechselspielerin zusammen mit Ronaldo eine Rüeblitorte gebacken.

Wichtig ist eine gute Organisation. Mittwoch ist unser Justin-Tag. Am Donnerstag und Freitag erholen wir uns davon. Am Wochenende sind wir auf Pikett. Max, der Vater von Justin, hat als Ingenieur einen aufreibenden Vollzeitjob. Und unsere Tochter ist im Kader einer Produktionsfirma beschäftigt, weniger als eine 80-Prozent-Arbeitsstelle liegt da nicht drin. Samstags und sonntags sind die beiden dann manchmal erschöpft und benötigen dringend Ruhe. Und wir springen gerne ein, haben uns ja zuvor zwei Tage lang aufbauen können. Am Montag und Dienstag geht Justin sowieso wieder in die Kinderkrippe. Ausser er ist krank.

Früher, als Justin noch nicht laufen konnte, hat auch die Mutter von Max mitgeholfen. Mit ihren zwei neuen Hüftgelenken ist ihr nun der Enkel viel zu flink geworden. So holen wir Justin von der Krippe ab, wenn er dort mit Fieber auftaucht oder sonst eine Unpässlichkeit hat. «Erstaunlich, wie oft Kinder heute krank werden können», hat meine Frau schon gesagt. «Wahrscheinlich haben wir früher seltener Fieber gemessen», habe ich sie getröstet. Bei uns scheint Justin jedenfalls schnell wieder 
gesund zu werden.

Gestern hat unsere zweite Tochter, die jüngere, angerufen. Sie will uns morgen besuchen und eine 
erfreuliche Nachricht mitteilen. 
Ich habe mich davor gehütet, konkreter nachzufragen. Und im Notfall haben wir am Donnerstag und Freitag noch überhaupt nichts vor. Da sind wir nicht einmal auf 
Pikett.»

Diese Erzählungen von Marcel stimmten mich nachdenklich. 
Daraufhin habe ich ihm erklärt, 
dass dieser Pelé heute extrem überschätzt wird. Wirklich. Mein Enkel wird einmal gegen Zinédine Zidane nicht die geringste Chance haben.

Stichwörter: Neulich, Meinung, Grossvater

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