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Titelgeschichte

Der Trojaner

Nicht nur er hat daran geglaubt, dass es die Stadt Troja wirklich gab. Aber nur er hat nach ihr gegraben und sie gefunden. Heute vor 200 Jahren wurde Heinrich Schliemann geboren.

Heinrich Schliemann war ein knallharter Geschäftsmann, der aber den romantischen Traum hatte, Homers Troja zu finden. Bilder: zvg

Beat Kuhn

Der Trojanische Krieg ist ein bedeutendes Ereignis in der griechischen Mythologie. Auslöser ist die Entführung von Helena, der schönen Ehefrau des Griechen Menelaos, König von Sparta, durch Paris, Sohn des trojanischen Königs Priamos. Um sie zurückzuholen und sich zu rächen, ziehen die vereinten Griechen gegen die Trojaner in den Krieg.

Trotz zehnjähriger Belagerung gelingt es nicht, die Stadt zu erobern. Da verfallen die Griechen auf eine Kriegslist: Sie bauen ein riesiges hölzernes Pferd, in dem sich ihre tapfersten Krieger verstecken, und täuschen vor, dass sie mit ihren Schiffen wegsegeln. Trotz Warnungen aus ihren eigenen Reihe holen sie das Pferd in die Stadt. In der folgenden Nacht klettern die Griechen aus ihrem Versteck und öffnen die Tore für ihre Truppen. So kann Troja doch noch besiegt werden.

 

Für die Antike etwas Reales

Das Epos mit dem Namen Ilias des Dichters Homer schildert entscheidende Szenen während der Belagerung von Troja – oder Ilion, wie es auch genannt wird – durch das Heer der Griechen. Dabei wird allerdings nur von 51 Tagen der zehnjährigen Belagerung berichtet. Die ebenfalls Homer zugeschriebene Odyssee schildert die Abenteuer des Königs Odysseus von Ithaka und seiner Gefährten auf der Heimkehr aus dem Trojanischen Krieg.

In der Antike wurde die Ilias als authentischer Bericht eines historischen Ereignisses verstanden, das sich zwischen dem 14. und 12. Jahrhundert vor Christus abgespielt hat. Im Laufe der Jahrhunderte änderte sich diese Sicht der Dinge, und bis in die Mitte des 19. Jahrhunderte ging man davon aus, dass die Geschichten aus diesem Krieg Volkssagen ohne jeglichen Bezug zur Realität seien. Bis Heinrich Schliemann kam.

 

Mit sieben Feuer gefangen

Am 6. Januar 1822 erblickt der Pastorensohn in einem Ort bei Rostock an der Ostsee das Licht der Welt. Im Alter von sieben Jahren erhält er zu Weihnachten ein Geschenk, das für sein Leben bestimmend sein wird: ein Geschichtsbuch für Kinder. In seiner Autobiographie wird sich Schliemann so erinnern: «Als der Vater mir Jerrers ‹Weltgeschichte für Kinder› schenkte und ich eine Abbildung des brennenden Troja fand mit seinen ungeheuren Mauern, da rief ich: ‹Vater, Jerrer muss Troja gesehen haben, er hätte es ja sonst nicht abbilden können. Wenn solche Mauern einmal gewesen sind, können sie nicht ganz vernichtet sein, sondern sind wohl unter dem Staub und Schutt von Jahrhunderten verborgen.› Wir kamen überein, dass ich dereinst Troja ausgraben sollte.» Der Vater dürfte dieses Ziel allerdings kaum ernstgenommen haben.

Kurz nach der Geburt ihres neunten Kindes stirbt Heinrichs Mutter, als er neun Jahre alt ist. Ein Jahr später kommt er darum in die Familie eines Onkels, der ebenfalls Pastor ist. Als Schliemanns Vater wegen seines Lebenswandels von seiner Kirchgemeinde des Amtes enthoben wird, kann er das Schulgeld für das Gymnasium, das Heinrich seit drei Monaten besucht, nicht mehr bezahlen, und dieser muss auf die Realschule wechseln. Mit 14 beginnt er eine Kaufmannslehre.

 

Auf Reise fast ertrunken

Nach Beendigung seiner Lehrzeit versucht Schliemann sein Glück in der Handelsmetropole Hamburg, erhält dort aber nur eine Stelle als Lagerarbeiter und erkrankt schwer. Völlig verarmt, denkt er wie viele Zeitgenossen an Auswanderung und nimmt eine Stelle in Venezuela an. Doch der Dreimaster, auf dem er dorthin reisen will, erleidet nach kurzer Fahrt in stürmischer Nacht Schiffbruch und sinkt. Sich an Schiffsplanken haltend, treiben Passagiere und Besatzung stundenlang auf dem Meer, ehe sie geborgen werden. Aus der Mission Auswandern wird also erst einmal nichts.

Zum Jahresende erhält Schliemann in Amsterdam eine Stellung als Bote in einem Handelshaus. Innerhalb eines Jahres lernt er Holländisch, Spanisch, Italienisch und Portugiesisch. Bei einer anderen Handelsfirma kann er Buchhalter werden, und weil diese enge Handelsbeziehungen zu Russland unterhält, lernt er Russisch. Im Laufe seines Lebens werden noch weitere Sprachen hinzukommen, auch Alt- und Neugriechisch. Mit 24 Jahren wird er nach St. Petersburg geschickt. Schon ein Jahr später gründet er ein eigenes Handelshaus und erwirbt die russische Staatsbürgerschaft.

 

Durch Kriegsgewinne reich

Auf Anraten eines seiner Brüder, der unter den Goldsuchern in Kalifornien ist, zieht Schliemann mit 28 Jahren in die USA. In Sacramento gründet er eine Bank für Goldhandel. Zudem beginnt er in amerikanische Eisenbahnprojekte zu investieren. Doch bereits zwei Jahre später kehrt er zurück nach Europa und heiratet eine russische Kaufmannstochter. Mit ihr wird er drei Kinder haben. Durch die Lieferungen von Munitionsrohstoffen – Blei, Schwefel und Salpeter – an die russische Armee im Krimkrieg (1853–1856) wird Schliemann reich.

Irgendwann scheint der erfolgreiche Geschäftsmann am Geldscheffeln keinen Gefallen mehr zu finden, merkt er, dass Geld allein nicht glücklich macht. So schreibt er dem Vater: «Ich glaube, man kann auch ohne Geschäfte leben.» 1864 zieht er sich im Alter von 42 Jahren aus dem Geschäftsleben zurück. Er beschliesst, sich ein Betätigungsfeld zu suchen, dem er schon von klein auf zugeneigt war: Der Selfmade-Millionär will sich seinen Kindheitstraum erfüllen, er will das Troja Homers entdecken.

 

Nicht er findet den Standort

Nun beginnt sein zweites Leben, das von Homer geprägt sein wird. Ab 1866 studiert er Sprachen, Literatur und Altertumskunde an der Universität Sorbonne in Paris. 1868 unternimmt er eine erste Forschungsreise nach Griechenland. Über Rom und Neapel reist er auf die westgriechische Insel Korfu und sucht dort nach Spuren der Phäaken. Bei diesem Volk ist der griechische Held Odysseus auf seiner Rückkehr vom Trojanischen Krieg laut Homer gestrandet, und deren Land Scheria wird oft mit Korfu gleichgesetzt. Anschliessend versucht er auf der rund 200 Kilometer weiter südlich gelegenen Insel Ithaka den Palast von Odysseus zu finden. Erstmals versucht er sich als Ausgrabungsleiter, wofür er vor Ort Hilfskräfte anheuert. Doch die antiken Inselbewohner sucht er ebenso vergebens wie den gleichfalls in der Ilias beschriebenen Palast des Odysseus.

Nach gut einer Woche gibt er auf und reist erstmals in die Region Troas des Osmanischen Reiches, der heutigen Türkei. Diese befindet sich beim Eingang der Dardanellen, also der Meerenge zwischen dem griechischen Teil des Mittelmeers und dem Marmarameer. Der deutsche Privatier ist nicht der Erste, der dort die Überreste der Stadt vermutet. So hat schon Anfang des 19. Jahrhunderts der schottische Journalist und Geologe Charles Maclaren in einem Buch Angaben von Homer und anderen Quellen ausgewertet, durch die er zum Schluss gekommen ist, dass Troja auf diesem Hügel liegen muss. Homer beschreibt Troja als zwischen zwei Flüssen liegend und nah am Meer, umgeben von einer weiten Ebene, in der die Armeen der Griechen und Trojaner aufeinandertreffen.

Ein Journalist hat sie 1863 aufgegriffen und publiziert. Durch diesen Artikel erfährt der britische Diplomat und Hobbyarchäologe Frank Calvert von dieser These. Und von ihm wiederum erhält Schliemann den entscheidenden Tipp, auf dem Hügel namens Hissarlik in der Nähe des heutigen Dorfes Tevfikiye zu graben.

Calvert, der Konsularagent in Istanbul ist, hat einen Teil des Hügels erworben und auch schon dort gegraben, allerdings vergebens. Jetzt nimmt Schliemann, der zupackende Geschäftsmann, die Sache in die Hand und beantragt eine Grabungserlaubnis. Es ist schon bemerkenswert, dass ein knallharter Geschäftsmann wie er ein Epos, das allgemein als fiktiv gilt, für bare Münze nimmt, «auf die Angaben der Ilias vertrauend, an deren Genauigkeit ich wie ans Evangelium glaubte», wie er später schreiben wird.

Zurück in Paris, schreibt er ein Buch über Ithaka, die Halbinsel Peloponnes und Troja, welche er der Universität Rostock als Dissertation vorlegt. Sie wird angenommen, und damit darf sich der vormalige Kaufmann als Doktor der wissenschaftlichen Welt angehörig fühlen.

 

Zweite Frau aus dem Katalog

1869 folgt eine Reise nach St. Petersburg, danach in die USA, wo Schliemann die amerikanische Staatsbürgerschaft erwirbt. Dort kann er sich scheiden lassen, während seine russisch-orthodoxe Ehe in Europa unauflösbar wäre. Gleichzeitig lässt er sich von einem befreundeten Erzbischof aus Athen Fotografien von griechischen Heiratskandidatinnen zusenden. Seine einzige Bedingung: Sie muss eine Griechin sein, «griechisch aussehen» und die Ilias in der Ursprache lesen können. Er sucht sich die 17-jährige Sophia Engastromenos aus und heiratet sie noch im selben Jahr nach griechisch-orthodoxem Ritus. Und zwar nicht irgendwo, sondern im nahe Athen gelegenen Ort Kolonos, dem Geburtsort des Dichters Sophokles. Der Bräutigam ist genau 30 Jahre älter als die Braut. Nach der Hochzeitsreise durch Italien kehrt das Ehepaar nach Athen zurück und kauft sich dort eine Villa.

Obwohl die Grabungserlaubnis der osmanischen Regierung auch im Frühling 1870 noch nicht eingetroffen ist, fährt Schliemann erneut nach Troja und gräbt mit Hilfsarbeitern schon mal einen 20 Meter langen und bis zu drei Meter tiefen Graben, der bereits zur Entdeckung mehrerer Siedlungsschichten führt. Überall, wo er Ausgrabungen vornimmt, lässt er solche tiefen Gräben ziehen, ohne Rücksicht auf archäologische Verluste. Denn mit dieser Methode werden jedesmal wichtige Siedlungsspuren unwiederbringlich zerstört.

 

Wirbel um Genehmigung

Ende Jahr reist Schliemann nach Konstantinopel – das heutige Istanbul – und versucht, bei den osmanischen Behörden durch persönliche Vorsprache die Grabungserlaubnis zu erhalten. Doch er hat keinen Erfolg. Im Mai 1871 kommt in Athen seine Tochter Andromache zur Welt, die nach der Frau des trojanischen Helden Hektor benannt ist. Im März 1878 wird ein Sohn folgen, nach Agamemnon, dem Oberbefehlshabers der griechischen Streitmacht vor Troja, benannt.

Als sich Schliemann im Sommer in London aufhält, um Teile der Grabungsausrüstung einzukaufen, erreicht ihn ein Brief aus Konstantinopel mit überaus wichtigem Inhalt: der Grabungsgenehmigung. Doch als er zurück in Troja ist, erkennt die lokale Provinzverwaltung die Erlaubnis nur für jenen Teil des Hisarlik-Hügels an, den Frank Calvert gekauft hat. Nach einer Intervention der US-Botschaft in Konstantinopel kann die erste Grabung im Oktober 1871 aber wie geplant beginnen.

Schliemann macht dort weiter, wo Calvert aufgehört hat. Er gräbt zielstrebiger – aber auch rücksichtsloser. Als seine 250 Arbeiter unter vielen Siedlungsschichten die Grundmauern einer Stadt freilegen, die durch einen Brand zerstört worden sein muss, steht für den Hobbyarchäologen fest: Das muss das von Homer beschriebene Troja sein. Alles stimmt mit den Angaben des antiken Dichters überein – weil Schliemann will, dass es so ist. Ende November muss die Grabung wegen des hereinbrechenden Winters abgebrochen werden.

 

Der «Schatz des Priamos»

Im April 1872 beginnt die zweite Grabung, im Januar 1873 die dritte und erfolgreichste Grabung: Schliemann entdeckt ein Stadttor, von dem eine breite Strasse zu einem Gebäude führt. Dieses deutet er als Palast des Königs Priamos, und die goldenen Schmuckstücke, die in der Nähe gefunden werden, bezeichnet er als «Schatz des Priamos». Dieser ist ein grosses Konvolut an Prunkgefässen, Schmuck und Waffen, insgesamt fast 9000 Objekte aus Gold, Silber und Kupfer. Darunter ist ein Kopfschmuck, den er seiner Frau später mit dem ihm eigenen Sinn für Publicity anlegen wird, um das Foto davon in alle Welt zu verschicken. Nach dem Finden des Schatzes erklärt Schliemann Troja als entdeckt und seine Mission als erfüllt.

Für die breite Öffentlichkeit ist Schliemanns Entdeckung eine Sensation. Doch die deutschen Wissenschaftler verweigern ihm die gewünschte fachliche Anerkennung. Und es hagelt nicht nur Kritik aus Wissenschaftskreisen. Auch manche Zeitungen mokieren sich über die effekthascherische Art des archäologischen Laien. Mit beissendem Spott schreibt etwa das Berliner Satiremagazin «Kladderadatsch», Schliemann habe eine «Schachtel ägyptische Streichhölzer» gefunden, «mit denen Achilles den Scheiterhaufen des Patroklos anzündete».

In Grossbritannien erregt der Fund hingegen auch in der Fachwelt grosses Aufsehen, und Schliemann wird nach London eingeladen, um vor Kennern darüber zu berichten. Schliemann sieht sich auf dem Gipfel des Ruhms. Und am 17. Juni 1873 notiert er in sein Tagebuch: «Heute Abend habe ich die Arbeiten für dieses Leben eingestellt und liess die Ausgrabungen durch den Priester segnen.» Nur: Sein Goldfund stammt mit Sicherheit nicht aus dem Troja von Homer, sondern vielmehr aus einer unbekannten Hochkultur, die rund 1250 Jahre älter ist.

 

Es kommt zum Prozess

Bald hat Schliemann diesen Tagebucheintrag vergessen. Anfang 1874 reist er auf die Peloponnes, um auch in den Ruinen der frühgriechischen Stadt Mykene nach Spuren der Orte und Personen zu suchen, die bei Homer vorkommen. Insbesondere ist er auf das Grab von Agamemnon aus. Nach dieser Stadt ist die mykenische Kultur benannt, also die griechische Kultur zwischen dem 16. und dem 11. Jahrhundert vor Christus. Sechs Tage lang lässt Schliemann von zwölf Arbeitern 34 gut fünf Meter tiefe Suchgräben ziehen, bis die illegale Grabung von den Behörden beendet wird.

Im selben Jahr wird Schliemann von der osmanischen Regierung vor einem Athener Gericht auf Herausgabe der Hälfte seiner trojanischen Schätze verklagt. Der Prozess endet mit einem Vergleich: Gegen Zahlung einer hohen Geldsumme wird Schliemann legaler Besitzer des vermeintlichen Priamos-Schatzes.

 

Goldmaske auch Fake News

Im Sommer 1876 liegt die Grabungserlaubnis für Mykene vor, sodass Schliemann nun legal ans Werk gehen kann. Erstmals leitet auch seine Frau Sophia einen Teil der Grabungen, an denen insgesamt 63 Arbeiter beteiligt sind. Bei allen Ausgrabungen begleitet sie ihn und hält noch lange über seinen Tod hinaus Vorträge über seine Arbeit. Ab Ende November kommen prunkvolle Gräber mit goldenen Totenmasken und wertvollen Grabbeigaben wie etwa einem lebensgrossen silbernen Kuhkopf mit goldenen Hörnern zum Vorschein. Schliemann telegraphiert an den griechischen König, er habe das Grab des Agamemnon und seiner Familie gefunden. Doch am nächsten Tag findet er eine noch grössere und kunstvollere goldene Totenmaske. Nun gilt diese als «Goldmaske des Agamemnon», wie sie heute heisst. Nach heutigen Erkenntnissen stammt sie Maske allerdings aus einer etwa 300 Jahre früheren Ära. Auch in den mykenischen Städten Tiryns auf der Peloponnes oder in Knossos auf Kreta gräbt er. Nun nimmt das wissenschaftliche Interesse an der Arbeit Schliemanns auch im Deutschen Reich zu. 1881 schenkt dieser seine Sammlung trojanischer Fundstücke dem deutschen Volk. Immer wieder begibt er sich zu weiteren Grabungen nach Troja.

 

Tod in Neapel

1890 reist er im Dezember nach Neapel, wo er noch kurz die Ausgrabungen in Pompeji inspizieren will, ehe er Weihnachten mit seiner Familie in Athen zu verbringt. Bei einem Spaziergang durch die Strassen der Stadt bricht er auf einer Piazza zusammen und wird ins Krankenhaus gebracht. Dort stirbt er am 26. Dezember 1890.

Seine Leiche wird von Freunden nach Athen überführt und dort in einem prächtigen neoklassizistischen Mausoleum auf dem Friedhof beigesetzt. Ort und Form des acht Meter hohen Grabmals hat Schliemann bereits 1888 testamentarisch verfügt, die dekorative Ausstattung mit dem beauftragten Architekten bis ins kleinste Detail besprochen.

 

Viel zu tief gegraben

Aber stand auf dem Hügel Hissarlik, der von 3000 vor Christus bis ins Hochmittelalter besiedelt war, denn auch einst jene Stadt Troja, und wurde sie von einem griechischen Heer erobert? Einen archäologischen Beweis dafür, dass der Trojanische Krieg Homers tatsächlich stattgefunden hat und dort geführt worden ist, fehlt zwar bis heute. Die Fachwelt geht allerdings davon aus, dass es sich bei der von Schliemann ausgegrabenen Stätte tatsächlich um Troja handelt. Doch was er für die sagenumwobene Stadt Troja von König Priamos hielt, ist viel älter als jene.

Die eigentliche Tragik dieses grossen Amateurarchäologen ist: Bei seiner ungestümen Suche nach Homers Troja hat er zwar genau an der richtigen Stelle gegraben, aber viel zu tief. Gut 1000 Jahre zu weit ist Schliemann in die Vergangenheit vorgedrungen, zu einer Schicht, die man heute Troja II nennt. Und dabei hat er die Reste der homerischen Stadt – nach heutiger Auffassung wohl Troja VI oder VIIa – zerstört.

 

Eine schillernde Figur

Schliemann war ohne Zweifel eine schillernde Figur, und er wurde auch angefeindet. Zum Vorwurf, er sei ein exzentrischer Schwärmer gewesen, schrieb ein Freund von ihm nach seinem Tod: «Wer würde so grosse, durch lange Jahre fortgesetzte Arbeiten unternommen, so gewaltige Mittel aus eigenem Besitz aufgewendet, durch eine fast endlos scheinende Reihe aufeinandergehäufter Trümmerschichten bis auf den in weiter Tiefe gelegenen Urboden durchgegraben haben, als ein Mann, der von einer sichern, ja schwärmerischen Überzeugung durchdrungen war? Noch heute würde die abgebrannte Stadt in der Verborgenheit der Erde ruhen, wenn nicht die Phantasie den Spaten geleitet hätte.»

Schliemann war auch ein grosses Marketingtalent und verstand es, seine Entdeckungen öffentlichkeitswirksam zu verkaufen. Zum Pressetermin, auf dem er seine Schätze präsentierte, trug Sophia «die Juwelen der Helena». Wortreich erzählte der Ausgräber dazu vom Moment, in dem er Gold in der Erde habe glänzen sehen, alle Arbeiter und den sehr wachsamen türkischen Beobachter nach Hause geschickt und allein mit Sophia den Schatz ausgegraben habe. Später musste eingestehen, dass seine Frau überhaupt nicht dabei gewesen war.

In den Wirren des Zweiten Weltkriegs gelangte der «Schatz des Priamos» nach Russland und galt lange als verschollen. Heute wird er im Puschkin-Museum in Moskau verwahrt. Deutschland bemüht sich seit Jahren darum, den Schatz wieder in deutsche Museen zu holen. Doch Russland lehnt dies stets mit der Begründung ab, dass der Fund eine Entschädigung für die sowjetischen Kriegsschäden sei. Auch die türkische Regierung erhebt Anspruch darauf und steht ebenfalls in Verhandlungen mit Russland.

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