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Jubiläum

Die erste Ampel ging immer wieder in die Luft

Die Ampel wird 150 Jahre alt: Am 10. Dezember 1868 wurde in London das erste Lichtsignal der Welt in Betrieb genommen. Die Erfindung eines Eisenbahningenieurs sollte zur Senkung der vielen Unfälle mit Pferdekutschen beitragen.

Die Technologie entwickelte sich stetig weiter: Ein Polizist in Rom bedient 1949 über einen Kontrollkasten hinter ihm die Ampeln an einer Kreuzung. Bild: Keystone

Beat Kuhn

Die Städte waren schon lange vor dem Aufkommen des motorisierten Verkehrs ein gefährliches Pflaster. 1866 etwa kamen in London, der damals grössten Stadt der Welt, 1102 Menschen im Strassenverkehr ums Leben, 1334 weitere wurden verletzt – das erste Automobil, erfunden von Carl Benz, wurde erst 1886 patentiert. Zu schweren Zusammenstössen kam es damals zwischen Kutschen, Pferdewagen oder Rösslitrams. Sogar Polizisten, die auf Kreuzungen den Verkehr regelten, wurden gelegentlich überfahren.


Die erste Ampel sah aus wie ein Zugsignal
Der Eisenbahningenieur John P. Knight mochte diesem Missstand nicht weiter tatenlos zuschauen. Zugsignale gab es damals schon. Also entwickelte Knight ein Pendant für den Strassenverkehr. Am 10. Mai 1868 wurde auf der Kreuzung an der Nordseite der Westminster Bridge, am Parliament Square,  die erste Ampel der Welt in Betrieb genommen. Man sah ihr deutlich an, dass sie durch das Eisenbahnwesen inspiriert worden war. So hatte es die Form eines christlichen Kreuzes, dessen seitliche Arme schräg nach unten gestellt werden konnten. Waren sie in waagrechter Position, musste gewartet werden, waren sie im 45-Grad-Winkel gesenkt, durfte man die Kreuzung befahren. Die Positionsänderung geschah manuell durch einen Polizisten.

Damit die Anlage auch im Dunkeln funktionierte, war zusätzlich je eine grüne und eine rote Gaslampe angebracht. Erst dadurch entsprach sie auch ihrem deutschen Namen, denn dieser stammt vom römischen Wort «ampulla», was «Öllämpchen» bedeutet. Knights Ampel war insofern ein Erfolg, als sich der Verkehr verflüssigte. Die Die Leute beachteten das neue Ding also, denn sie sahen ein, dass alle davon profitierten, auch punkto Sicherheit. Ob allenfalls auch strenge Blicke des jeweiligen Polizisten oder drohende Bussen die Akzeptanz erhöhten, ist nicht überliefert. Allerdinge explodierten die Gaslampen mehrfach. Fatal war ein Knall drei Wochen nach Inbetriebnahme: Wegen eines Lecks füllte sich der ganze Pfosten mit Gas, und als der diensthabende Polizist abends die Lichter anstellte, gab es eine Stichflamme, durch die er lebensgefährlich verletzt wurde. Die Anlage wurde sofort ausser Betrieb genommen. In der Folge wurde das «Konzept Verkehrsampel» für Jahrzehnte auf Eis gelegt.


Elektrifiziert und um Gelbphase ergänzt
Erst mit der Elektrifizierung der Städte wurde das Konzept wiederaufgenommen. Im frühen 20. Jahrhundert wurden verschiedene Modelle namentlich in den USA patentiert. Als erstes elektrisches Verkehrssignal gilt jenes, das 1912 von einem Polizisten entwickelt wurde und am 5. August 1914 in Cleveland im Bundestaat Ohio in Betrieb genommen wurde. Es blieb nicht bei dem einen Prototypen, sondern es wurden weitere Anlagen installiert. Jede Ampel wurde von einem Polizisten abwechselnd auf die leuchtende Begriffe Stop und Move geschaltet.

Wie der gasbetriebene Urahn verfügte dieses Modell lediglich über die zwei Farben Rot und Grün. Der bevorstehende Farbwechsel wurde allerdings akustisch mit einem Summton angezeigt. Die Idee zur dritten Farbe Gelb für die Zwischen-Phase hatte 1920 ein Polizist aus Detroit. Darum waren die ersten dreifarbigen Lichtsignalanlagen in jener Stadt zu sehen. Dieser Typus hatte erstmals auch Hauben über den Lichtern, damit diese bei starker Sonneneinstrahlung besser erkennbar waren. Kurz darauf übernahm die Stadt New York das System mit der Zeitautomatik. Dadurch konnte sie die Zahl der für die Ampelsteuerung notwendigen Beamten von 6000 auf rund 500 reduzieren.

Wiederum in Cleveland wurde 1923 die erste vollautomatische Ampel installiert. Die Zeitschrift «The Motorist» des Cleveland Automobile Club schrieb damals: «Dieses System kann – möglicherweise – die Steuerung des Verkehrs in verstopften städtischen Strassen revolutionieren und sollte von den zuständigen Stellen für einen allgemeinen Einsatz in Betracht gezogen werden.» 1947 wurde in den USA eine der ersten Fussgängerampeln entworfen. Deren Gestalter schlug vor, die Signale Stop und Go mit Reklame zu verbinden, nach dem Schema «Stop for a Pizza» oder «Go for a Burger». Doch diese Idee wurde nie realisiert. Mit der Glühbirne etablierten sich im Anschluss die verschiedensten elelektronischen Systeme. Spätestens seit dem Verbot von Halogenleuchtmitteln in der EU ist eine Umstellung auf LED auch bei den Verkehrsampeln langfristig unumgänglich.


Ab den 20er-Jahren auch in Europa
Die erste deutsche Ampel wurde 1922 in Hamburg aufgestellt. In Berlin folgte zwei Jahre später die erste mit Vollautomatik: die turmhohe fünfeckige Anlage auf dem Potsdamer Platz. Solange die Mauer die Stadt in Ost und West trennte, war das Verkehrsaufkommen auf diesem einst so lebhaften Platz gleich Null, denn damals stand der Turm mitten im Niemandsland, der sogenannten Todeszone.

Auch die Schweiz schlief nicht: 1926 wurde zu Versuchszwecken in Carouge bei Genf eine Lichtsignalanlage installiert, wie man eine solche Einrichung hierzulande offiziell nennt. So richtig los ging es allerdings erst nach dem Krieg. Ein Meilenstein war die Signalanlage, die im Mai 1949 an der Kreuzung Bahnhofstrasse/Uraniastrasse in Zürich eingerichtet wurde, denn sie koordinierte Auto-, Tram- und Fussgängerverkehr. Weil das völliges Neuland war, veröffentlichte die NZZ damals eine ganzseitige Gebrauchsanweisung dafür. Heute stehen in Zürich an die 6000 Ampeln. Ein modernes Modell tut gewöhnlich 20 bis 25 Jahre seinen Dienst. Das hat seinen Preis: Eine gewöhnliche Fussgängerampel kostet 120000 Franken, komplexere Anlagen das Dreifache. Der Energieverbrauch einer einzelnen Lampe ist dank LED-Technik heute indes weit geringer ist als vor 100 Jahren.


Lyss bietet Edel-Service für Reiter
In den Seeländer Gemeinden existieren kaum Lichtsignalanlagen. In Vinelz gibt es laut Gemeindeschreiber Stephan Spycher «nur während Strassenbauarbeiten Ampeln – und die sind eher störend». In Lyss findet sich hingegen etwas ganz Spezielles. An der Kreuzung Hauptstrasse/Kreuzgasse müssen allfällige Reiter nämlich nicht absteigen, wenn sie die Strasse überqueren wollen, sondern können vom Sattel aus einen entsprechenden Knopf drücken. Dieser ist nicht nur in der passenden Höhe angebracht, sondern auch mit dem Pictogramm eines Reiters versehen. In der Fachsprache nennt man so etwas «Reiterdrücker», wie Claudia Christiani, Stellvertretende Kreisoberingenieurin des kantonalen Oberingenieurkreises III in Biel weiss. «Weitere Lichtsignale auf Kantonsstrassen, die für einen speziellen Zweck ausgerüstet sind, gibt es nicht», sagt sie.

Dank denLichtsignalanlagen verläuft der Strassenverkehr heute zwar weltweit in geordneteren Bahnen, als es ohne sie der Fall wäre. Das lästige Anhalten haben sie allerdings auch nicht verhindern können. So verbringen Autofahrer im Schnitt zwei Wochen ihres Lebens wartend vor Lichtsignalen. Darauf spielt die volkstümliche Definition dieser segensreichen Erfindung an, deren 150. Geburtstag am Montag gefeiert werden kann: «Eine Ampel ist ein grünes Licht, das beim Näherkommen rot wird.»

Reiterdrücker nennt sich dieser Knopf in Lyss, bei dem Reiter nicht absteigen müssen. Bild: Andrea Butorin/a

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