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Kunst

Die Galeristin

Sie war 47 Jahre lang seine Galeristin. Wegen ihm hängte sie ihr Studium an den Nagel und eröffnete ihre Galerie in Bern. Martin Ziegelmüller stellte als erster und letzter Künstler im Kunstkeller von Dorothe Freiburghaus aus.

Totgesagte leben länger: «Die Malerei ist nicht umzubringen», so ein Fazit von Ziegelmüller, das er am 4. November 2012 in seinen Notizen festhielt. Globale Stadt Biel, 2008/09, Öl auf Leinwand. Bild: zvg/ Martin Ziegelmüller

Interview: Simone K. Rohner

Dorothe Freiburghaus, was bedeutete Martin Ziegelmüller und seine Kunst für Sie und Ihre Galerie?
Dorothe Freiburghaus: Er war eine Konstante, die zur Galerie gehörte. Man konnte miterleben, dass eine künstlerische Entwicklung über Jahre geht, dass Themen immer wiederkehren aber anders. Dafür ist er ein schönes Beispiel.

Nach fast 50 Jahren schlossen Sie 2017 ihren Kunstkeller. Wie bei der Eröffnung wieder mit Ziegelmüller. Wie kam diese erste Ausstellung zustande?
Ich lernte ihn 1968 kennen. Ich besuchte eine Ausstellung von ihm. Mich packte es dort, ich wollte mehr wissen von diesem Künstler, wollte ihn zum Reden bringen. Ich weiss noch genau, was der erste Satz war, mit dem ich ihn ansprach. «Wo ist das?» Ich wusste, dass es eine banale Frage zu einem Bild war. Aber ich wollte mit ihm ins Gespräch kommen. Ich war zu der Zeit im Zeichenlehrer-Studium. Unser Gespräch damals brachte mich zu dem Punkt, dass ich dachte, die Künstler machen etwas Sinnvolles. Sie schaffen an etwas und geben alles, dem Ausdruck zu geben. Das faszinierte mich und bewegte mich dazu, das Studium an den Nagel zu hängen und mich umzuschauen, wie ich in diese Welt einsteigen konnte. Ich schrieb Artikel für den «Bund». Doch ich hatte das Gefühl, dass man mehr machen sollte. Nicht nur in der Zeitung darüber reden, was noch sein sollte oder was fehlt. Schliesslich fand ich, «dann mach ich das!». 1970 gründete ich den Kunstkeller. Es war logisch, dass Martin Ziegelmüller die erste Ausstellung erhielt.

Warum haben Sie ihn ausgestellt?  
Etwas, das mich sicher immer bewegt hat, ist, wie er ganz stark in der Natur verankert ist. Und es auch versteht, das Publikum mitzunehmen. Es muss nicht immer poppig sein. Er kann Stimmungen festhalten, von denen Kraft ausgeht, die den Betrachter bestärken. Der Mensch ist ja auch Natur. Martin hat sich damit ganz stark auseinandergesetzt. Da sind auch die Weltuntergangsstimmungen: Bern von Rosen überwachsen, oder das vereiste Bundeshaus. All diese Extreme der Natur zeigte er schon, lange bevor der Umweltschutzgedanke Form annahm.

Künstlerisch schwamm er damals gegen den Strom…
Ja, das war auch mein Interesse. Es musste nicht Pop Art, Op Art oder Minimal Art sein auch nicht Fotografie oder Installationen. Ein Bild konnte sich auch in abstrakter Weise oder figurativ ausdrücken. Was stimmen musste und muss, ist der Gehalt eines Werks.

Wie waren die Reaktionen der Ausstellung?
An die Medienreaktionen im einzelnen kann ich mich schlecht erinnern, aber die Reaktionen waren sicher gegensätzlich, je nach dem Interesse des Betrachters.

Im Buch kommt gut rüber, wie Martin Ziegelmüller so denkt. Er macht sich viele Gedanken, nicht nur über Kunst, sondern auch übers Leben. Und hat ganz klare Vorstellungen von Kunst und was sie soll. Wie haben Sie das in der Zusammenarbeit im Ausstellungsmachen empfunden?
Er war auch politisch engagiert. Politisch ging überhaupt recht viel in dieser Zeit. Prager Frühling, Kennedy-Mord. Das hat einen bewegt. Man ging an Demos. Man glaubte damals noch, man könne die Welt verändern. Das ist heute kaum mehr möglich. Es ist etwas vom Interessantesten, mit einem Künstler eine Ausstellung zu entwickeln und aufzubauen. Bei den Atelierbesuchen geht es am meisten ans Lebendige. Vorhandenem eine Gestalt geben, formulieren, was da ist, als Künstler, aber auch wenn ich mich als Betrachter einbringe. Zusammen etwas entwickeln – das ist äusserst spannend.

Was machte er für eine Entwicklung?
Was mir bei ihm immer gefiel, war, dass er sich umschaute, was die anderen machten und was die Szene machte und fragte «geht mich das etwas an oder nicht? Will ich mich damit überhaupt auseinandersetzen oder nicht?». Das macht nicht jeder Künstler, so eine intensive Auseinandersetzung und über all die Jahre hinweg. Das gab und gibt viele gemeinsame Erlebnisse und Gespräche, in denen man diesen Fragen näher kommen wollte.

Dachten Sie manchmal, dass er sich mit seiner Kunst in eine schwierige Richtung entwickelte?
Ich schaute sicher immer wieder, ob das, was ich ausstellte, auch das war, was ich meinte und ich dahinter stehen konnte. Die Kosten und der physische und psychische Aufwand waren so gross, dass eine Ausstellung mit den gezeigten Werken immer mehr als nur gut sein musste. Ich hätte es in der Galerie mit anderer Kunst einfacher haben können, aber vielleicht nie diese Befriedigung erhalten. Es ging mir ja nie um schöne, liebliche Bilder, sondern auch um die Substanz. Ob man beim Betrachten auch etwas spürte.

War für Sie klar, dass er ihre letzte Ausstellung sein sollte?
Nein. Nach 47 Jahren und in meinem Alter dachte ich, ich sollte langsam aufhören, Ausstellungen zu inszenieren. Aber wie höre ich auf? Eines Morgens wachte ich auf und es war klar: Es ist nicht in zwei Jahren, oder drei, es ist jetzt. Jetzt musst du aufhören! Das war im Februar 2017. Im Mai war Martins Ausstellung. Sie war nicht als Abschluss geplant, aber als ich das realisierte, dachte ich «was willst du mehr? Er war der Einstieg und wird der Ausstieg». Es stimmte.

Verfolgen Sie seine Arbeit weiterhin?
Wenn einer «meiner» Künstler ausstellt, gehe ich nach wie vor vorbei. Das Gespräch ist ja nicht einfach abgebrochen. Ich besuche auch noch Ateliers. 

Haben Sie eine Lieblingsserie?
Ich mag seine Wasser-Bilder. Da habe ich auch selbst eins.

Warum?
Vielleicht weil die Ruhe und die Gefahr, weil beides da ist.

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