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Velotour

Die Heimkehrer schätzen die biedere Schweizer Gemütlichkeit

Bea und Pit Thalhammer geniessen das Hüsle im Seeland. Nur vom Kühlschrank versuchen sie sich fernzuhalten. 
Die Winterpause schenkt ihnen Zeit für Rück- und Ausblicke – die nächste Reise ist schon im Hinterkopf.

Bild: zvg
  • Dossier

Bea und Pit Thalhammer

Pit Thalhammer: Selbst nach mehr als acht Jahren Velotour, unterbrochen durch einige Ferienaufenthalte in der Schweiz, schätzen wir das Hüsle immer noch. Zumindest für eine gewisse Zeit. Hüsle heisst für uns, zu Hause sein, dort, wo wir vorübergehend wohnen, und die Vorzüge von vier Wänden geniessen. Bea freut sich seit Wochen auf das Bekochen von lieben Freunden ebenso wie auf das Zämehöckle, wenn wir eingeladen werden.

Dafür teilen sich Velos und Zeltsack die Abstellecke im Keller. Auf Putzen und Schrauben haben wir erst mal keinen Bock.

Hüsle, höckle, zäme brätle – biedere Schweizer Gemütlichkeit, der man gerne mal entflieht, sie dafür als Heimkehrer 
doppelt schätzt. Lange schlafen geht ohne schlechtes Gewissen. Wir lassen uns in die wohlig-warme Alltags-Gemütlichkeit fallen, geniessen Winterwanderungen und Glühwein am Feuer im Wald.

Wenn da nicht immer dieser «Gluscht» wäre ... Dafür wird der Kühlschrank zum hinterlistigen Verführer, vor allem für mich. Zu selten gelang es mir anfangs, von lange vermissten Schweizer Köstlichkeiten die Finger zu lassen. Natürlich verbrennt das Treten von 40 Kilogramm schweren Fahrrädern Kalorien, aber wie soll Gewichthalten funktionieren, wenn die Stahlesel im Keller stehen, aber Gelüste ständig unser Hirn malträtieren? Wir tun Busse in unserem 
improvisierten Fitnessstudio, in der Hoffnung, etwas Kondition in die nächste Velotour hinüber zu retten. Der Kühlschrank ist mir inzwischen so piepegal wie der Wurm am Haken dem Fisch – nur mehr selten lasse ich mich übertölpeln.

 

Bea Thalhammer: Den Luxus einer Küche weiss ich sehr zu schätzen und schwinge voller Freude die Kochkelle. Das Einkaufen bei dieser Fülle von Angeboten hingegen wird oft zu einem Spiessrutenlauf und kostet mich viel Zeit. Bei so viel Überfluss bleibt nicht selten die Flucht zur Supermarktkasse.

Je kleiner die Läden und deren Angebot, desto besser für mich und umso raffinierter werden die Menüs. Mehr denn je finde ich Spass daran, Menüs nach dem Motto: «Man nehme, was vorhanden ist», auf die Teller zu zaubern; ich lasse mich als Köchin ebenfalls gerne überraschen.

Eingekauft wird saisonal. Gemüse, Fisch, Fleisch – immer frisch. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Für altbekannte, etwas aufwendigere Klassiker – unseren Gästen serviert – darf es zwischendurch mehr Aufwand sein. Gerichte von Linster, Oliver, 
Laffer, Wildeisen und anderen Starköchen nachzukochen, gehörte früher zu meiner 
Leidenschaft. Damals, mit gut bestücktem Gewürzschrank und allen nötigen Zutaten. Während unserer Reisen habe ich gelernt, aus Wenigem viel auf die Teller zu zaubern. Velofahrer sind immer hungrig.

 

Pit Thalhammer: Es ist Zeit für Rückblenden. Bei jedem Bild läuft das Erlebte ab wie ein Film. Wir erinnern uns an tolle Begegnungen, an geschlossene Freundschaften über alle Grenzen, Ethnien und Religionen hinweg, die trotz grosser Distanzen bis heute halten. Fast sechzig interessante, unvergleichbare Länder durften wir bisher durchradeln, selbstverständlich ohne den Anspruch, sie nur annähernd zu kennen. Einsame Regionen wie die Taklamakanwüste in China oder die Lagunenroute im Grenzgebiet von Chile und Bolivien waren 
Herausforderungen, auf eine andere Art Grossstädte wie Tokio, Teheran oder Bangkok. Langweilig war das Pedalen selten. 
Immer galt: Der Weg ist das Ziel.

Hüsle schenkt Zeit, um im Tagebuch auf unserer Website zum Reiseanfang zurückzuscrollen. Geschäftstätigkeit beenden, Haus verkaufen, Verwandte und Freunde nochmals fest drücken. Aber vor allem auch Sicherheit aufgeben, ohne zu wissen, ob wir zwei uns schon bald auf die Nerven gehen oder die Gesundheit abhandenkommt. Selbst nach vier Jahren minutiöser Planung war vieles offen, damals, im Herbst 2012.

Mehr als 85 000 Velokilometer stecken inzwischen in unseren Beinen, meist gefahrene, nicht selten mühsam das Velo vorwärts zerrende Kilometer. Nasskalte, schlammige, im Iran brütend heisse, staubige, steile, über lange Strecken angenehme und doch immer interessante Kilometer, dann und wann begleitet von wütendem Hundegebell und unseren lauten Flüchen. Auf keine Routenerfahrung möchten wir verzichten. Es gibt Strecken, die muss ein Velofahrer treten, einfach weil es sie gibt. Man lernt dabei demütig werden.

Übrigens reiten wir nach wie vor auf den gleichen Schweizer Stahlvelos ohne Scheibenbremsen und Federung, wie zu Beginn der Reise. Nie liessen uns die treuen Lastesel bisher im Stich. Plattfüsse ausgenommen.

 

Endlich lernen wir die Freunde kennen

Zusätzlich zu den gepackten Sagoschen und Fahrrädern beschränkt sich unser Hab und Gut auf vier graue Postkisten, den 
Inhalt eines halben Kleiderschrankes und ein Auto. Das möblierte Wohnen für eine kurze Zeit gestaltet sich knifflig. Nicht immer verwöhnt uns das Glück so unverschämt, wie bei den letzten drei Aufenthalten in der Schweiz. Dreimal durften wir bei den gleichen Velölern einziehen, während sie mit den Fahrrädern irgendwo im fernen Ausland Neues entdeckten. Erst nach dem dritten Zwischenwohnen knallen Korken; wir können endlich mit unseren grosszügigen Freunden persönlich anstossen! (Wer würde seinen Wohnungsschlüssel einfach Unbekannten hinterlegen?)

Hüsle lässt Zeit, im Internet zu schnüffeln. Genervt logge ich mich zum wiederholten Mal aus einem Velofahrerblog aus. Die Unsitte, Leserinnen und Leser um Reisegeld anzubetteln, infiziert Blog um Blog wie das Coronavirus die Menschen. Immer häufiger fügen Radreisende ihre Bankverbindung an prominenter Stelle in den Blog ein. Ganz Dreiste lassen durchblicken, dass sie ihre Homepage nicht mehr mit Aktuellem füttern, wenn keine Spenden fliessen. (Eine Homepage kann gut 200 Franken im Jahr kosten, Einsteigerpakete gibts zum Nulltarif). Während Arbeitende Tag für Tag schuften, lassen sich Weltenbummler von ihnen ihre Reise mitfinanzieren. Wie sich die Zeiten ändern ...

 

Zuhause bleiben ist keine Option

Häufig spricht man uns an, ob es nach acht Jahren Welterkunden nicht doch Zeit wäre, das Velo-Zigeunerleben aufzugeben und wieder sesshaft zu werden. Nirgends zu Hause sein und dann noch auf Knien im Zelt herumrutschen, ganz zu schweigen von kalten Nächten im Schlafsack, da muss doch einmal Schluss sein, oder? Jetzt noch mit Covid-19. So die Einwände.

Wenn das so einfach wäre. Das lästige 
Virus schränkt zurzeit ein, keine Frage. Aber es gibt da noch das andere, das hartnäckige Reisevirus, das zum Glück nicht alle befällt, uns jedoch seit Jahren wie Laub im Herbstwind vor sich hertreibt. Keine Chance, zu entkommen. Sowieso ist die schönste Ecke auf dem Globus noch nicht gefunden. Wir hoffen, ja wir wissen, dass das nie der Fall sein wird. Aber die Suche geht mit jeder neuen Tour weiter.

Info: Seit 2012 radeln die gebürtigen Safnerer Bea und Pit Thalhammer durch die Welt: 
www.bepitha.ch

Stichwörter: Ausland, Reisen, Schweiz, Rückkehr, Trip

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