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Tessin

Die Sache mit der Sprache

Nach Monaten des ständigen Unterwegsseins ist Geraldine Maier temporär sesshaft geworden: Bis Ende Dezember arbeitet sie als Au-Pair in Lugano und hofft, sich mal wieder an einem Ort integrieren zu können. Doch das gestaltet sich gar nicht so einfach.

Geraldine Maier im Garten ihres neuen Zuhauses – mit Blick auf das Wohnhaus und das Italienisch-Lehrbuch. Bild: Geraldine Maier
  • Dossier

Geraldine Maier

Von einer Reise zur nächsten, oder eben doch nicht ganz? Was tun, wenn sich zwischen zwei Projekten ein paar freie Monate einschleichen? Nur zuhause warten, irgendeinen Nebenjob annehmen oder vielleicht doch eher einen weiteren Trip starten? Viele Möglichkeiten stehen zur Auswahl, stellt sich bloss die Frage, wofür man sich entscheiden soll. Als ich mir während des Schweizer Roadtrips Gedanken machte, was ich während den anschliessenden vier Monaten machen soll, ging ich in einem Ausschlussverfahren verschiedene Optionen durch.

Die Vorstellung, mich für die verbleibende Zeit in der Deutschschweiz aufzuhalten, löste in mir ein ziemlich unbehagliches Gefühl aus. Der Drang, Neues zu entdecken und zu lernen, ist derzeit noch so stark, dass ich mich, trotz allen verführerischen Bequemlichkeiten und Beziehungen, nicht dazu bewegen konnte, mich an einem vertrauten Ort niederzulassen. Genauso wenig konnte ich mich mit der Vorstellung anfreunden, einem Job nachzugehen, der lediglich dazu dienen sollte, meine finanziellen Reserven zu vergrössern. Schnell war klar, wenn ich schon in der Schweiz bleibe, dann nütze ich diese Gelegenheit, um mich mit unserer dritten Landessprache zu befassen: dem Italienischen.

 

Au-Pair? Nein! Oder etwa doch?

Mein Ziel war gesetzt. Also machte ich mich im Tessin auf Stellensuche. Einen ersten Anlauf startete ich über die Plattform «Agriviva». Da ich über diesen Weg keine passende Stelle fand, nahm ich Kontakt mit «Aupair.ch» auf, eine Vermittlungsstelle, die Familien und junge Erwachsene aus der ganzen Schweiz zusammenführt. Obwohl ich mir das Zusammenleben mit Kindern als optimale Sprachförderung vorstellte, schloss ich eine Au-Pair-Stelle zu Beginn meiner Suche aus, da ich dies nur mit einer Einsatzdauer von einem Jahr für möglich hielt. Ganz nach dem Motto «wer wagt, gewinnt», meldete ich mich dann trotzdem bei der Agentur. Diese konnte mir auch sogleich eine Familie vermitteln, von welcher ich trotz meiner kurzen Verfügbarkeit eine Zusage erhielt. Der Vater hatte zwar noch Bedenken, ob auf die Zusage einer Weltenbummlerin wirklich Verlass sei, oder ob ich mich bei Erhalt eines besseren Platzes von der Abmachung abwenden würde. Diese Skepsis konnte ich aber überzeugend aus der Welt schaffen.

Voller Elan und Vorfreude blickte ich dem Aufenthalt entgegen. Eine Woche vor Arbeitsbeginn erhielt ich dann die enttäuschende Nachricht. Die scheinbar perfekte Familie hatte ein Mädchen für ein Jahr gefunden. Schade für mich, besser für die 
Familie. So begann meine Suche erneut. Trotz einer gewissen Frustration war ich 
zuversichtlich, einen weiteren Platz zu finden. Ich hatte Glück und konnte am selben Tag, an welchem ich die erste Stelle antreten sollte, bei einer neu vermittelten Familie mit Schnuppern beginnen. Bereits am zweiten Tag war klar: Ich werde bleiben.

 

Mein Haus, meine Familie, meine Arbeit

Auf dem kurzen Fussmarsch von der Busstation zum Familienhaus wird man sofort von einem südländischen Flair umgeben. Ein schmales Strässchen führt an Palmen und einer kleinen Kirche vorbei, bis ich vor einer bunten Häuserkette stehe. Das grosse weisse Haus ist mein neues Zuhause. Durch den gepflegten Garten erreiche ich mit wenigen Schritten die Haustür. Als erstes werde ich mit Hundegebell begrüsst. Es folgt die Begegnung mit dem Vater, der aufgrund von Homeoffice meistens zuhause ist. Er ist es auch, der alle hungrigen Mäuler verwöhnt: mit schmackhaften und ausgewogenen Mahlzeiten, die immer wieder frische Produkte aus dem Garten beinhalten.

Die Frau arbeitet selbstständig und koordiniert unter anderem den Alltag der Kinder, wodurch sie oft ausser Haus unterwegs ist. Die zehnjährige Tochter und der neun Jahre alte Sohn halten die Eltern mit ihren Hobbys Gymnastik, Fussball und Schwimmen die ganze Woche auf Trab. Die Familie ist unkompliziert und sehr erfahren im Umgang mit Au-Pairs. Sie haben mir jede neue Arbeit und Aufgabe gut erklärt. Dadurch weiss ich genau, wo ich mit dem Hund spazieren gehen kann, wie sie die Zimmer aufgeräumt haben möchten, wie ich die Wäsche machen und wann der Tisch gedeckt sein soll. Auf Englisch hatte ich keine Mühe zu verstehen, was von mir verlangt wird und konnte mich so ohne Mühe im Alltag zurechtfinden. So richtig eingegliedert fühle ich mich aber noch nicht.

 

Integration geht nicht ohne Sprache

Während meiner Afrikareise war ich selten lange genug an einem Ort, um mich wirklich integrieren zu können. Ich habe zwar viele Leute kennengelernt und durfte an so einigen Anlässen dabei sein, doch damit ich mich als dazugehörend sehe, braucht es für mich mehr, als nur Bekanntschaften zu schliessen. Die Ortssprache verstehen und sprechen, einer geregelten Arbeit nachgehen, sich in einer Gruppe oder einem Verein engagieren, an Aktivitäten in der Umgebung teilnehmen, Beziehungen aufbauen und pflegen, dies sind alles Dinge, die für mich zur Integration dazugehören. 
Gewiss, vier Monate sind keine lange Zeit, aber genügen mir, um mich motiviert um eine Eingliederung zu bemühen.

Das ist allerdings einfacher gesagt als getan. Die sprachliche Integration beginnt für mich ziemlich ernüchternd. Es ist ein unbehagliches, ausschliessendes Gefühl, wenn alle miteinander reden und man 
weder etwas versteht noch mitreden kann. Fortschritte sind nur schleichend erkennbar und scheinen ewig auf sich warten zu lassen. Ich kann mich zwar auf Englisch mit der ganzen Familie unterhalten, doch ihre 
Gespräche führen sie ausschliesslich auf Italienisch.

Ähnlich schleppend geht es mit dem Kontakteknüpfen voran. Da ich am Abend bei der Familie mithelfen muss, bleiben mir jegliche Abendaktivitäten vorenthalten. Wenn ich tagsüber meine Freizeit habe, arbeiten die meisten und am Wochenende bin ich wiederum nicht immer da. Unter diesen Bedingungen ein soziales Netzwerk aufzubauen, ist eine weitere Herausforderung. Ich bin gespannt, wo ich Ende Jahr stehen werde.

Info: Geraldine Maier, 21 Jahre alt, ist in 
Meinisberg aufgewachsen und war während 
19 Monaten alleine in Afrika unterwegs. Aktuell befriedigt sie ihr Fernweh in der Sonnenstube der Schweiz.

 

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