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Sexualität

Die Sorgenphälle der Männer

Zu früh kommen, den Penis nicht zum Stehen bringen: Viele Männer setzen sich beim Sex unter Druck. Dann ist spielerisches Entdecken und Geniessen besonders angesagt.

Symbolbild: Keystone

Marcel Friedli


Zehn Männer grinsen sich verlegen an. Soeben ist eine ältere Dame an der Fensterfront vorbeispaziert und hat interessiert den Kopf gedreht. Die Frage liegt so sehr in der Luft, dass sie keiner auszusprechen braucht: Ob sie gesehen hat, was wir da machen?
Als wären wir ertappt worden. Wir nehmen am Kurs «Männliche Sexualität» teil, der in einem Alterszentrum stattfindet und den das Ziss anbietet, das Zürcher Institut für klinische Sexologie und Sexualtherapie. Mit Knetmasse modellieren wir ... einen Penis – unseren Penis.
Wir denken über die Fragen nach, die uns gestellt worden sind: Mag ich meinen Penis? Wie gehe ich mit ihm um? Freue ich mich, wenn er steht? Mag ich ihn auch, wenn er schlaff ist? Gebe ich ihn gerne aus der Hand – manchmal zu früh?
Dann ist es ganz still. Wir liegen auf unseren Matten, kreisen und schaukeln mit unserem Becken. Nach vorne, nach oben, zur Seite. Wir erkunden die Muskeln des Beckenbodens, spannen sie an, um sie wieder zu entspannen, begleitet von bewusstem Atmen.


Spielerisch Neues ausprobieren
Für etliche ist das Neuland. Sie sind es gewohnt, durch viel Druck und Reibung, durch Spannen der Muskeln zum Höhepunkt zu gelangen – so schnell, dass die Partnerin oder der Partner zu wenig zum Zug kommt. Gelangt der Mann früher als nach zwei Minuten zum Orgasmus, gilt dies in der Medizin als problematisch. Allerdings ist dies eine Frage der Definition. «Entscheidend ist nicht die Stoppuhr», sagt Roberto Casella, Chefarzt Urologie am Spitalzentrum Biel, «sondern ob das Sexualleben des Paares darunter leidet. Ist dies der Fall, ist es angezeigt, zum Arzt zu gehen. Zudem gibt es Medikamente, mit denen man die Situation verbessern kann.»
Zurück zum Kurs im Alterszentrum: Der in Worben aufgewachsene Sexologe Stephan Fuchs ermuntert uns, zu Hause beim Onanieren Neues auszuprobieren und mit dem ganzen Spektrum zu spielen: mal schneller, mal langsamer, mal mit weniger Druck, dann mit mehr. Mit lockeren Muskeln, mit leicht angespannten. Mit zwei Fingern, mit der Faust. «Erkundet euren Körper, streichelt euch. Probiert aus, was euch gefällt. Lasst eure Fantasien zu.» Der Körper sei ein Geschenk, ein Instrument mit vielen Tönen. «Es geht nicht um die Performance, sondern um Musikalität, Kreativität, um Freude und ums Spielen.»


Ängste plagen Männer
Genau da liegt die Krux: Viele Männer erwarten von sich beim Sex Heldentaten wie im Beruf und im Sport, so dass die Erotik zu einem weiteren Schauplatz verkommt, wo sie das Gefühl haben, sich beweisen und messen zu müssen: Wie lange kann ich, wie erreiche ich am schnellsten das Ziel, den Orgasmus? Und: Ist mein Glied lang genug, dick genug?
Ängste, die einige Männer plagen – die Urologe Roberto Casella jedoch beruhigen kann, indem er auf einen objektiven Wert hinweist: Die medizinische Mindestmarke liegt bei vier Zentimeter im schlaffen Zustand. Die Durchschnittswerte betragen neun Zentimeter im gewöhnlichen und 13 Zentimeter im erigierten Zustand, wie eine vor zwei Jahren publizierte Untersuchung englischer Ärzte an 15 000 Männern ergeben hat. Von operativen Verlängerungsversuchen rät der Urologe ab: «Im Endeffekt handelt es sich nur um eine optische Täuschung, denn man kann die Länge der Schwellkörper nicht ändern.»


Sich auf den Weg machen
Kommt zum – vor allem bei Männern – verbreiteten Leistungszwang hinzu, dass mit dem Älterwerden die Elastizität der Gefässe nachlässt, schiebt dies einen Teufelskreis an, der sich dreht und dreht: Der taktile Druck, die Spannung in den Muskeln müssen immer mehr gesteigert werden, um den Effekt zu erreichen – bis dieses Muster, oft seit der Jugend antrainiert, nicht mehr funktioniert. Und es kippt ins Gegenteil: Die Schwellkörper im Penis werden abgedrückt, er wird nicht mehr hart genug, um eindringen zu können, oder der Mann empfindet die Stimulation in Vagina oder Anus als nicht mehr genügend. Und die optischen Reize, Stichwort Pornos, müssen immer mehr gesteigert werden, um sich ans Ziel zu hecheln.
Bis es kippt – und der Kumpel nicht mehr stramm wird. Er steht, also bin ich: Diese Formel gerät dann aus dem Gleichgewicht. Viele Männer fühlen sich persönlich in Frage gestellt, sind verunsichert. «Ist nicht so schlimm», ist zwar nett gemeint – aber genau das Falsche. «Dann geht es darum, dass man als Mann Verantwortung übernimmt», sagt Ziss-Dozent Stephan Fuchs, «und sich auf den Weg macht, um neue Wege abseits der ausgetretenen Pfade zu entdecken. Es geht in der Sexualität ums Lernen, um Lernschritte – wie in anderen Bereichen des Lebens auch.»
Das Spielerische wieder entdecken, sich dem Genuss öffnen, ist dieser doch eine ideale Quelle der Erregung. «Wäre der Penis ein Muskel», erklärt Stephan Fuchs, der auch Bewegungs- und Psychotherapeut ist, «würden ihn die Männer im Fitnesscenter trainieren. Aber er ist nicht willentlich steuerbar: Alles, nicht nur ein erotischer Reiz, kann eine Erektion auslösen. Denn es handelt sich um einen Reflex. Es braucht nicht nur die anregende, nötig ist auch die entspannende Komponente.»
Erektionsprobleme sind laut Roberto Casella der Dauerbrenner bei Beratungen. Oft tröstet es die Männer, dass es absolut normal ist, dass die Qualität der Erektion mit dem Alter etwas abnimmt. Klappe es hie und da nicht damit, sei dies noch lange kein Grund zur Beunruhigung. Erst, wenn die Erektion über Monate vermindert sei, solle man die Hintergründe genauer anschauen. «Falls es ein anatomisches Problem ist, kann man in fast allen Fällen mit einer Tablette oder selten mit einer Spritze abhelfen.»


Sich innerlich aufrichten
Für den Bewegungstherapeuten Stephan Fuchs ist die Erektion kein im Becken isoliertes Phänomen – sondern hat mit dem Mannsein an sich zu tun. «Richten wir uns innerlich als Mann auf», sagt er, «hat das einen positiven Einfluss auf unser Lebensgefühl als Mann und auch auf unsere Möglichkeiten, eine Erektion zu haben und sie als bereichernd und lustvoll zu erleben.»
Er fordert uns auf, so im Raum herumzugehen, dass wir uns in unserer Kraft als Mann fühlen: breitbeinig, mit dem Geschlecht voran, selbstbewusst. Dann ermuntert er uns, auf die Position unseres Beckens zu achten, auf die Haltung unserer Schultern, auf unseren Gesichtsausdruck, unseren Blick. In dieser Haltung des Aufrechtseins, der Aufrichtigkeit bewegen wir uns im Raum – und nehmen uns vor, von nun an mit diesem männlichen Selbstbewusstsein durchs Leben gehen.


Link:www.ziss.ch
 

Stichwörter: Sexualität, Männer, Druck, Ziss

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