Sie sind hier

Abo

Titelgeschichte

Die Zeit ist 
reif für die Legalisierung

Seit den 90er-Jahren kämpft er für die Legalisierung von Cannabis. Mit seinem Anliegen stiess Heinz Siegenthaler lange Zeit auf taube Ohren – bis jetzt.

Heinz Siegenthaler vor seinen Hanfpflanzen in Rüti. Diese Exemplare sind allerdings THC-frei und dienen der Produktion von Öl. Bild: Frank Nordmann/a

Interview: Parzival Meister

Nach Jahren des Stillstandes in der Cannabispolitik scheint die Legalisierung von Marihuana in der Schweiz plötzlich zum Greifen nah. Die Rede ist wohlgemerkt von der THC-haltigen Variante; und nicht vom rauschfreien CBD-Hanf, das es mittlerweile an allen Kiosken zu kaufen gibt. Gleich mehrere Faktoren stützen diese These:

• Im Mai wurde das Betäubungsmittelgesetz so angepasst, dass Schweizer Städte die Möglichkeit haben, in Pilotprojekten legal Cannabis an Konsumentinnen abzugeben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Städte ihre Projekte lancieren – auch in Biel besteht ein grundsätzliches Interesse an einer Teilnahme.

• Im März haben National- und Ständerat einer Anpassung des Betäubungsmittelgesetzes zugestimmt, die es vereinfacht, Cannabis als medizinisches Mittel einzusetzen. Bis anhin musste das Bundesamt für Gesundheit für jede Behandlung eines Patienten mit Cannabis eine Ausnahmebewilligung erteilen. Künftig kann jede Ärztin Cannabis als medizinisches Mittel verschreiben.

• Vor Kurzem trat das Bundesamt für Gesundheit an die Öffentlichkeit und verkündete, dass der Cannabis-Konsum in der Schweiz zu weit verbreitet sei, als dass ein Verbot weiter Sinn machen würde. Das Bundesamt präsentierte auch die Zahlen einer Bevölkerungsumfrage, die besagt, dass eine Legalisierung von Cannabis von über 60 Prozent der Schweizer befürwortet wird.

• Im vergangenen Mai hat die Gesundheitskommission des Nationalrates einer parlamentarischen Initiative zugestimmt, die verlangt, dass Cannabis innerhalb gesetzlicher Leitplanken legalisiert werden soll.

Besagte Initiative stammt von einem Mann, der sich schon für die Liberalisierung der Cannabispolitik eingesetzt hat, als das Thema noch lange nicht salonfähig war und keine Chance bestand, politische Mehrheiten für dieses Anliegen zu finden.

Die Rede ist von Heinz Siegenthaler aus Rüti, bürgerlicher Nationalrat und Landwirt. Der 65-Jährige wuchs im Glauben auf, dass «Hasch-Brüder» in der Hölle landen. Doch dann löste ein Inserat einen Wandel aus, der bis heute anhält.

Heinz Siegenthaler, wann haben Sie zum letzten Mal gekifft?

Heinz Siegenthaler: 19 ... (überlegt). Das war wohl etwa 1995.

War das damals Ihre erste Erfahrung mit Cannabis oder haben Sie schon als Jugendlicher ab und zu Joints 
geraucht?

Nein, ich habe nie gekifft, mir hat mehr der Alkohol zugesagt. Das in den 90er-Jahren war auch nur ein Versuch.
Damals begann ich, mich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, da ich auf meinen Feldern Cannabis angepflanzt hatte und nicht wirklich viel darüber wusste. Wissen Sie, ich bin so erzogen worden, dass Cannabis etwas ganz Schlimmes sei. So war das in den 70er-Jahren. Mir wurde gesagt, in Biel gebe es diese Haschbrüder, die alle
auf dem absteigenden Ast seien und irgendwann in der Hölle braten werden. Damals hat man mit diesen Ängsten
gearbeitet, weil man es nicht besser wusste. Als Jugendlicher war mir
zum Beispiel nicht einmal bewusst,
dass Hasch, Marihuana, Hanf und Cannabis alles von derselben Pflanze stammt.

Und wie kam der Landwirt aus Rüti, der so erzogen wurde, auf die Idee, selber Cannabis anzupflanzen?

Durch Armin Käser. Das war ein rebellischer Landwirt, der im freiburgischen ein riesiges Feld mit Hanfpflanzen hatte. Da gab es einen Wachturm und er hatte einen Lehrpfad eingerichtet. Ich wurde durch ein Inserat im «Schweizer Bauer» darauf aufmerksam. Das machte mich neugierig, denn ich war immer interessiert daran, etwas Neues zu versuchen.

Was haben Sie bis dahin gemacht?

Ich habe ganz konventionell gebauert, mit Ackerbau, Milchviehhaltung und Schweinezucht. Aber eben, ich habe immer gedacht, als Landwirt müsse man offen sein für Neues. Also habe ich mir den Hof von Armin Käser angeschaut und bin mit einem Sack voller Hanfsamen nach Hause gekommen. Ich habe meine Zuckerrüben-Sämaschine genommen und mit der Pflanzung begonnen. Ich habe begonnen, Literatur zu dieser Pflanze zu konsumieren, mich schlau gemacht, wieso sie verboten ist, wie sie zu Drogen verarbeitet wird. Und dann dachte ich: Jetzt probiere ich auch mal aus, was das für ein Rausch ist.

Und, wie war es?

(Lacht). Es war ein angenehmer Rausch. Ich war «guet druffe», oder wie man so schön sagt, einfach «high». Und das Gute war, am nächsten Tag hatte ich keine Kopfschmerzen wie nach einem Alkoholrausch.

Trotzdem sind Sie kein «Hasch-
bruder» geworden. Hat es Sie seither nicht wieder gereizt?

Nein, überhaupt nicht. Ich rauche nicht. Gut, zwischendurch eine gute Zigarre, aber diesen Rauch zieht man ja nicht runter. Nein, Cannabis sagt mir als Genussmittel nichts, ich trinke lieber Wein, Bier oder ab und zu einen guten Whisky.

Zurück zu damals, als Sie mit dem Sack Hanfsamen zurück nach Rüti kamen. Wann genau war das?

Das muss 1994 oder 1995 gewesen sein.

Die Zeit, als es in der Schweiz die Hanfläden gab und der Anbau erlaubt war.

Er war zumindest nicht verboten. Juristen können zum Teil sehr kreativ sein. Man hatte das damals so ausgelegt, weil das Gesetz besagte, die Verwendung von Hanfprodukten zu Drogenzwecken sei verboten. So lange man also keine Drogen daraus macht ... Meine Mutter etwa hat unsere Pflanzen im Saustall aufgehängt, um die Fliegen zu verscheuchen. Und Armin Käser hat zu dieser Zeit Hanfkissen verkauft. Die Kunden haben ihm schriftlich bestätigt, dass sie den Inhalt nicht als Drogen konsumieren. Und gut war das.

Was war denn eigentlich ihr Plan für die Cannabisernte?

Ich hatte gar keinen Plan. Ich habe die Samen einfach mal angesät.

Wie gross war ihr Feld?

Zirka 15 Aren, also 1500 Quadratmeter. Ich war völlig ahnungslos, mir gefielen die Felder von Armin Käser und ich dachte, das kann ich auch. Plötzlich hatte ich in Rüti wunderschöne grosse Pflanzen. Und jeden Tag tauchten Leute auf, um zu klauen, vor allem Jugendliche.

Die Existenz eines so grossen Hanffelds spricht sich schnell herum.

Ja. Aber wenn ich das der heutigen Generation erzähle, muss ich erwähnen, dass es zu dieser Zeit keine SMS oder 
E-Mails gab. Die Jugendlichen haben einen Plan gezeichnet, wo das Feld von Siegenthaler ist und haben das dann rumgefaxt. So ein Fax habe ich einmal gesehen.

Haben Sie auch mal einen Dieb 
erwischt?

Ein paar Mal. Ich habe die Jugendlichen dann gefragt, wieso sie dies tun. Und die Antwort war einfach: Es sei halt «gäbig», wenn es hier Gratis-Cannabis gäbe. Einmal stiess ich auch auf eine Gruppe älterer Herren. Die streiften bereits morgens um 7 Uhr über mein Feld, hatten Bier dabei und sahen ziemlich schlimm aus. Da habe ich auch gesehen: Cannabis ist ein Droge und ist nicht harmlos. Das würde ich nie verharmlosen. Aber zurück zum Thema: Ich hatte keinen Businessplan. Also nahm ich wieder mit Armin Käser Kontakt auf und er sagte mir, ich müsse ihm die Blüten bringen. Also haben wir die Pflanzen getrocknet, die Blüten in Kartons verpackt und ihm gebracht.

Und was hat er Ihnen dafür bezahlt?

Ja, das war so eine Sache. Als ich mein Geld erhalten habe, wurde mir bewusst, dass in unserem System etwas nicht stimmen kann. Hätte ich auf derselben Fläche Kartoffeln angebaut, also ein Grundnahrungsmittel, hätte ich vielleicht 1000 Franken verdient. Aber für mein Hanf, das ich ganz legal angepflanzt habe, bekam ich 10 000 Franken. Hätte ich diese Menge in Biel am Bahnhof verkauft, sagten mir meine Kollegen, hätte ich sogar 100 000 Franken verdienen können. Da wusste ich auch, wieso so viele Jugendliche mein Feld aufsuchten. Ich fragte mich: Wieso ist etwas, das man raucht und nicht einmal essen kann, so teuer? Ganz einfach: Weil es illegal ist und der Markt nicht vom Staat reguliert wird. Das war dann meine Initialzündung, politisch aktiv zu werden.

Und Ihre Karriere als Hanfbauer?

Ich habe noch drei weitere Saisons Cannabis angepflanzt. Aber in der Umgebung taten das mehrere, die jedoch nicht wussten, dass man die männlichen Pflanzen entfernen muss. Dadurch wurden auch meine Ernten fast unbrauchbar. Zudem begannen die Behörden, die Schraube anzuziehen. Armin Käser musste meines Wissens sogar ins Gefängnis. Mit dem Anbau war es dann für mich vorbei, aber politisch ging es erst los.

Viel konnten Sie auf der politischen Bühne aber nicht erreichen.

Nein, die Zeit war damals nicht reif dafür. Niemand wollte sich dem Thema annehmen, man fand praktisch keine Unterstützung.

2008 konnte das Schweizer Stimmvolk über eine Volksinitiative abstimmen, die Cannabis legalisieren wollte. Mit beeindruckenden 63 Prozent wurde die Initiative abgelehnt. Die Zeit war damals wirklich nicht reif.

Die Initiative war auch falsch aufgegleist. Sie kam aus einer Lobby, die freies Kiffen propagierte. Das war damals nicht mein Ziel und ist es heute noch nicht. Doch nach dem Scheitern der Initiative ist das ganze Thema ad acta gelegt worden. Erst in den Jahren 14/15 ist es wieder zum Leben erwacht, als die Städte die Idee aufbrachten, Pilotversuche für eine legale Cannabisabgabe zu lancieren.

Und seither ist die Stimmung eine 
andere?

Ich habe einen totalen Wandel gespürt.

Im September vergangenen Jahres haben Sie im Nationalrat einen Vorstoss eingereicht, der eine staatliche Regulierung des Cannabismarktes fordert. Vor Kurzem nun hat die Gesundheitskommission ihrer Initiative zugestimmt ...

... Ich habe schon 2018 einen Vorstoss eingereicht, in dem ich forderte, dass Cannabis gleich behandelt werden soll wie starker Alkohol. Der Bundesrat hat ihn zwar abgelehnt, aber dazu geschrieben, dass die Prohibition versagt habe. Das Ziel, mit einem Verbot den Cannabis-Konsum einzuschränken und die Bevölkerung damit zu schützen, sei nicht erreicht worden. Der Bundesrat gab nach all den Jahren also zu, dass das Verbot der falsche Weg ist.

Und ihre Kolleginnen und Kollegen im Parlament?

Ich stosse überall auf offene Ohren. Und man sagt mir auch, dass es vertrauenswürdiger sei, wenn ich als bürgerlicher Landwirt mit dem Thema komme, als, ich formuliere es jetzt absichtlich despektierlich, wenn ein links-grüner Kiffer nach Unterstützern für die Aufhebung des Cannabis-Verbots sucht. Man glaubt mir, dass es mir nicht ums freie Kiffen geht.

Dann erklären Sie einmal: Wieso genau sollte in der Schweiz das Kiffen legal werden?

Mein Hauptziel ist es, den Schwarzmarkt auszutrocknen. Das erreichen wir nur, wenn der Staat den Markt regelt. Der Staat sollte zwar nicht überall seine Finger drin haben, aber wenn es um den Schutz der Bevölkerung geht, muss er Regeln aufstellen. Im Strassenverkehr können wir auch nicht einfach sagen: Freie Fahrt für freie Bürger. Sonst käme es nicht gut. Ich will einen geregelten Markt, damit wir einen besseren Jugend- und Konsumentenschutz erreichen. Und das Ganze hätte noch den guten Nebeneffekt: Hanf ist eine wahnsinnige Pflanze. Sie hat ein riesiges Potenzial, das Jahrtausende genutzt wurde, bis man ihren Anbau dann in den 30er-Jahren verboten hat.

Von welchem Potenzial sprechen Sie?

Hanf hat als nachwachsender Rohstoff enormes Potential, besonders in der Faserherstellung. Am bekanntesten sind Hanfseile, die alten Feuerwehrmänner kennen noch Hanfschläuche. Auch Kunststoffe könnte man damit ersetzen. Im Innern hat die Hanfpflanze zudem ein Mark, mit dem man Bau- und Dämmstoffe herstellen kann. Die zweite Anwendung ist der medizinische Einsatz von Cannabis. Als medizinisches Mittel ist Cannabis ziemlich unbestritten, aber man weiss noch immer zu wenig darüber.

Sie wollen Cannabis auch als einfaches Genussmittel zulassen – für alle ab 18 Jahren. Wie und wo soll Cannabis verkauft werden? In Apotheken? In speziellen Hanfläden? Am Kiosk?

Wenn wir uns die Schweizer Geschichte vor Augen halten, finden wir bereits ein gutes Beispiel, wie es funktionieren kann. In den 20er-/30er-Jahren haben die Amerikaner den Schnaps verboten. Erreicht haben sie damit nur, dass Al Capone steinreich wurde, gesoffen wurde trotzdem. Auch in der Schweiz hatten wir damals ein Problem. Nämlich, dass zu viele Kartoffeln von den Bauern zu Schnaps gebrannt wurden. Da musste der Staat eingreifen und schuf das Gesetz über die gebrannten Wasser. Eine Alkoholverwaltung wurde auf die Beine gestellt, die ganz viel ganz streng regelte. Kartoffeln durften nicht mehr zu Alkohol verarbeitet werden, viele Brenngeräte wurden eingezogen, dafür wurden gezielt Konzessionen zur Herstellung von Alkohol ausgestellt. Mit diesen Massnahmen konnte der Alkoholismus in der Schweiz eingedämmt werden. Natürlich gibt es heute noch Alkoholismus, wir Menschen sind nicht gefeit davor, ein gewisses Suchtverhalten aufzuweisen.

Sie wollen also nicht, dass künftig jede und jeder Cannabis anbauen kann?

Meiner Meinung nach muss von der Produktion bis zum Verkauf alles geregelt sein. Und das erreichen wir mit Konzessionen. Wer Cannabis anbauen will, braucht dazu eine Bewilligung und muss den Jugendschutz garantieren. Cannabispflanzen anbauen ist nicht dasselbe wie etwa Apfelbäume zu setzen. Bei den Äpfeln ist es egal, wenn Jugendliche ein paar klauen, sie haben dadurch ja noch keinen Schnaps in den Händen. Beim Hanf ist das anders: Da kann ein Jugendlicher eine Blüte abschneiden, sie trocknen lassen und schon hat er eine fertige Droge. Wer also ein Hanffeld betreibt, muss dieses schützen, entweder er lässt es bewachen oder baut einen Zaun. Oder es wird Indoor in einer geschützten Halle angepflanzt. Und was den Verkauf angeht, so will ich, dass Fachgeschäfte Cannabis verkaufen.

Sie sehen Cannabis also nicht im Denner zwischen Schnaps und Zigaretten im Regal?

Doch, wenn der Laden eine Konzession löst. Wie beim Schnaps halt. Und er muss den Jugendschutz garantieren. Die ganze Kontrolle braucht natürlich Geld und da darf es nicht sein, dass das mit Steuergeldern alimentiert wird, es muss selbsttragend sein. Deshalb muss auf Cannabis eine Steuer wie auf Tabak und Alkohol erhoben werden. Sie sehen, die Regeln, die es bräuchte, kennen wir alle bereits.

Das Bundesamt für Gesundheit hat vor wenigen Wochen eine Hochrechnung präsentiert, die besagt, dass auf dem Cannabis-Schwarzmarkt jährlich knapp rund 600 Millionen Franken generiert werden.

Es gibt auch Hochrechnungen, die davon ausgehen, dass der Staat jährlich rund 1 Milliarde Franken einnehmen könnte.

Glauben Sie, der Cannabis-Anbau könnte zur Goldgrube für die Schweizer Bauern werden?

Dafür müsste es ein innovativer Bauer sein. Denn ganz sicher ist: Wer in den Hanfanbau umsteigen will, muss zuerst einmal investieren. Und auch dann ist nichts garantiert. Nehmen Sie mich als Beispiel: Ich pflanze schon heute THC-freien Hanf an, um aus den Samen Öl zu produzieren. Über diesen Anbau gibt es kaum Wissen. Meine letztjährige Ernte ist mir kaputt gegangen. Das Geschäft könnte durchaus rentabel sein. Aber ich mache das jetzt seit vier Jahren und habe fast nur Lehrgeld bezahlt. Zum Vergleich: Vor 1930 gab es nördlich der Alpen keinen Mais. Die Zucht, die Maschinen, der richtige Dünger: Das alles musste sich die Landwirtschaft zuerst erarbeiten. Beim Hanf stehen wir dort, wo die Bauern vor 1930 beim Mais standen.

Sie sind jetzt 65-jährig und haben 
ihre Ackerflächen bereits redimensioniert. Falls die Liberalisierung kommt und Schweizer Bauern legal THC-haltigen Hanf anbauen könnten: Würden Sie sich um eine Konzession bewerben?

Das müsste ich definitiv mit den Jungen anschauen. Alleine würde ich bestimmt kein grosses Unternehmen aufziehen, aber wenn sie Interesse hätten, würde ich gerne helfen. Als 2015 die Städte ihren Wunsch äusserten, versuchsweise Cannabis abgeben zu können, habe ich mich bei allen zuständigen Bundesämtern gemeldet und geschrieben, dass ich gerne als Produzent einsteigen möchte, da ich finde, dieses Cannabis darf nicht aus dem Ausland importiert werden. Aber da waren sie noch nicht soweit und sagten mir, dass sie mich nicht brauchen würden. Aktuell gibt es nur den Markt für medizinisches Cannabis und der ist noch sehr klein.

Seit Mai nun ist die Gesetzesänderung durch und rein rechtlich könnten die Städte ihre Pilotversuche nun starten. Man kann also davon ausgehen, dass der Bedarf steigen wird.

Die Pilotversuche werden kommen, davon bin ich auch überzeugt. Aber ich habe festgestellt, dass ich zu viel investieren müsste, um dort mitzumischen. Da gibt es Betriebe in der Schweiz, die weiter sind als ich und sofort beginnen könnten.

In den USA ist die Cannabis-Produktion längst ein grosses Geschäft. 
Da mischen nicht nur die Bauern, sondern die grossen Konzerne mit. Haben Sie Angst, dass diese den Schweizer Markt bei einer Liberalisierung erobern würden?

Natürlich, wir haben den Zug schon fast verpasst. Landwirtschaftliche Organisationen und der Bauernverband müssten unbedingt reagieren. Aber dort beisse ich auf Granit. Sie sagen, das sei Gesundheits- und Drogenpolitik, keine Landwirtschaftspolitik. Plötzlich wird sich da ein riesiger Markt auftun, aber man wartet nur ab. Auch der Bundesrat drückt eher auf die Bremse.

Der CBD-Markt besteht bereits. 
Glauben Sie nicht, dass die hiesigen Produzenten auch beim THC-Hanf die Marktführung übernehmen werden?

Wenn die Politik nicht vorschreibt, dass es Bio und Outdoor sein muss, haben diese Produzenten tatsächlich einen Vorsprung. Bei den Pilotversuchen sagt der Gesetzgeber nämlich, dass wenn möglich Schweizer Bio-Hanf verwendet werden soll. Indoor-Produzenten können keinen Bio-Standard bieten.

Plädieren Sie dafür, dass vorwiegend auf Feldern produziert wird?

Nein, nicht zwingend. Wichtig ist, dass die Anlagen gesichert sind. Aber wenn ein Bauer eine alte Hühnermasthalle hat und investieren will, um hier eine Hanfproduktion aufzuziehen, finde ich das auch gut.

Werden Sie in Ihrem nächsten politischen Vorstoss fordern, dass sich die Schweizer Landwirtschaft auf die Produktion vorbereiten soll?

Vielleicht muss ich das tun, ja. Aber dazu müssen wir zuallererst erreichen, dass man Cannabis nicht mehr verteufelt und aus dem Giftschrank holt. Wir müssen Ängste abbauen und zeigen, was man mit dieser Pflanze alles machen kann.

Vor Kurzem hat das Bundesamt für Gesundheit an einer Medienkonferenz verkündet, dass das Cannabis-Verbot seine Wirkung verfehle und die Prohibition nicht mehr der richtige Weg sei. Also das, was Sie schon seit Jahrzehnten predigen. Hat das bei Ihnen ein Lächeln ausgelöst?

Ein grosses Lächeln sogar. Generell läuft es in diesem Thema besser als je zuvor. Ich konnte meine Kolleginnen und Kollegen in der Gesundheitskommission ja auch schon davon überzeugen. Ich war übrigens daran, eine repräsentative Bevölkerungsumfrage zu lancieren. Nun hat das Bundesamt für Gesundheit an seiner Medienkonferenz genau eine solche präsentiert.

Besagte Bevölkerungsumfrage hat gezeigt, dass über 60 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer für eine Aufhebung des Cannabis-Verbots wären. Eine so hohe Zustimmung haben Sie in der Gesundheitskommission nicht erreicht. Woran liegt das?

Bei vielen existiert noch diese Urangst. Sie haben wohl wie ich als Jugendliche von ihren Eltern von diesen Drogenhöllen gehört und glauben nach wie vor, dass Haschisch etwas furchtbar Schlimmes ist. Und es ist halt immer nur das wahr, was man glaubt, und nicht, was effektiv wahr ist. Diese Denkweise ist der eine Grund, der andere ist Unwissen.

Ist es nicht auch einfach eine Generationenfrage?

Bis zu einem gewissen Punkt schon, ja. Bei vielen Jungen stelle ich halt fest, dass sie es auf die leichte Schulter nehmen. Manche haben mir schon gesagt, sie würden mir ein Denkmal stellen, wenn Cannabis legalisiert wird.

Wäre das nicht schön?

Mein Ziel ist es ja nicht, aus der Schweiz ein Kifferparadies zu machen. Ich will den Schwarzmarkt austrocknen und den Gangstern den Riegel schieben. Das ist eine Sauerei, was die tun. Sie mischen dem Zeugs, das sie verkaufen Fäkalien, Blei und noch ganz viel anderen Mist bei. Nun wurde festgestellt, dass dem Gras synthetisches Cannabis zugemischt wird, das giftige Substanzen enthält, was bis zum Tod führen kann. Es darf doch nicht sein, dass der Staat einfach sagt: Wir haben ein Verbot und damit sind alle Probleme gelöst.

Wo in der Politik stossen Sie auf den grössten Widerstand? Im bürgerlichen Lager?

Ja, meistens. Vor allem bei der SVP. Da haben mir einige gesagt, ich hätte ja Recht, aber sie dürfen mich wegen ihrer Partei nicht unterstützen. In der FDP ist man gespalten. Auch bei mir in der Mitte gibt es einen konservativen Flügel, in dem ich gar keine Unterstützung finde. Viele haben Angst. Denn sehen Sie, es gibt Politiker und es gibt Staatsmänner. Ein Staatsmann denkt an die nächste Generation, ein Politiker an die nächste Wahl. Wer sich bisher gegen eine Liberalisierung ausgesprochen hat, will sich gar nicht überzeugen lassen, da er fürchtet, seine Wählerinnen und Wähler zu verärgern. Dabei zeigen die Bevölkerungsumfragen: Eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer wollen eine Öffnung.

Sie sind überzeugt, dass das Volk Ihre Anliegen stützen würde. Die Frage ist aber: Wann kommt es zur Abstimmung? Jetzt starten zuerst einmal die Pilotversuche in den Städten.

Ja, die werden anlaufen. Man sagt mir auch ständig, ich sei ein «Stürmi» und solle zuerst einmal die Pilotversuche abwarten. Aber die dauern eine gewisse Zeit. Auch die Gesetzesarbeit braucht dann eine gewisse Zeit. Man kann das ja parallel laufen und die Erkenntnisse aus den Pilotversuchen laufend in die Gesetzesarbeit einfliessen lassen.

Sie haben so lange gewartet. Wieso jetzt diese Ungeduld?

Wir können nicht nochmals zehn Jahre warten. In den nächsten zehn Jahren wird der Markt in vielen anderen Ländern liberalisiert werden und irgendwann werden wir total abgehängt. Zudem: Wir haben weltweit schon jetzt Länder mit einem legalisierten Markt. Warum holen wir uns nicht die Daten aus Kanada oder den USA? Da könnten wir wohl mehr lernen als aus unseren eigenen Pilotversuchen. Zudem: Was nun in der Schweiz entsteht, ist ein juristischer Flickenteppich. Nebst den Pilotversuchen wird nun ganz zackig das Betäubungsmittelgesetz so angepasst, dass Cannabis ganz einfach für medizinische Zwecke eingesetzt werden kann. Früher brauchte es dazu für jeden Fall eine Sonderbewilligung des BAG, künftig kann jeder Arzt seinen Patientinnen und Patienten ein Cannabis-Rezept ausstellen.

Also wird der Markt schon bald 
rasant wachsen?

Ja, irgendwo muss das Cannabis ja herkommen. Und es wird in medizinischer Qualität benötigt, was noch schwieriger zu produzieren ist. Und woher kommt das dann? Worauf ich hinaus will: Hier wird etwas gemacht, da wird etwas angepasst, aber wir haben keine Gesamtstrategie für den Cannabis-Markt. Das kommt daher, dass nicht der Bundesrat, sondern die Städte aktiv geworden sind und die Pilotversuche forderten. Also hat man für sie einen Gesetzesartikel geschaffen. Mein Vorstoss muss nun noch in der Ständeratskommission eine Mehrheit finden, dann kann die nationalrätliche Kommission ein Gesetz ausarbeiten. Das ist aussergewöhnlich, eigentlich müsste das vom Bundesrat kommen.

Nehmen wir an, alles läuft, wie Sie es sich wünschen: Wann wird der Cannabismarkt in der Schweiz liberalisiert sein?

Ich träume davon, dass wir in drei Jahren eine Volksabstimmung haben. Der Markt könnte also 2024/25 liberalisiert sein.

Und werden Sie dann noch Nationalrat sein?

Die nächsten Wahlen finden 2023 statt, ich werde mich nächstes Jahr entscheiden, ob ich nochmals antreten werde. Es kommt darauf an, wie meine Partei bei den kantonalen Wahlen abschneiden wird. Noch wichtiger ist aber, wie diese Geschichte weiterläuft. Ich setze mich jetzt seit 25 Jahren für die Cannabis-Legalisierung ein und merke nach so langer Zeit des Wartens, dass der «Charre» nun läuft. Jetzt macht es Spass, jetzt will ich eigentlich nicht abspringen.

Nachrichten zu Fokus »