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Videospiel

Die pure Liebe für ein Medium

Der japanische Spielentwickler Hideo Kojima polarisiert mit «Death Stranding». Wer ist dieser Mann, der wie ein Popstar verehrt wird? Und was möchte er uns mit seinem jüngsten Werk mitteilen?

Hideo Kojima: Der Game-Entwickler mit Jahrgang 1963, wird seit Jahren wie ein Popstar verehrt, Bild: zvg
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Simon Dick

Die Bergspitze ist fast erreicht. Der Wind weht kräftiger und Sam Porter Bridges (ein digitalisierter Norman Reedus) gerät ins Schwanken. Seine schwere Last auf dem Rücken macht ihm zu schaffen. Seine Ausdauer ist fast aufgebraucht, er steht kurz davor, umzukippen und seine gesamte Ladung zu verlieren. Doch der Spieler, die Spielerin hat ihn fest im Griff. Im wahrsten Sinne des Wortes. Mit dem Controller, der die Figur dirigiert, muss das Gleichgewicht immer wieder hergestellt werden, sodass der Protagonist ohne Sturzgefahr weitergehen kann. So vergehen viele Spielstunden in «Death Stranding», wo man von A nach B wandert, um die Ware abzugeben. In einer postapokalyptischen Welt sind simple Lieferanten die neuen Helden. Die Menschheit hat sich unter die Erde verkrochen, weil an der Oberfläche ein tödlicher Regen wartet. Doch Sam ist dagegen gewappnet, denn er trägt ein Baby in einem Hightech-Behälter bei sich, das als biologisches Alarmsystem funktioniert. Willkommen in der abgefahrenen Science-Fiction-Welt von Hideo Kojima...

Das beste Pferd im Stall
In seinen jungen Jahren war die Hauptleidenschaft von Kojima nicht wie etwa vermutet das Videospiel, sondern das Medium Film. Er konsumierte unzählige Genrefilme, schrieb eigene Kurzgeschichten, Drehbücher und drehte Kurzfilme. Sein Ziel war klar: Er wollte Filmregisseur werden und seine Geschichten auf die grosse Leinwand bringen. Doch es kam anders: 1986 begann der 23-Jährige seine Karriere in der Videospielfirma Konami. Schon ein Jahr später brachte er als Spieleentwickler das Kultspiel «Metal Gear» heraus. Der grosse finanzielle Erfolg blieb aus, aber der erste Stempel in der Unterhaltungslandschaft wurde gesetzt. 1988 erschien das Science-Fiction-Abenteuer «Snatcher», das heute ebenfalls als Kultspiel gilt, aber vorerst nur in Japan einen Erfolg feiern durfte.

Seinen internationalen Durchbruch konnte Kojima erst 1998 mit «Metal Gear Solid» für die erste Playstation feiern. Dieses Schleich-Action-Spiel war ein Meilenstein in der Geschichte der Videospiele. Mit seiner cineastischen Erzählweise und der Mixtur aus Kojima-Humor und kruder Figurenzeichnung gelangte er zu grossem Ruhm in der Szene. Es gab Auszeichnungen und das Spiel wurde zu einem der erfolgreichsten der Videospiel-Geschichte. Hideo Kojima wurde schliesslich zum besten Pferd im Stall bei Konami, kam bis in die Chefetage und hatte bei vielen Projekten jahrelang eine freie Hand. Doch im Konzern begann es langsam aber sicher zu brodeln.

Ein dubioser Abgang
2015 verliess Kojima Konami und sein internes Studio «Kojima Productions» wurde aufgelöst. Doch kurz danach gründete er das Studio mit demselben Namen neu und machte sich selbstständig. Der abrupte Ausstieg war für viele Bewunderer ein Schock. Denn Kojima wollte zuvor als letztes Projekt die Horror-Spielreihe «Silent Hill» auferstehen lassen und die Fangemeinde glücklich machen. Daraus wurde nichts. Doch der für das Spiel vorgesehene Schauspieler Norman Reedus wurde kurzerhand für sein eigenes Projekt «Death Stranding» engagiert. Auch Horror-Regisseur Guillermo del Toro holte er mit an Bord, der ihm vorher beim neuen «Silent Hill»-Spiel Pate stand.

Die genauen Gründe für den Abgang sind unklar. Beide Seiten hüllen sich auch heute noch in Schweigen. Glaubt man der immer noch brodelnden Gerüchteküche, waren Differenzen über die neue Geschäftsstrategie von Konami schuld. Denn der Hersteller hat sich vom Kerngeschäft der Videospiele verabschiedet und neue Geschäftsfelder, wie zum Beispiel Smartphone-Spiele und E-Sport, erschlossen. Kojima, dessen Herz dem Medium Videospiel gehört, war mit dieser Ausrichtung angeblich gar nicht einverstanden. Klar ist heute nur, dass ein solch eigenwilliges, entschleunigendes Spiel wie «Death Stranding» unter dem Dach von Konami nie auf den Markt gekommen wäre.

«Death Stranding» scheidet die Geister: Während die einen darin den Höhepunkt seines Schaffens sehen und es als Meisterwerk betrachten, finden andere, dass sich der angebliche Meister mit seinem neuen, sehr langweiligen Geduldsspiel total verrannt hat. Spielerinnen und Spieler als auch die Fachpresse sind gespalten. Egal ob man dieses eigenwillige Videospiel feiert oder stark kritisiert, der exzentrische Hideo Kojima hat hier eindeutig ein Fanal für die Game-Branche erschaffen, über das man noch viele Jahre sprechen wird und das erheblichen Einfluss auf die Videospiel-Industrie haben könnte.

«Death Stranding» ist das erste richtige Autoren-Spiel der Branche. Will heissen, dass Hideo Kojima vom Anfang bis zum Schluss alleine für Inhalt, Spielmechanik und Entwicklung verantwortlich war. Dies war nur möglich, weil er ein eigenes Produktionsstudio gründete und den Traum aller Träume eines Spieleentwicklers ausleben konnte. Das spürt man in jeder einzelnen Minute, wenn man sich diesem epischen Videospiel widmet.

Voller Metaphern und fast schon intim
Die sehr pazifistische Geschichte ist so konfus, voller Metaphern, sozialkritisch und verschachtelt, dass es einem schwindelig werden kann. Die Spielmechanik ist so detailverliebt und für ein zeitgenössisches Videospiel fast schon intim, dass man öfters mit den Augen rollt, weil sich der exzentrische Spielemacher einfach nicht mehr gespürt hat und von niemandem in der Chefetage gestoppt wurde. Aus jeder einzelnen digitalen Pore tropft der Kojima-Geist und wenn man meint, abgefahrener kann es nicht mehr werden, setzt er nochmals einen drauf und sorgt für magische Momente.

Wer den Spielemacher in den sozialen Medien verfolgt, erkennt schnell, dass der Japaner seine Arbeit über alles liebt und davon ganz viele Eindrücke und Gefühle weitergeben möchte. Das gefällt seinen Fans. Kojima hat es mit seinem Enthusiasmus ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft.

Sein englischsprachiger Twitter-Account gewann jüngst den Preis für «Meiste Follower eines Video-Game-Directors auf Twitter». Fast drei Millionen Follower kann er mit diesem Account glücklich machen. Auch auf Instagram gab es eine Auszeichnung. Dort besitzt er über 900000 Abonnenten, was für einen Videospielmacher sehr beachtlich ist.

Seine Faszination für die sozialen Medien hat sich übrigens auch in «Death Stranding» eingeschlichen: Bewegen sich die Spielerinnen und Spieler im Online-Modus durch die postapokalyptische Welt, können sie dort auf Gegenstände von anderen Mitspielern treffen und diese benutzen. So findet man beispielsweise eine hinterlassene Leiter oder gar ein Fahrzeug, das in der Einöde zurückgelassen wurde. Wem das gefällt, kann Likes verteilen und sich so bedanken. Ein typisches Kojima-Spielelement, das nur diesem Ausnahmetalent einfallen kann.


 

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