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Social Media

Die virale Revolution des Gutmenschentums

Tiraden gegen Asylbewerber, Hetze gegen Flüchtlinge, Warnung vor der „schleichenden Islamisierung“ – solche Beiträge dominieren soziale Netzwerke. So war das jedenfalls. Denn nun schlägt die Gegenseite zurück und zieht mit gleicher Effizienz durchs Netz: Der Aufstand der Anständigen heisst #mundaufmachen.

Stehen für den Aufstand der Anständigen: ARD-Moderatorin Anja Reschke (oben links), rechts daneben Til Schweiger und unten das Comedy-Duo Joko und Klaas. printscreen

von Parzival Meister

„Ich bin kein Rassist, aber…“. Beiträge, die genau mit diesen Worten beginnen, haben schon oft die sozialen Netzwerke wie Facebook und Twitter geflutet. Hier ein „Like“, da ein „Kommentar“, dort ein „geteilter“ Beitrag: Der Wutbürger hat es verstanden, mit plakativen Aussagen das Netz viral zu erobern.

Da war zum Beispiel der berühmt-berüchtigte Leserbrief "Sozialhilfe für Asylanten ist Ohrfeige für Rentner". Eine Frau beschwert sich darin, dass Asylanten in der Schweiz besser behandelt würden als Rentner. Sie beschwert sich, dass diese bösen Flüchtlinge, ohne etwas zu tun, mehr Geld erhalten, als hart arbeitende Schweizer in ihrem Ruhestand – und die Schweizer würden deswegen nicht kriminell werden.



Dass es die Verfasserin des Schreibens mit den Fakten nicht so genau nahm, scheint nicht zu interessieren. Zwar klären verschiedenen Medien über die Sachlage auf (wie dieser Artikel der Aargauer Zeitung), doch das kommt zu spät. Das Wutbürgertum fühlt sich bestätigt, im Netz wird über Gutmenschen geflucht.

"Liebe Eidgenossen..."

Oder wir erinnern uns an den Kettenbrief mit den Anfangsworten „Liebe Eidgenossen…“. Schweizer wurden aufgefordert, sich als Flüchtling in Drittweltländer und Krisengebiete zu begeben. Um zu sehen, wie mies da Flüchtlinge behandelt würden und wie gut es diese frechen Leute aus dem Ausland in der Schweiz hätten. Und dies nur deshalb, weil unser Land von politisch korrekten Leuten regiert werde (hier geht es zum Artikel). Jüngst verbreitete sich das Video von angeblich „plündernden Asylanten“ auf der Autobahn, das zeigen sollte, was für böse Menschen da aktuell nach Europa flüchten wollen (den Artikel lesen Sie hier).

Es gäbe noch so einige Beispiele für den viralen Erfolg des Wutbürgers. Die Frage, ob Fremdenhass durch soziale Netzwerke wieder salonfähig geworden ist, kommt nicht von ungefähr. Klar, es gab schon immer Leute, die sich über derartige Beiträge öffentlich enerviert haben, doch die Oberhand gehörte dem Wutbürger. Der Gutmensch hat geschwiegen. Mit der Faust im Sack.

Der erste virale Gegenschlag der ARD

Nun aber zieht eine neue Welle durch die sozialen Netzwerke. Der Gutmensch erhebt sich und zeigt: Wir finden das, was ihr da tut, nicht in Ordnung. Wir stehen zur Humanität.

Losgetreten hat die Welle ARD-Moderatorin Anja Reschke. In einem Video-Kommentar rief sie den Aufstand der Anständigen aus. Gegen Rassismus und für eine tolerante Gesellschaft, so der Inhalt des Kommentars. Reschke sagte, es sei bedenklich, dass öffentlich gegen Ausländer gehetzt würde. Die Autoren würden sich nicht einmal mehr hinter Pseudonymen verstecken. Deshalb sollen Menschen, die nicht so denken, dies ebenfalls öffentlich sagen.



Klar, Reschke musste für diesen Kommentar auch einstecken. Doch grösser als die Kommentarwelle des Wutbürgers war die Unterstützung der restlichen Bürger. Der Aufruf trug Früchte, das Video wurde zum viralen Erfolg der Anständigen. Jetzt hatte auch die Gegenseite einen plakativen Post, den sie weiterverbreiten konnte. Und das war erst der Anfang.

Es folgte dieses Video, das Bilder aus Krisengebieten zeigt und all den Kommentaren entgegenhält, in denen Flüchtlinge als Schmarotzer dargestellt werden, die nur unser Geld wollen. Und wieder ein viraler Erfolg der Anständigen.

 

"Asylschmarotzer" - // TEILEN //

// TEILEN // "Asylschmarotzer", "Alle gleich erschießen", "Ab in die Gaskammer", "Die wollen nur unser Geld", ..... Flüchtlinge! Zwei Minuten zum Nachdenken über die Realität, ihre Ausblendung und die unglaublichen ReaktionenHelfen? Liberale Flüchtlingshilfe e.V. (i.G.) Youtube: https://youtu.be/DQyRVVY4iTE

Posted by Tobias Huch on Mittwoch, 19. August 2015


Die Revolution erhielt prominente Unterstützung. Und da kommt man an einem nicht vorbei: Til Schweiger. Der Schauspieler postete in seinem Facebook-Profil einen Artikel über eine Spendenaktion für Flüchtlinge. Und natürlich ging die Diskussion los. Eine Diskussion darüber, ob es richtig sei, Flüchtlingen zu helfen. Rassistische Kommentare en masse. Schweiger reagierte mit diesen Worten: „Oh Mann, ich habs befürchtet!! Ihr seid zum Kotzen! Wirklich! Verpisst Euch von meiner Seite, empathieloses Pack! Mir wird schlecht!!!".


Der Aufstand der Anständigen war wieder in den Schlagzeilen. Und Schweiger legte noch einen obendrauf. In der Sendung «Menschen bei Maischberger» sagte er zu CSU-Generalsekretär Andreas Scheurer: „Sie gehen mir auf den Sack!“ Scheurer hatte Schweigers Vorschlag, den Solidaritätszuschlag zur Finanzierung von Flüchtlingsunterkünften zu nutzen, als albern bezeichnet. Noch am selben Abend verbreitete sich das Video wie ein Lauffeuer im Netz.



In dieser Woche sind es Joko und Klaas, die den Aufstand der Anständigen repräsentieren. Das Comedy-Duo von ProSieben hat ein Video veröffentlicht, das noch seines Gleichen sucht. „Ihr seid erbärmliche Trottel“, so die Botschaft an die Adresse der Hass-Kommentatoren. Und  dann noch dieser Satz: „Entfolgt uns bei Twitter, entfreundet uns bei Facebook, überzieht uns mit einem Shitstorm, boykottiert unsere Shows. (...) Keine Fernsehquote kann so schlimm sein wie der Applaus von Leuten, die auch dann laut klatschen, wenn ein Flüchtlingsboot mit 800 Menschen im Mittelmeer versinkt.“



Ein neuer Hashtag ist geboren. #mundaufmachen steht für die virale Revolution des Gutmenschentums. Die Anständigen geben das Netz nicht kampflos auf.

Kommentare

Kommunikation

Lieber Herr Meister Menschen, die sich Diffamierung und Rassismus nicht gefallen lassen, sind nicht per definition Gutmenschen. Sie sind einfach nur korrekt. Nichts mehr und nichts weniger.


Biennensis

Auch nach 70 Jahren nichts dazugelernt - die Deutschen tun sich nach wie vor schwer mit ihrer Vergangenheit! Kommt dazu, dass Till Schweiger als „Vorzeige-Anständiger“ in der Sendung «Menschen bei Maischberger» emotional maximal völlig überfordert war!


Gulliver

Bravo Herr Meister! Beste Boulevard-Presse auf unterstem Niveau.


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