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Unterhaltung

Ein Höhepunkt der Videospielkultur

Mit seiner mutigen Erzählweise schreibt «The Last of Us Part 2» Videospielgeschichte und bringt die Spielenden an ihre emotionalen Grenzen. Die Messlatte für interaktive Geschichten ist für Konkurrenzprodukte nun gewaltig hoch.

Ein Moment der Stille: In der rauen Spielwelt sind solche ruhigen Szenen mit der Protagonistin Ellie selten. Bild: zvg

Simon Dick

Ganze sieben Jahre lang dauerte die Produktion von «The Last of Us Part 2». Der Veröffentlichungstermin wurde immer wieder verschoben. Auch die Coronakrise sorgte dafür, dass das Startdatum nochmals geändert werden musste. Und als auch noch komplette Spielszenen mit wichtigen Handlungsmomenten vorab im Internet gelandet sind, zog der Entwickler Naughty Dog nochmals die Notbremse. Nun aber ist sie da, diese heiss ersehnte Fortsetzung, auf die Millionen von Spielerinnen und Spielern so lange warten mussten. Die lange Wartezeit hat sich mehr als gelohnt.

Eine zerstörte Gesellschaft
2013 erschien der erste Teil und schickte die Spielerinnen und Spieler auf eine sehr emotionale Reise. In einer postapokalyptischen Welt hatte ein Virus die meisten Menschen nicht nur in aggressive Zeitgenossen verwandelt, sondern auch die gesellschaftliche Ordnung auseinanderbrechen lassen. Verschiedene Gruppierungen bekämpften sich und versuchten, jenseits der zerstörten amerikanischen Metropolen zu überleben. In diesem Chaos begleiteten wir Joel, der seine Familie verlor und als Egoist durch die Gegend streifte. Doch sein verloren geglaubter Beschützer- und Vaterinstinkt wurde durch die kleine Ellie wiedererweckt, die er auf ihrer Reise beschützte. Denn das Mädchen war und ist immer noch immun gegen das Virus und wurde als Heilsbringer von vielen Menschen gejagt.

Etwa fünf Jahre nach dieser Handlung setzt die Fortsetzung ein. Die beiden Protagonisten konnten sich nach vielen Strapazen erfolgreich in einem Camp niederlassen, zur Ruhe kommen und haben neue Freunde gefunden. Doch die Beziehung zwischen den beiden ist angeschlagen. Wo einst herzliche, familiäre Sympathie herrschte, ist nur noch Abstand zu spüren. Warum genau, das wird im Verlaufe der Handlung erklärt. Es folgen eine blutige Rachegeschichte, dramatische Momente und Handlungsabläufe, die man so in einem Videospiel noch nie erleben durfte.

Emotionen und Chaos der Gefühle
Auf den ersten Blick dürfte die grob angerissene Inhaltsangabe den Narrations-Kritiker nicht gross beeindrucken. Doch in Kombination mit der Interaktivität, die ein Videospiel anbietet, wird hier der Spielende auf eine besondere Reise mitgenommen und wild durcheinandergewirbelt.

Das Medium Videospiel hat gegenüber dem Film den Vorteil, dass die spielende Person nicht passiv einem Geschehen zusieht, sondern aktiv an der Handlung teilnimmt. Mittels Controller schlüpft man in die Rolle einer Spielfigur und entscheidet, wohin sie sich bewegt und wie sie sich in einzelnen Situationen verhält. Dadurch entsteht eine intensive Immersion mit dem Medium. Der Spieler wird zu einem Teil der Geschichte und taucht dadurch noch tiefer in sie hinein. Emotionen auf dem Bildschirm werden intensiviert und es beginnt die Identifizierung mit dem Hauptcharakter. Und gerade dieser emotionale Vorgang wird beim zweiten Teil für ein besonderes Spielerlebnis auf die Probe gestellt.

Denn in der Fortsetzung wird man nicht nur in die Heldenrolle gedrückt, sondern auch mit abweichenden, nonkonformen Figurenentscheidungen konfrontiert, die die Akzeptanz immer schwieriger macht. So geschehen auf dem Bildschirm immer wieder Dinge, die man als Spielerin einfach nicht tun möchte, ja es entwickelt sich sogar eine Weigerungshaltung. Um aber die Geschichte weiter voranzutreiben, sind bestimmte Handlungen seitens des Spielers nötig. Und diese Konflikte im Inneren der spielenden Person sorgen für eine Erfahrung, die es in einer solchen Intensität in einem Videospiel noch nie gab. Die simple Formel Gut gegen Böse wird aufgebrochen, die Grenzen verwischen und in diesem Chaos der Gefühle steht die spielende Person, die sich windet und auch selbst zu leiden beginnt.

Die perfekte Immersion
«The Last of Us Part 2» sieht nicht nur beeindruckend aus, sondern spielt sich auch beeindruckend. Jede einzelne Szenerie ist detailverliebt, die spartanische Musik unterstreicht jeden einzelnen Moment perfekt und in den zirka 30 Spielstunden kommt man von dieser rauen Welt kaum mehr los. Abschreckend mag für die eine oder den anderen der hohe Gewaltgrad sein. Die Anwendung und Auswirkung von Gewalt werden hier schonungslos in Szene gesetzt, sodass man seinen Blick oft einfach nur angewidert abwenden muss. Die harten Momente unterstreichen die anarchistische neue Weltordnung, bieten Gesellschaftskritik pur und rütteln den interaktiven Zuschauer nochmals kräftig durch. Die Immersion ist perfekt und die Emotionen kochen hoch wie nie zuvor. Die Entwickler-Firma Naughty Dog (siehe Zweittext unten) hat hier nicht nur einen Meilenstein der Videospielgeschichte kreiert, sondern die Messlatte für interaktive Geschichten in ganz hohe Sphären katapultiert.

Info: «The Last of Us Part 2» ist exklusiv erhältlich für Playstation 4 und freigegeben ab 18 Jahren.

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Viele Emotionen: Game-Regisseur Neil Druckmann haucht der Spielfigur Ellie sehr viel Leben ein. Bild: zvg

Die Macherinnen und Macher
Naughty Dog ist eine erfolgreiche amerikanische Videospielentwickler-Firma, die 1986 unter dem Namen JAM Software gegründet wurde. Während vorerst nur kleinere Spiele entwickelt wurden, kam 1996 der grosse Durchbruch. Mit dem bunten Hüpfspiel «Crash Bandicoot» landete die Firma, die mittlerweile den Namen in Naughty Dog umgeändert hatte, einen Hit für die erste Playstation. Die Hauptspielfigur war so populär, dass sie sogar zeitweise als Playstation-Maskottchen gebraucht wurde.

2001 wurde die Firma von Sony komplett aufgekauft, produzierte ab diesem Zeitpunkt nur noch exklusiv für die folgenden Playstation-Spielkonsolen und veröffentlichte einen Hit nach dem anderen. Vor allem die Abenteuer-Reihe «Uncharted» liess die Kassen klingeln. 2013 schuf das Studio mit «The Last of Us» einen weltweiten Hit, der von der Fachpresse und den Videospielfans gleichzeitig gefeiert wurde. Eine Fortsetzung war bei den hohen Verkaufszahlen nur eine Frage der Zeit.

Auch wenn bei der Fortsetzung «The Last of Us Part 2» hunderte von Menschen dahinterstecken, wurde der israelisch-amerikanische Schriftsteller Neil Druckmann als neues Aushängeschild gefeiert. Mit seiner aussergewöhnlichen Erzählweise und komplexen Figurenzeichnung hat der Game-Regisseur das Medium Videospiel erzähltechnisch auf ein neues Level gehoben (siehe Haupttext oben).

Bereits mit dem ersten Teil hat er durch seine Arbeit viele Auszeichnungen erhalten und war auch am Erfolg der «Uncharted»-Reihe mitverantwortlich. Mit der famosen Fortsetzung scheint er nun vorerst auf dem Höhepunkt seiner Karriere angekommen zu sein. sd

 

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