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Videospiel

Ein kleines Kind weckt Emotionen

«A Plague Tale: Innocence» ist ein Spiel aus Frankreich, das sich mit der Pest und der Inquisition befasst. Zwei Waisenkinder sind auf der Flucht und müssen im finsteren Mittelalter beschützt werden.

Im Mittelalter lauern Gefahren: Der kranke Hugo muss beschützt werden, Bild: zvg
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Simon Dick

Mit einer Fackel in der einen Hand schleicht Amicia durch ein dunkles Burgverlies. In der anderen Hand zieht sie ihren fünfjährigen Bruder hinter sich her. Sie werden verfolgt. Hinter ihnen versammeln sich unzählige Ratten, die mit ihren dunkelbraunen, haarigen Körpern eine grosse, hungrige Masse bilden und die Kinder bald eingeholt haben. Werden die beiden den Ausgang rechtzeitig erreichen? Angst und Gänsehaut machen sich beim Spieler breit. Als sie endlich das Tageslicht erreicht haben, kann man durchatmen. Doch die Rattenplage wird ein ständiger Begleiter bleiben.

Ein sehr düsteres Europa
Zwischen 1346 und 1353 starben in Europa Millionen von Menschen an der Pest. Die Pandemie, die auch als Schwarzer Tod bezeichnet wurde, führte zu Unruhen und Leid. «A Plague Tale: Innocence» ist im Jahr 1349 in Frankreich angesiedelt, als die Pest besonders intensiv auf dem Kontinent wütete. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die Adelstochter Amicia und ihr kleiner, kranker Bruder Hugo, die vor der Inquisition fliehen müssen. Auf ihrer Flucht durchstreifen sie heruntergekommene Dörfer, Burgruinen und Gebiete, wo es von Ratten nur so wimmelt. Warum genau die beiden Waisenkinder verfolgt werden, wird im Verlauf der Geschichte erklärt.

Um sich gegen die Horde von Ratten zu wehren, sind Feuer und Lichtquellen überlebenswichtig. Denn die flinken Tiere können kein Licht ertragen und haben generell Angst vor dem Feuer. Die Rattenmasse ist aber nicht die einzige Gefahr, die das Geschwisterpaar umgehen muss. Denn Soldaten und andere finstere Gesellen sind permanent auf der Suche nach den beiden.

Schleichen statt kämpfen
Im Gegensatz zu vielen anderen Videospielen kann sich die Heldin hier nicht einfach körperlich zur Wehr setzen. Das bedeutet, dass nicht gekämpft, sondern hauptsächlich geschlichen wird. Amicia hat zwar eine Steinschleuder, kann sich damit aber kaum verteidigen. Die Schleuder besitzt vielmehr eine strategische Rolle in der Spielmechanik. So kann das Mädchen zum Beispiel aus der Ferne dem herumlungernden Soldaten die Laterne aus der Hand schlagen, sodass sich anschliessend die Ratten über den Wehrlosen stürzen. Oder ein Steinwurf dient nur zur Ablenkung, sodass die Wache sich umsehen muss und die beiden Waisenkinder davonschleichen können. Mittels Alchemie kann Amicia auch Pulver verschiessen, um Gegenstände in der Ferne zu entzünden.

In vielen Videospielen ist die direkte Konfrontation zwischen dem Spieler (in der Regel ein übermenschlicher Held) und einem starken, aber bezwingbaren Gegner Usus. «A Plague Tale: Innocence» ist anders. Der Spieler steuert nicht nur einen sehr jungen Menschen, sondern hat gleichzeitig auch noch die Verantwortung für ein kleines Kind. Das Mädchen ist als Heldin körperlich schwach und kann nur einen einzigen Schlag des Gegners aushalten. Eine direkte Konfrontation kann sie also nicht bestreiten. Dafür benutzt sie ihren Verstand, um sich aus heiklen Lagen zu befreien. Sie interagiert mit der Umgebung, nutzt Gegenstände auf clevere Art und Weise, um den Gefahren zu entkommen.

Eine bedrückende Stimmung
Das Videospiel hat eine sehr bedrückende, traurige Grundstimmung. Die Pest in Europa und die gesellschaftlichen Auswirkungen auf die Bevölkerung sind allgegenwärtig. Die Menschen, vor allem die Kinder, leiden. Die Gegend ist verschmutzt, heruntergekommen und man kann den fiesen Geruch in den Gassen schon fast durch den Bildschirm riechen. 

Das historische Setting wurde nicht einfach nur als Dramatik-Gewand gebraucht. Das europäische Spätmittelalter wird hier äusserst realistisch dargestellt, auch wenn die Masse an Ratten für den dramaturgischen Effekt zu übertrieben, oft auch surreal inszeniert wurde.
Wer übrigens den Charakteren regelmässig zuhört oder sie belauscht, erfährt viele historische Fakten über den Hundertjährigen Krieg und die damaligen Königshäuser, die sich gegenseitig stürzen wollten.

Französisches Studio überrascht
Asobo Studio, ein französisches Entwicklerteam aus Bordeaux, ist eigentlich für eher kleine, sehr bunte Minispiele bekannt. Mit «A Plague Tale: Innocence» haben sich die Franzosen zum ersten Mal an ein sehr ernstes Thema herangewagt. Das Ergebnis ist mehr als gelungen. Das Spiel ist schlicht eine Überraschung geworden. Dabei haben die Macher keineswegs etwas komplett Neues erschaffen. Dass man in einem Videospiel zu zweit unterwegs ist, respektive, dass man als Hauptfigur die Verantwortung für eine andere übernehmen muss, gab es schon.

Asobo Studio schafft jedoch eine intensive Nähe zwischen erzählter Geschichte und Spieler. Die Figuren wachsen einem ans Herz und man fiebert mit den Kindern mit. Verantwortlich dafür sind auch die ausgezeichneten Dialoge, die die beiden führen. Sie sind realistisch und wirken nie aufgesetzt. Vor allem der fünfjährige Hugo weckt Mitgefühl. Er freut sich über kleine Dinge wie eine Blume, stellt viele Fragen über die Geschehnisse, hat aber auch ständig Angst und möchte beschützt werden. Er kann aber auch manchmal nerven, doch schnell hat man wieder Mitleid mit ihm und möchte nur sein Bestes.

«A Plague Tale: Innocence» ist ein Videospiel, das Emotionen weckt. Die Kinder schaffen eine Empathie für künstliche Figuren, die man selten so intensiv erlebt. Das französische Entwicklerteam hat ein sehr düsteres und dennoch charmantes Abenteuer kreiert, das zudem auf spielerische Art und Weise jede Menge historische Hintergrundinfos vermittelt. Abgerundet wird das interaktive Erlebnis mit einer schönen, oft herzzerreissenden Musik von Star-Komponist Olivier Derivière. Da kann schon die eine oder andere Träne fliessen.

Info: «A Plague Tale: Innocence» ist erhältlich für Playstation 4, Xbox One und PC. Ab 18 Jahren.

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