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Interaktive Werbung mit Mehrwert

Werbung ist langweilig und nervt. Sobald sie aber interaktiv wird und den Konsumenten dazu auffordert, zu interagieren, kann sie zu einem grossen Erfolg werden. Studenten zeigen, wie es geht.

Der Zuschauer sollte jetzt interagieren, Bild: zvg

von Simon Dick

Ein sichtlich gestresster Mann sitzt auf einem Stuhl in einer verwüsteten Wohnung. Er blutet und hält sich eine Waffe an den Kopf. Er schliesst die Augen und will abdrücken. Um diesen Suizid aufzuhalten, muss nun der Zuschauer ins Geschehen eingreifen. Auf dem Bildschirm werden geometrische Formen angezeigt, die es nun gilt, mit dem Finger auf dem Touchscreen schnell nachzuzeichnen. Hat man bestimmte Formen auf den Bildschirm gekritzelt, hält der Mann inne und es beginnt eine Rückblende, die erzählt, wie es zu dieser Situation gekommen ist.

Quelle: youtube/Carol Duarte

Professionelle Umsetzung
Erzählt wird eine fiktive Geschichte in naher Zukunft, wo Zombies Jagd auf Menschen machen. Dabei wird immer wieder die neuste G-Shock-Uhr in die Kamera gehalten. Schnell wird dem Zuschauer (oder ist es nun doch ein Spieler, siehe Zweittext unten) klar, hier läuft ein interaktiver Werbefilm, der den User spielerisch an die Marke binden soll. Die Machart des Projekts ist tadellos, die Schauspieler überzeugen, das Setting könnte professioneller nicht sein. Auf der Website fiveminutes.gs kann man per Smartphone, Tablet aber auch mit einem normalen Computer durch die Navigation mit der Maus an dieser aussergewöhnlichen Werbeform teilnehmen.

Projekt mit Herzblut
Die Idee für das Projekt «Fiveminutes» stammt vom Regisseur Maximilian Niemann im Rahmen seines Studiums an der Filmakademie Baden-Württemberg und wurde von einer eingefleischten Gruppe von Filmfans unterstützt und realisiert. Gedreht wurde im Februar 2014 während sieben Tagen. Die aufwändige Postproduktion dauerte dann bis Mitte November.

Nebst den üblichen Zeit- und Kostenproblemen wurde die Zusammenarbeit mit einer Programmierfirma zum Problem und schliesslich aufgelöst, da diese das komplexe Projekt nicht stemmen konnte. Regisseur Niemann beschloss jedoch kurzerhand, das Programmieren selber zu lernen und konnte das Projekt rechtzeitig fertigstellen.

Was ist Fiveminutes eigentlich genau? «Unser Ziel war es, eine Mischung aus packendem Game und emotionalem Kurzfilm zu machen», sagt Produzent Felix Faisst auf Anfrage. «Für Hardcore-Gamer ist es eher ein interaktiver Film, für eingefleischte Cineasten eher ein filmisches Spiel», so Faisst weiter.

Mit der Marke beschäftigen
Gamification oder auch Gamifizierung nennt sich diese Art von Werbung. Dabei wird klassische Werbung mit diversen Spielelementen angereichert. Der Zuschauer oder Konsument wird so zum aktiven Teilnehmer, muss simple Rätsel lösen, auf Schaltflächen klicken oder sonst irgendwie interaktiv agieren. Das Ziel ist eine Motivationssteigerung der Benutzer, die sich dann automatisch mit der Marke länger beschäftigen und damit positive Gefühle und Erfolgsmomenten verbinden. So lautet zumindest die Wunschvorstellung der motivierten Werbemacher.

Autohersteller Mercedes Benz ging mit seiner «Key to Viano»-Aktion sogar noch einen Schritt weiter: In einer Berliner U-Bahn-Station reagieren Autoschlüssel, egal welche Marke man besitzt, auf Signale und starten auf einem gigantischen Bildschirm einen Werbefilm. Auf dem Bildschirm sieht man dann wie unterschiedliche Menschen freudig aus dem Viano-Van herausklettern. Jeder Zuschauer bekommt dabei eine andere Version zu sehen. Als Zusatz wurden die Pendler, die die U-Bahn benutzen wollten, eingeladen, in den Van zu steigen, der sie anschliessend ans gewünschte Ziel brachte.

Quelle: youtube/Digitale Wirtschaft

Gamifizierte Anwendungen nutzen die Tendenz von Menschen aus, sich an Spielen zu beteiligen und auf diese Weise Tätigkeiten zu verrichten, die normalerweise als langweilig betrachtet werden. Kundenbindung ist das grosse Ziel. Der grosse Vorteil dabei ist, dass die Konsumenten nicht nur berieselt, sondern auch involviert werden. Mit gut gemachten Aktionen kann so eine Marke mit einem interaktiven Kurzfilm für richtig grosses Aufsehen sorgen.

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Der Zuschauer darf entscheiden
Den interaktiven Kurzfilm gibt es schon lange. Interaktiv bezieht sich hier auf den Faktor, dass der Zuschauer an bestimmten Stellen entscheiden kann, wie es mit dem Inhalt weitergehen soll, oder wie sich die Protagonisten verhalten sollen. Sollen sie beispielsweise durch eine Tür hindurch gehen oder doch lieber durchs Fenster hinaus klettern. Je nachdem wie sich der Zuschauer oder der Spieler entscheidet, wird eine andere Geschichte erzählt.

Als in den frühen 90er-Jahren die CD als Datenträger den Massenmarkt eroberte, wurden interaktive Filme in der Unterhaltungsbranche sehr populär. Dabei wurden meistens kurze Trickfilmsequenzen oder kurze Filmbeiträge mit echten Schauspielern abgespielt, wo der Spieler oder der Zuschauer immer wieder aktiv Einfluss nehmen konnte. Die Interaktion hielt sich aber stark in Grenzen.

Quelle: youtube/World of Longplays

Der anfängliche Boom fand jedoch schnell ein Ende: Die Produktionskosten für die Echtfilmaufnahmen wurden immer aufwändiger und grösser. Zudem war die Qualität der Videos mitsamt der Leistungen der Laiendarsteller miserabel. Auch die vorgegaukelte Interaktivität, wo man oftmals nur einem linearen Pfad folgte oder nur allzu simple Aktionen ausführen konnte, sorgten für einen baldigen Untergang. Die PCs und Spielkonsolen wurden zudem immer leistungsfähiger, weswegen es um ein Vielfaches wirtschaftlicher wurde, mit echten 3D-Umgebungen und Polygongrafik zu arbeiten, als über Wochen und Monate teure Schauspieler vor die Kamera zu zerren.

Quelle: youtube/JosPlays

Game-Blockbuster wie «Heavy Rain» oder «Beyond: Two Souls» vom erfolgreichen Entwicklerstudio Quantic Dream haben den interaktiven Film in den letzten Jahren wieder massentauglich gemacht. Viele Emotionen, reale Schauspieler und moralische Entscheidungen gepaart mit fast fotorealistischer Grafik sorgten für Begeisterungsstürme beim Publikum und in der Fachpresse. Der interaktive Film hat aber ein grosses Problem: Die strikt lineare Struktur eines Filmskripts beisst sich regelmässig mit den Erwartungen der Spieler, eigene Entscheidungen zu treffen und eigene Handlungen zu vollziehen, wie es bei einem Videospiel zur Tagesordnung gehört. Mehr Interaktionsmöglichkeiten in einem interaktiven Film oder in einem interaktiven Spiel fordern auch noch mehr Zwischen-sequenzen, die wiederum höhere Produktionskosten bedeuten. sd

Weitere interaktive Werbungen:

Quelle: youtube/Tippexperience2

Quelle: youtube/DICUBE MEDIA GmbH

Quelle: youtube/BuzzmanTV

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