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Kommunikation

Russland will sich von der Welt abkapseln

Ab November soll in Russland ein eigenes Internet für mehr Sicherheit sorgen. Kritiker sehen darin nur eine Ausrede, um die Bevölkerung stärker zu kontrollieren. So oder so, die Umsetzung wird teuer.

Offline: Ab November kann es gut möglich sein, dass viele Internetseiten in Russland nicht mehr erreichbar sein werden. Bild: Keystone

Simon Dick

«Dieses Gesetz hilft uns dabei, unseren Internetraum gegen aggressive Handlungen von aussen zu verteidigen», sagte Andrej Klischas, Verfasser des Gesetzesentwurfs, gegenüber der Deutschen Tagesschau. Die russische Regierung will sich mit dem neuen Gesetz, das ab dem 1. November in Kraft tritt, vor einer ausländischen Bedrohung schützen. Es geht um die Abwehr von Cyberangriffen und generell um die Angst, dass man plötzlich zu sehr von amerikanischen Technikkonzernen abhängig sein wird und der Westen auf Knopfdruck das Internet einfach abstellen könnte. Russland will also eine Online-Unabhängigkeit schaffen, so der offizielle Tenor der Regierung.

Angst vor chinesischen Zuständen
Kritiker und politische Oppositionen sehen für die Abkoppelung vom weltweiten Internet aber andere Gründe. Die Regierung will schlicht und einfach die Kontrolle über das Medium erlangen, um politische Aufstände, Demonstrationen und generell Gegner des Regierungssystems mundtot zu machen und um frühzeitig auf soziale Erdbeben reagieren zu können. Die Freiheit des Internets und die Freiheit der Meinungsäusserung stehen laut Kritikern auf dem Spiel.

Dass das kommende Gesetz nicht allen gefällt, war voraussehbar. Tausende von Menschen gingen dagegen bereits auf die Strassen und demonstrierten gegen den umstrittenen Gesetzesentwurf, der aber so oder so kommen wird. Viele befürchten nun, dass dies der erste Schritt sei, um chinesische Zustände einzuführen. Dort werden die Bürgerinnen und Bürger mit einem Punktesystem, das vor allem online funktioniert, bewertet und auch überwacht (das BT berichtete). Davon ist Russland zwar noch sehr weit entfernt, aber der Aufbau eines eigenen Internets, über das die Regierung die Herrschaft innehat, sorgt für ein grosses Unwohlsein.

In Zukunft soll der Internetverkehr also nur noch über russische Server laufen, die dadurch von der russischen Regierung einfacher kontrolliert werden können. Alle russischen Domains werden national registriert. Die Provider sollen alle Verbindungen, die auf ausländische Server führen, sofort melden. Zusätzlich installierte Programme sollen dafür sorgen, dass kein Datenverkehr mehr einfach so ungesehen über die landeseigenen Server läuft. Kurz: Die Regierung bekommt die totale Oberaufsicht über alle Online-Bewegungen, die in Russland vonstattengehen.

Ein gigantisches Unterfangen
Doch diese Abschottung ist technisch äusserst komplex und wird sehr, sehr teuer. Mehr als 500 Millionen Franken soll die neue Infrastruktur verschlingen. Es ist ein gigantisches Unterfangen, eine eigene Internet-Struktur aufzubauen. Dazu benötigt es eine Vielzahl an neuen Servern, die quer über Russland verteilt und installiert werden müssen. Das ist theoretisch durchaus machbar, verschlingt aber Unsummen an Geld und Arbeitskräften. Andererseits könnten durch diesen Auftrag russische Firmen wirtschaftlich enorm profitieren.

Viele Experten gehen davon aus, dass das Vorhaben in der Praxis scheitern wird. Das Internet ist heute so dezentral aufgebaut und mit so vielen Servern im Ausland vernetzt, dass es unmöglich wird, sich von diesem weltumspannenden Netz abzutrennen. Anton Merkurow, Blogger und Publizist in Russland, betrachtet das Vorhaben noch aus einer anderen Perspektive: «Es ist technisch unmöglich, das russische Internet von aussen einfach abzuschalten. Es gibt keinen Knopf, um das Internet in Russland abzuschneiden», sagte er gegenüber der Deutschen Tagesschau und machte damit deutlich, dass die Angst vor einem ausländischen Angriff, wie ihn die Regierung befürchtet, bloss eine Ausrede sei, um ein kontrollierbares Internet einzuführen.

«Telegram» im Visier
Dass Russland ein eigenes Internet erschaffen möchte, in dem alles auf den heimischen Servern gespeichert wird, war absehbar. Das geschäftliche Netzwerk LinkedIn ist in Russland zum Beispiel nicht mehr zugänglich, weil die Daten auf einem ausländischen Server platziert sind und nicht im eigenen Land. Auch gegen den Kurznachrichtendienst «Telegram» wollte man bereits vorgehen, weil sich dieser ebenfalls weigerte, die Daten auf einen russischen Server zu speichern und zudem oft für die Organisation von Demonstrationen gebraucht wird.

Pawel Durow, der russische Gründer des berühmten Messenger-Diensts «Telegram», wehrte sich auch gegen eine Zusammenarbeit mit dem russischen Geheimdienst, um Daten auszutauschen und den Zugang zu verschlüsselten Chaträumen zu gewähren. «Telegram» funktioniert aber immer noch. Der Grund: Die Online-Dienstleistung wechselt ständig seine IP-Adresse und kann somit die Behörden umgehen. Mit dem kommenden Gesetz könnte es aber schwieriger werden, da der Regierung mehr technischer Spielraum zur Verfügung steht, um gegen die Macher und den Dienst vorzugehen.

Facebook und Twitter sind derzeit in Russland noch benutz- und abrufbar. Noch. Denn diese beiden viel genutzten sozialen Netzwerke speichern viele Daten nicht in Russland, sondern verwalten diese hauptsächlich im Ausland. Das passt natürlich nicht zum kommenden neuen Gesetzesentwurf, der vorschreibt, dass nur noch nationale Server als Speicherort zugelassen sind. Facebook und Twitter sollen nun in Zukunft ihre Daten auf russische Server abspeichern. Weigern sich diese Dienste, können jene vielleicht bald in Russland nicht mehr erreichbar sein, respektive werden von der Regierung einfach geblockt. Wer den Forderungen der Regierung in Zukunft also nicht nachkommt, wird schlicht und einfach im russischen Internet nicht mehr existieren.

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