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Psychoterror

«...und jezzd han ich würkli angst!»

Jeder fünfte Jugendliche in der Schweiz wurde schon einmal im Internet gemobbt. Weil Eltern und Kinder nur ungenügend über das sogenannte Cybermobbing informiert seien, hat Pro Juventute nun eine Sensibilisierungskampagne lanciert.

Wenn das Internet krank macht: Cybermobbing kann zu Schlafschwierigkeiten oder Depressionen führen – manchmal gar zu Suizidversuchen. Bild: zvg

Christian Zeier/sda

Die 14-jährige Jill* ist verzweifelt. «Ich han es problem», tippt sie in ihr Handy. «Ich han uf facebook eine aagno und mit dem chattet: er isch schnell pervers worde. Er schriibt mir immer emails und irgendwie het er mini handynummere und mini adresse usegfunde Und jezzd han ich würkli angst! Bitte helfed sie mir Was söll ich mache?»

Was das Mädchen machen soll, das wissen die Experten von Pro Juventute. Denn Jill schreibt ihre Zeilen nicht einer Freundin oder einem Freund – sie hat sich per SMS an die Nummer 147 gewandt, die nationale Notfallnummer für Kinder und Jugendliche. Fälle wie derjenige der 14-jährigen Jill haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen.

Laut einer Studie aus dem Jahr 2010 haben 18 Prozent der 14- bis 15-jährigen Schweizerinnen und Schweizer schon erlebt, dass sie jemand via Internet fertigmachen wollte. Die Universität Münster kam im vergangenen Jahr zum Schluss, dass in Deutschland gar rund ein Drittel aller Jugendlichen zwischen 14 und 20 schon einmal unter entsprechenden Attacken litt.

Digitale Waffen

Das Phänomen heisst Cybermobbing – es ist ein Sammelbegriff für jedwelche psychische Gewalt, die über längere Zeit ausgeübt wird und zum Ziel hat, jemanden sozial auszugrenzen. Im Unterschied zum herkömmlichen Mobbing erfolgen die digitalen Attacken über die vielseitigen Kanäle der neuen Medien. Mobiltelefone, Chatprogramme oder soziale Netzwerke wie Facebook sind die Werkzeuge der Täter.

Das Problem erkannt hat auch der Bundesrat. Im Juni 2010 hat er zwei Programme zur Gewaltprävention und zur Verbesserung des Jugendmedienschutzes verabschiedet. Damit sollen unter anderem die Kompetenzen von Jugendlichen gestärkt werden, damit sie elektronische Medien verantwortungsvoller nutzen. Einen speziellen Fokus legt der Bundesrat dabei auf die Problematik des Mobbings.

Wenig Wissen vorhanden Den Verantwortlichen von Pro Juventute scheinen die bundesrätlichen Bemühungen allerdings nicht weit genug zu gehen. Um auf die Zunahme des Cybermobbings aufmerksam zu machen und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, hat die Stiftung gestern die Kampagne «Stopp Cybermobbing» lanciert (siehe Kasten). «Wir wollen zeigen, dass Cybermobbing ein ernstes Problem ist», sagt Stephan Oetiker, Direktor von Pro Juventute. Für ihn ist klar, dass Verbote allein keinen Schutz vor den Risiken im Internet bieten. Nur durch Prävention könnten die realen Auswirkungen der digitalen Bedrohung verhindert werden. Schlafschwierigkeiten oder Depressionen können Folgen des Mobbings sein – die Zahl der Suizidversuche bei Jugendlichen, die Cybermobbing erlebt haben, ist doppelt so hoch wie bei ihren nicht betroffenen Altersgenossen.

Laut Oetiker habe man ausserdem festgestellt, dass sowohl Jugendliche als auch Eltern und Lehrpersonen mit dem Thema überfordert sind. Untermauert wird diese Aussage durch die Ergebnisse einer nationalen Umfrage: Mehr als zwei Drittel der Schweizer wissen nicht, wo sie im Ernstfall Hilfe suchen sollen. Nur gerade jeder Zweite weiss, was Cybermobbing überhaupt ist.

Ein weiteres Ergebnis der Umfrage betrifft die Kriterien, die ein entsprechendes Hilfsangebot erfüllen sollte: Vertraulichkeit rangiert dabei an erster Stelle, gefolgt von Professionalität, Schnelligkeit und Neutralität. «Es ist daher entscheidend, dass Jugendliche Zugang zu einem niederschwelligen, vertraulichen Angebot haben», folgert Stephan Oetiker von Pro Juventute.

«Gut, dass du Hilfe holst»

Von einem solchen Angebot hat die eingangs erwähnte Jill profitiert. Innert weniger Stunden erhielt sie von der Beratungsstelle eine Antwort: «Hoi, wir verstehen, dass dir das Angst macht. Gut, dass du Hilfe holst», schrieben die Experten. Wenn möglich solle das Mädchen seine Eltern oder eine andere erwachsene Person informieren. «Das ist wichtig, damit sie dich unterstützen und den Täter beim Betreiber melden können.» Auch könne sie bei der Beratungsstelle anrufen, falls sie das möchte. Einen Rat solle sie aber auf jeden Fall befolgen: «Reagiere nicht auf Kontaktversuche, du gibst sonst immer mehr von dir preis.»

* Jills richtiger Name ist der Redaktion nicht bekannt. Alle Beratungen bei 147 erfolgen anonym.

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