Sie sind hier

Abo

Software

Wenn Privatsphäre gegen Sicherheit eingetauscht wird

In Indien entsteht ein riesiges System zur Gesichtserkennung im öffentlichen Raum. Damit soll die Bevölkerung besser vor Übergriffen geschützt werden. Datenschützer warnen vor Missbrauch.

Sicherheit durch Kameras: In Indien entsteht ein riesiges System zur Überwachung. Bild: pixabay.com

Simon Dick

Laut offiziellen Zahlen wird in Indien alle 15 Minuten eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt. Diese schreckliche Tatsache will die Indische Regierung nicht mehr einfach hinnehmen, sondern in der nahen Zukunft aktiv bekämpfen. Die Technik soll dabei mithelfen. Eine gigantische Gesichtserkennungs-Software soll in Indien nicht nur einen präventiven Schutz ermöglichen, sondern auch die Täter nach dem Verbrechen schneller überführen können, um so abschreckende Beispiele für die Gesellschaft zu schaffen.

Eine riesige Datenbank entsteht
Die kommende landesweite Software soll aber nicht nur gegen Vergewaltiger eingesetzt werden, sondern generell das Verbrechen in den Strassen bekämpfen. Da immer wieder viele Menschen und vor allem Kinder in Grossstädten verschwinden, soll auch hier die Gesichtserkennung helfen, die vermissten Personen schneller aufzuspüren und gegebenenfalls die gefundenen Leichen zu identifizieren. Die Gesichtserkennung soll das Leben in Indien also sicherer machen und schliesslich auch die Polizeiarbeit unterstützen, heisst es von offizieller Seite.

Ein direkter Abgleich mit Live-Übertragungen von Demonstrationen und anderen Massenveranstaltungen soll so schnell wie möglich die gewünschten Ergebnisse liefern. Millionen von Gesichtern sollen in dieser Datenbank gespeichert und verwaltet werden. Doch damit nicht genug. Auch ein nationales Fingerabdrucksystem soll in das System zusätzlich integriert und obendrauf soll ein umfangreiches Biometrie-Programm angehängt werden.

Es entsteht also eine noch nie da gewesene Ansammlung an persönlichen und biologischen Daten, die für die Verbrechensbekämpfung gehortet werden. Das System soll schlicht jedes öffentlich verfügbare Bildmaterial und so viele Daten einer Person wie nur möglich aufsaugen, verarbeiten und alle Datenbanken unter einem Dach zu einer grossen vereinen.

Warten auf das Datenschutzgesetz
Gegen diese geplante Ansammlung von Daten regt sich natürlich auch Wiedertand, in erster Linie von Nichtregierungsorganisationen (NROs). Die Indische NRO Internet Freedom Foundation betrachtet das kommende System jetzt schon als illegal und sogar verfassungswidrig. Datenschutzaktivisten und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch befürchten, dass ein solches gigantisches System die Demokratie in einen Überwachungsstaat par excellence umwandeln wird.

Kurios: Ein Datenschutzgesetz hat Indien immer noch nicht. Zwar gibt es seit einiger Zeit einen Entwurf, der aber immer noch nicht genehmigt wurde und von Komitee zu Komitee wandert, ohne dass es zu einer Einigung kommt. Ungewöhnlich ist das für Indien aber keineswegs. Es gibt tatsächlich bereits viele kleinere Überwachungssysteme im Land, die keine gesetzliche Grundlage besitzen. Die sind somit keiner Aufsicht unterworfen und wurden auch von keinem Gericht geprüft.

Im Gegensatz zu den NROs scheint die gesetzliche Lücke einen Grossteil der Bevölkerung aber nicht zu stören. Auch das geplante Gesichtserkennungs-System stösst in Indien auf keine grosse Abwehr.

Technik wird nicht verteufelt
Auf der einen Seite begrüssen sehr viele Frauen und Mädchen die Steigerung einer subjektiven Wahrnehmung von Sicherheit im öffentlichen Raum, die mit so einem grossen Gesichtserkennungs-System einhergeht. Auf der anderen Seite haben viele, vor allem jüngere Menschen in Indien mit der fortschreitenden Technik und der Allgegenwärtigkeit von Kameras im öffentlichen Raum überhaupt kein grosses Problem. So ist es zum Beispiel in vielen Restaurants ganz normal, dass Kameras die Besucherinnen und Besucher fotografieren und von ihnen ein Kunden-Konto erstellen, um zum Beispiel Treuepunkte gutzuschreiben. Gerade bei jüngeren Usern kommt ein solcher Service sehr gut an und gehört zum erwarteten Kundendienst.

Generell ist man in Indien gegenüber der Technik positiv eingestellt. Zudem hat ein Pilot-Projekt, in dem die Gesichtserkennung eingesetzt wurde, jüngst dafür gesorgt, dass tausend vermisste Kinder wieder gefunden wurden. Die Technik und vor allem die damit einhergehenden Weiterentwicklungen werden in Indien nicht verteufelt. Im Gegenteil: Die Bevölkerung ist aufgeschlossen und empfängt sie mit offenen Armen. Die gesellschaftliche Akzeptanz und die alltägliche Anwendung sind in diesem Land viel höher als in manchen westlichen Staaten, wo der Aufschrei seitens Datenschützer und Bevölkerung bei einem solch flächendeckenden Gesichtserkennungssystem riesig wäre.
 

Nachrichten zu Digital »