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Wer soll das alles nur spielen?

Die Videospielindustrie dominiert die Unterhaltungsbranche. Doch es droht ein Überangebot an Inhalten. Denn immer mehr Streamingdienste von verschiedenen Anbietern drängeln auf den Markt.

Keanu Reeves: Der neue Heilsbringer der Videospielindustrie erfreut die Masse an der E3 mit einem Gastauftritt. Bild: Keystone

Simon Dick

Die Stimmung an der letzten E3 in Los Angeles, die weltweit grösste Messe für Videospiele, schien auf den ersten Blick sehr euphorisch. Fast alle grossen Unternehmen der Branche hielten ihre traditionellen Pressekonferenzen ab und versuchten die Konkurrenten mit diversen Ankündigungen zu übertrumpfen. Nebst den obligaten Fortsetzungen zu Videospielen, die sich bestens verkaufen, wurden tatsächlich auch ein Handvoll neue Spiele vorgestellt. Doch eine revolutionäre Ankündigung blieb aus.

Selbst zu den neuen kommenden Spielkonsolen von Microsoft und Sony wurde nicht viel verraten. Microsoft verriet bloss, dass die neue Hardware viermal schneller als die aktuelle sein wird und Ende nächsten Jahres auf den Markt kommen soll. Konkurrent Sony, der in diesem Jahr der E3 gar fernblieb, liess schon Wochen vorher in einem Interview mit einem Fachmagazin verlauten, dass die kommende Playstation ebenfalls um ein vielfaches schneller sein wird.

Ein riesiger technischer Fortschritt zur aktuellen Geräte-Generation wird aber ausbleiben. Grosse Sprünge wie früher wird es nicht mehr geben, die Videospieltechnik scheint ihren Zenit langsam zu erreichen. Dennoch: Mit noch realistischerer Grafik und noch schnelleren Ladezeiten buhlen schon jetzt alle Hersteller um Aufmerksamkeit.

Die Konkurrenz wird grösser
Generell war während der E3-Woche eine grosse Zurückhaltung zu spüren. Die Spielhersteller wollten sich nicht in die Karten blicken lassen, zeigten keine Details ihrer nächsten Projekte, sondern warfen mit bedeutungsschwangeren Wörtern nur so um sich. Alle Hersteller scheinen fieberhaft auf das kommende Jahr hinzuarbeiten, wo sich vor allem Sony und Microsoft mit ihren neuen Spielkonsolen gegenseitig die Kundinnen und Kunden wegnehmen möchten. Die grosse Marken-Schlacht und die Präsentation von wirklich neuen Spielen scheint man sich für das nächste Jahr aufgehoben zu haben. Das macht durchaus Sinn: Denn es könnte das letzte Mal sein, dass physische Spielkonsolen auf den Markt kommen werden, denn die Streaming-Technologie wird früher oder später auch die Gamebranche erreichen und verändern.

Einfach so aus einer Online-Bibliothek ein Spiel heraussuchen und per Stream konsumieren, hört sich sehr komfortabel an. Im Gegensatz zu einem Film oder einer Serie benötigt ein Videospiel durch seine riesige Datenmenge aber eine sehr gute Internetleitung. Gerade bei sehr schnellen Action-Spielen, in denen innerhalb kürzester Zeit neue Inhalte auf dem Bildschirm berechnet werden müssen, ist eine schnelle Leitung, um die Signale weiterzugeben, unabdingbar. Doch das scheint die Branche vorerst nicht zu kümmern. Muss es auch nicht, denn die zur Verfügung stehende Leitung zum Endkonsumenten ist nicht Aufgabe der Spielhersteller.

Die Videospielindustrie hat ein ganz anderes Problem: Es gibt jetzt schon viele neue Konkurrenten: Apple drängt mit dem Dienst «Arcade» auf den Markt und Google wird mit «Stadia» ebenfalls einen Streamingdienst für Videospiele anbieten. Grosse Spielehersteller wie EA oder Ubisoft sind ebenfalls mit ähnlichen Diensten dabei und natürlich werden Sony und Microsoft ebenfalls in Zukunft vermehrt auf diese Technologie setzen, ja sogar zusammenarbeiten, um ihr Wissen auszutauschen. Das klingt komisch, macht aber Sinn, da die Konkurrenz sehr ernst genommen werden muss. Denn vom Streaming-Kuchen will sich jede Firma kurz- oder langfristig ein grosses Stück abschneiden.

Hollywood als Heilsbringer
Alle bringen sich also in Position, wiegen ab und beobachten ganz genau, was die Konkurrenz macht und wie sie es macht. In dieser Übergangszeit gibt es somit auch fast keinen Platz für grosse Spielprojekte. Das Knowhow, Arbeitskräfte und das viele Geld werden in die nächste Konsolen-Generation und neue Dienste gesteckt.

Und dennoch scheint es sie immer noch zu geben, die ganz grossen Spiele, auf die viele warten und es kaum abwarten können, sich in der interaktiven Welt auszutoben. Das kommende Science-Fiction-Game «Cyberpunk 2077» wird momentan jetzt schon so sehr in den Himmel gelobt, dass man fast vergessen mag, dass die Branche eigentlich an einem Fortsetzungswahn leidet und hauptsächlich nach neuen Verbreitungs-Technologien Ausschau hält. Und mit der Ankündigung, dass Hollywood-Schauspieler Keanu Reeves im Spiel sogar eine wichtige Figur verkörpern wird, ignorierten die Jubelschreier komplett, dass Schauspielerinnen und Schauspieler schon seit Jahren ihre Auftritte in Videospielen haben.

Auch das im Herbst erscheinende «Death Stranding» von Hideo Kojima wird gleich mehrere bekannte Akteure (Norman Reedus, Mads Mikkelsen, Léa Seydoux u.a.) vereinen, um eine dystopische Geschichte zu erzählen. Diese Verschmelzung mit Hollywood ist nichts Neues, wird aber gerne als Heilsbringer zelebriert und in den Fokus gestellt, um Aufmerksamkeit zu generieren, und um davon abzulenken, dass die Videospielbranche sich oft im Kreis dreht.

Viel zu viele Inhalte
Mit der Einführung von Streamingdiensten stellt sich auf der Konsumentenseite eine wichtige Frage: Wer soll das alles nur spielen? Wer Netflix konsumiert, kennt das Gefühl der Übersättigung. Allein dieser Dienst hat so viele Angebote, dass man oft zu viel Zeit damit verbringt, um herauszusuchen, was man denn nun eigentlich konsumieren möchte. Der Game-Branche droht ein ähnliches Phänomen.

Zwar sind die Objekte der Begierde auf Knopfdruck online erreichbar, aber gleichzeitig hat man mit so einem Dienst auch Zugang zu einer Unmenge an Spielen. Will man aus dem breiten Angebot von allen Herstellern auswählen, kommt man in Zukunft nicht herum, mehrere Abo-Dienste zu lösen. Parallel müssen die Anbieter mit exklusivem Inhalt um Käuferinnen und Käufer buhlen, was wiederum bedeutet, dass noch mehr Spiele angeboten werden. Kurz: Es droht eine Markt-Übersättigung, die wie in den frühen 80er-Jahren zu einem Videospiel-Crash führen könnte.

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