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Olympia

Ein Kult nackter Männer

Die Olympischen Spiele der Antike hatten einen ganz anderen Hintergrund als die heutigen. Aber vieles war schon damals wie heute – von den Sportarten bis hin zu unfairem Verhalten.

Bild: zvg/CC BY 2.5

Beat Kuhn

Sie nähern sich dem Ende, die Olympischen Sommerspiele 2020 von Tokio, die – wegen der Coronapandemie – erst 2021 stattfinden und damit die ersten sind, die ausserhalb des Vier-Jahres-Rhythmus über die Bühne gehen. Schon die Olympischen Spiele der Antike fanden alle vier Jahre statt. Der dazwischen liegende Zeitraum wurde Olympiade genannt, aber teils auch für die Bezeichnung der Spiele verwendet – wie noch heute manchmal. Austragungsort war Olympia im Nordwesten der griechischen Halbinsel Peloponnes, ein Heiligtum des Zeus. Der nahe gelegene Ort Archea Olympia existierte damals noch nicht. Heute dient dieser primär dem Tourismus.

 

So alt wie Griechenland selbst

Nach der Überlieferung wurden die Olympischen Spiele erstmals im Jahre 776 v. Chr. ausgetragen und markieren den Beginn der griechischen Zeitrechnung überhaupt. Archäologisch nachweisen lassen sich sportliche Wettkämpfe ab etwa 700 v. Chr. Überregionale Bedeutung gewann die ursprünglich lokale Veranstaltung im frühen 6. Jahrhundert v. Chr.

Die Spiele in Olympia waren das älteste der Sportfeste im alten Griechenland, erlangten die grösste Bedeutung und überlebten auch am längsten. Sie gehörten zu den vier Panhellenischen Spielen, also den gesamtgriechischen Wettkämpfen. Zu diesen gehörten ansonsten die alle vier Jahre in Delphi abgehaltenen Pythischen Spiele zu Ehren Apollons, die alle zwei Jahre veranstalteten Nemeischen Spiele zu Ehren von Zeus bei Nemea und Argos sowie im selben Turnus die Isthmischen Spiele zu Ehren Poseidons in Korinth. Heute finden die Olympischen Spiele ja ebenfalls im Turnus statt, nur ist der Durchführungsort jedes Mal eine andere Stadt auf dem Globus.

Die Olympischen Spiele der Antike waren auch kulturell und politisch von grosser Bedeutung. Sie dienten als politisches Forum, da auch Diplomaten und politische Vertreter aus allen Teilen der griechischen Welt zusammenkamen. Nicht zuletzt darum galt während der Spiele eine Waffenruhe. Die heiligen Stätten von Olympia durften allerdings generell nicht mit Waffen betreten werden. Neben den Wettkämpfen gab es auch Theateraufführungen und andere Darbietungen, beispielsweise von Jongleuren. Das gemeine Volk hauste in einfachen Zeltstädten. Verpflegen konnte man sich an Marktständen.

 

Reine Männersache

Die Teilnahme an den Wettkämpfen war den Männern vorbehalten. Frauen durften höchstens zuschauen – allerdings bloss unverheiratete. Für Frauen gab es eigene, als Heraia bezeichnete Wettkämpfe, die alle vier Jahre zwischen den Olympischen Spielen stattfanden. In der Anfangszeit waren die Wettkämpfer ausschliesslich Amateure, später überwiegend Berufssportler aus eher begüterten Verhältnissen, die sich lange Trainingszeiten finanziell leisten konnten. Die gleiche Entwicklung war ja auch bei den Olympischen Spielen der Neuzeit zu beobachten.

Die Wettkampfrichter sorgten nicht nur dafür, dass die Regeln eingehalten wurden, sondern prüften auch die Teilnahmeberechtigung der Athleten – ein griechisches Wort – und überwachten das Training sowie die Einhaltung der Hygiene. Die Zuteilung der Teilnehmer zu den Altersklassen nahmen sie nach dem Augenschein vor, denn es gab keine Geburtsscheine. Seltsamerweise wurde ein Athlet, der durch eine Regelverletzung Sieger wurde, zwar bestraft, durfte aber Titel und Siegerkranz behalten.

Für die Ahndung von Regelverstössen bestand ein ganzes Arsenal an Strafen – und sei es lediglich um einen Frühstart beim Wettlauf gegangen: Der Fehlbare konnte zum Beispiel körperlich gezüchtigt oder von den weiteren Wettkämpfen ausgeschlossen und unehrenhaft in seine Heimatstadt zurückgeschickt werden. Auch konnten auf dessen Kosten Zeusstatuen angefertigt und am Zugang zum Stadion aufgestellt werden, auf denen Name und Herkunftsort des Bestraften verewigt wurden. Gegebenenfalls wurde auch noch eine öffentliche Auspeitschung vorgenommen.

 

Athleten und Trainer nackt

Die Athleten mussten nackt antreten – aus welchen Gründen, ist nicht überliefert. Ab den 95. Olympischen Spielen im Jahre 400 v. Chr. galt diese Anordnung auch für die Trainer. Der Grund: Vier Jahre zuvor hatte sich eine Frau als Trainer eingeschlichen. Als ihr Sohn siegte, entblösste sie sich. Weil ihr Vater, ihre Brüder und ihr Sohn allesamt Olympiasieger waren, wurde sie dafür aber nicht bestraft.

Das antike Olympia war schätzungsweise 30 Hektaren gross. Zehn Monate vor Beginn der Wettkämpfe wurde ein Trainingslager eingerichtet. Dieses mussten die Athleten spätestens 30 Tage vor Beginn der Spiele bezogen haben. Es gab auch Trainingsräume, Bäder, Herbergen und eine Bibliothek für die Sportler. Für Leichtathleten existierte eine spezielle Sportnahrung, die unter anderem aus Gerstenbrot, Weizenbrei und getrockneten Früchten bestand. Heutzutage ist das Angebot an spezifischer Nahrung für Sporttreibende ja unüberschaubar.

 

Starker religiöser Bezug

Als sie ihre klassische Form erreicht hatten, dauerten die Spiele fünf Tage. Sie begannen immer zwei Tage vor dem zweiten oder dritten Vollmond nach der Sommersonnenwende. Übertragen in unseren Kalender, war das je nachdem im August oder September. Den Anfang machte am Morgen des ersten Tages eine Opferzeremonie, an der die Athleten und Kampfrichter auch den Eid ablegen mussten, dass sie die Wettkampfregeln achten würden. Der Anlass wurde also nicht einfach eröffnet, sondern quasi «ein-geweiht». Überhaupt waren die Spiele der Antike nicht einfach Sportveranstaltungen wie heute, sondern gleichzeitig religiöse Feste. Auf der Spielstätte verbanden sich Sport und Kult, Weihehandlung und Wettstreit. Am Nachmittag des ersten Tages fanden Wettkämpfe für Knaben statt, im Laufen, Ringen und Faustkampf.

Seit Bestehen des 456 v. Chr. fertiggestellten Zeus-Tempels wurde auf dem Altar davor ein Feuer entzündet – das Vorbild des heutigen olympischen Feuers, das mit einer Fackel von den Ruinen Olympias zum jeweiligen Austragungsort getragen wird. Im Innern des Tempels befand sich ab dem Entstehungsjahr 438 v. Chr. die – nicht erhaltene – Zeus-Statue des Phidias, die als eines der sieben antiken Weltwunder galt.

 

Beim Weitsprung 16 Meter

Am Morgen des zweiten Tages fanden auf der Pferderennbahn Pferde- und Wagenrennen statt – die einzigen Disziplinen in Kleidern. Geritten wurde ohne Sattel und Steigbügel. Die Gespanne bei den Wagenrennen wurden meist von Sklaven gelenkt. Den Siegesruhm ernteten allerdings vor allem die Rennstallbesitzer, die meist Aristokraten waren, weil Pferdesport kostenaufwendig war. Es gab auch zum Beispiel Zweigespanne mit Maultieren oder Viergespanne mit Fohlen.

Am Nachmittag des zweiten Tages wurde der Fünfkampf ausgetragen, der als Königsdisziplin galt. Er bestand aus Diskuswerfen, Weitsprung, Speerwerfen, Wettlauf und Ringkampf. Der Weitsprung erfolgte wohl in fünf hintereinander ausgeführten Einzelsprüngen. Denn anders ist die einzige historisch belegte Weite von etwa 16 Metern nicht vorstellbar. So liegt der heutige Weltrekord bei 8,95 Metern, 1991 aufgestellt vom Amerikaner Mike Powell. Beim Sprung hielten die Teilnehmer offenbar hantelartige Gewichte in der Hand, die ihnen zu zusätzlichem Schwung verhalfen.

Am dritten Tag wurden nach der Opferung eines Stiers die Laufwettbewerbe ausgetragen. Als erstes kam der Langstreckenlauf, dann der Kurzstreckenlauf und schliesslich der Doppellauf, über die doppelte Distanz der Kurzstrecke. Die Kurzstrecke, das waren 192 Meter, was einer Einheit des Längenmasses Stadion entsprach. So lang war auch die gleichnamige Sportstätte, in der es nicht wie heute eine runde, sondern eine gerade Bahn gab. Es wurde barfuss gerannt und stehend gestartet – der Tiefstart war noch unbekannt.

 

Kampf auf Leben und Tod

Am vierten Tag kämpften die Sportler in den Disziplinen Ringen, Faustkampf, Pankration und Waffenlauf um den Sieg. Der Ringkampf war der Vorläufer des heutigen Griechisch-römisches Ringens, der Faustkampf jener des heutigen Boxens und Pankration jener des heutigen Mixed Martial Arts. Beim Pankration war bis auf das Beissen und das Bohren in den Augen alles erlaubt. Gekämpft wurde, bis ein Gegner aufgab, k.o. ging – oder starb. Der Waffenlauf wurde zunächst mit der kompletten Ausrüstung eines Infanteriesoldaten samt Speer und Beinschienen ausgetragen, später «nur» noch mit Helm und Schild.

Am letzten Tag fand eine Prozession der Sieger zum Zeustempel statt. Die Sieger wurden nicht mit einer Goldmedaille, sondern mit einem Lorbeerkranz für den Kopf, einem Palmzweig und einem Stirnband geehrt. Der Lorbeerkranz wurde aus Zweigen eines bestimmten Ölbaum-Exemplars geflochten, das in der Nähe des Zeus-Tempels stand. In ihrer Heimatstadt wurden die Sieger als Helden gefeiert. Sie mussten keine Steuern mehr zahlen und erhielten Geldprämien, Geschenke sowie Vorrechte. Und nach ihrem Tod wurde ihnen ein grosses Begräbnis ausgerichtet. Wie heute gab es gefeierte Sportstars, deren sportliche Leistungen legendär waren. Für Zweit- und Drittplatzierte gab es im Gegensatz zu heute keine Ehrung. Von einigen Athleten wird berichtet, dass sie lieber sterben wollten, als Zweiter bei den Olympischen Spielen zu werden.

 

Ende und Wiederaufnahme

Vermutlich zum letzten Mal ausgetragen wurden die Olympischen Spiele der Antike 393 n. Chr., denn 394 n. Chr. verbot der oströmische Kaiser Theodosius I., der sich zum Christentum bekannte, alle heidnischen Zeremonien, zu denen nun auch die Panhellenischen Spiele gezählt wurden.

Wegen Überschwemmungen, Erdrutschen und Erdbeben ist das antike Olympia erst 1766 wiederentdeckt worden. 1875 begannen deutsche Ausgrabungen, die rasch dazu führten, dass Olympia in ganz Europa wieder populär wurde. Dank dem französischen Baron Pierre de Coubertin mündete diese Begeisterung 1896 in den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit, die in Athen stattfanden. Ihm zu Ehren gibt es in Biel das Restaurant Le Coubertin.

Info: Als Hauptquelle wurde das Buch von Moses Finley und Henri Pleket, «Die Olympischen Spiele der Antike», aus dem Jahre 1976 verwendet.

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