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Leserfoto des Jahres

Ein schräger Schatten gewinnt

Über 7500 eingesandte Fotos wurden zu 53 Wochensiegern. Die Jury hat das Drohnen-Selfie «Schräg» von Urs Zimmermann zum Gewinner gekürt.

Platz 1: Urs Zimmermann

Clara Gauthey

Heute ist es offiziell, auch ohne Vernissage und Preisverleihung, die in diesem Jahr leider ausfallen müssen: Die Gewinner des BT-Leserfotowettbewerbs 2020 heissen: Urs Zimmermann (Platz 1 der Jury), René Marti (Platz 2 der Jury) und Sascha Reist (Platz 3 der Jury). Der Online-Gewinner ist Wettbewerbs-Neuzugang Patrick Weber aus Ipsach mit überragenden knapp 40 Prozent aller Stimmen. Sie erhalten Gutscheine von «BienneBon» und unterstützen damit das regionale Gewerbe. Pandemiebedingt fiel dieses Mal nicht nur das Treffen an der Vernissage der Ausstellung der Leserfotos aus, auch die Jury musste dezimiert antreten und konnte kein externes Mitglied einladen. Am Ende ist dann doch einiges wie in den letzten zwölf Jahren: Aus den Wochensiegern werden vier Jahressieger. Und die sind diesmal allesamt männlich. Ein Zufall, da die Jury Namen und andere persönliche Daten nicht in ihre Entscheidung miteinbezieht. Aber wie hält man eigentlich einen Blitzeinschlag fotografisch fest?

Die Jurymitglieder des «Bieler Tagblatt», regelkonform fünf an der Zahl, sind durchdesinfiziert und oralnasal maskiert. Sie treffen sich ausnahmsweise nicht am Bildschirm, sondern in Fleisch und Blut bei offenem Fenster und laufender Heizung. Die Aufgabe: Aus 53 Wochensiegern mach' 3 Jahresendsieger! Fast wäre das Vorhaben an einem bisher unbekannten Problem gescheitert: einer Namensdopplung in der Endrunde.

Ist es möglich, musste sich die Jury erstmals fragen, dass ein und derselbe Fotograf zwei Platzierungen auf dem Siegertreppchen hat? Die Jury wählt nämlich ohne Kenntnis der biografischen Details der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus und schaut erst am Ende, wer sie sind. In diesem Fall wurde entschieden: Nein, das geht nicht, auch wenn alle in Sachen Bewusstseinsspaltung aktuell womöglich im fortgeschrittenen Stadium sind. «Das können wir der Community nicht erklären», sagt Online-Chef Simon Dick. Das Ergebnis ist nun bekannt, unsere Gewinner 2020 heissen: Urs Zimmermann, René Marti und Sascha Reist, der Online-Gewinner ist Wettbewerbs-Neuzugang Patrick Weber aus Ipsach. Sie erhalten Gutscheine im Gesamtwert von 750 Franken von unserem Sponsor «BienneBon».

Rekordhohe Teilnahme
2020 ist für den Leserfotowettbewerb ein Rekordjahr gewesen. 7500 Einsendungen erreichten das «Bieler Tagblatt», ein Allzeithoch seit dem Start des Wettbewerbs im Jahr 2008. Es gab 53 Kalenderwochen, wobei ein Jahr im Schnitt 52,143 Wochen hat und nur dann 53 Wochen zählt, wenn es mit einem Donnerstag beginnt oder endet. Das ist nur alle fünf bis sechs Jahre der Fall.

Wo wir schon bei der Statistik sind: Das Top-Thema 2020 war die Farbe «Blau», dazu wurden 943 Fotos eingeschickt. Vielleicht, weil es laut Joan Miró die «Farbe der Träume» ist. Oder der Hoffnung, die zuletzt stirbt. Der verheissungsvollen Ferne, welche aktuell unerreichbar weit weg scheint. Am wenigsten lockte es die Fotografinnen und Fotografen, das Thema «Lärm» umzusetzen, was auch nicht leicht ist. Das Schlusslicht zählte nur 359 Einsendungen. Unter allen eingesandten Bildern sind immer auch solche, bei denen Fragen offenbleiben. «Ist das Auge ein Mario-Botta-Bau, dessen Glaskuppel gedreht wurde? Was passiert auf dieser unheimlichen Baustelle und wer ist der Besucher, der seinen Schatten wirft?»

Dunkle Geheimnisse
Dann sind da die Fotos wie jenes von Alfred Blaser, der etwas gesehen hat: Das Pflänzchen, welches eine ähnliche Form hat wie das danebenliegende, verbogene Stahlrohr. Natur und Technik werden so auf ironische Art eins. Simon Dick, passenderweise schwarz gekleidet, hat heute eine Tendenz, recht düstere Schwarz-Weiss-Bilder zu bevorzugen, darunter ein wunderbar grafisches, unheimliches Baumgestrüpp oder jenes, das einem Edgar-Wallace-Film entsprungen zu sein scheint. «Bist du so eine dunkle Persönlichkeit?», fragt Chefredaktor Bernhard Rentsch schmunzelnd. «Wenn ihr wüsstet, was ich am Wochenende mache», erwidert Dick geheimnisvoll. Sein Favorit fliegt aber raus, so ist das eben. Und auch die vier Jungs in Kapuzenpullis (Andrea Zanella), die so lässig gegen die Pfeilrichtung laufen, verpassen knapp das Siegertreppchen.

Plötzlich kommt unter einem hochgehobenen Leserfoto ein Plakat zum Vorschein, das auf dem Tisch des Sportressorts liegt. Es zeigt Schwinger Christian Stucki, den «Sieger der Herzen». «Hier wurde sicher kein Photoshop verwendet», witzelt Foto-Chef Peter Samuel Jaggi über die Montage. Und es ist keiner der 53 Wochensieger, aus denen gewählt wird. «Doch klar, das ist der Sieger!», finden die Jurymitglieder und lachen.
 

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Urs Zimmermann kam über ein Foto-Onlineforum zum Wettbewerb des «Bieler Tagblatt». Und holt sich den ersten Platz – mit einem Drohnen-Selbstporträt.

Urs Zimmermann, wie kamen Sie zu diesem tollen Bild?
Urs Zimmermann: Das ist ganz einfach mit einer Drohne entstanden, die besitze ich seit etwa zwei Jahren und habe somit angefangen, die Welt von oben zu betrachten. Dieses Bild war eher 
Zufall. Ich war am Rande eines Naturschutzgebietes, wollte den Flusslauf der Reuss fotografieren.Am Schluss habe ich, als Gag, mich selbst fotografiert. Die Strukturen der Felder, dann der Schatten, der schräg ist, das hat mich fasziniert.

Uns auch ... Die Fernbedienung für die Drohne ergibt Teufelshörner auf dem Kopf des Schattens. War das Absicht?
Vielleicht bin ich etwas teuflisch ... (lacht) Das war Zufall, habe ich erst im Nachhinein bemerkt.

Sind Drohnen nicht teuer?
Es ist eine DJI, keine professionelle Drohne. Sie kostet etwa 1500 Franken. Für den Normalgebrauch ist die Qualität wirklich überzeugend.

Hatten Sie je Probleme mit anderen Flugobjekten?
Es gibt natürlich Höhenbeschränkungen für solche Drohnen. Da muss man immer etwas vorsichtig sein. Technisch kann das Gerät 500 Meter hochsteigen, aber sobald die Schweiz die EU-Vorschriften übernimmt, sind dann nur noch maximal 120 Meter erlaubt. Hubschrauber zum Beispiel fliegen recht tief. Da möchte ich keinen Konflikt provozieren.

Wie haben Sie das Jahr erlebt?
Ich arbeite an der Pädagogischen Hochschule, war lange Lehrer und Schulleiter. Wir arbeiten in der Qualitätssicherung von Schulen. Das war während des Lockdowns natürlich schwierig. Es fehlen die Kontakte zu den Kollegen. Dafür hatte ich mehr von meiner Familie, meine Frau ist jetzt pensioniert. Es hatte nicht nur Nachteile.

Wo stehen Sie fotografisch?
Ich war früher der Ferienfotograf, aber vor sieben Jahren habe ich mir eine bessere Kamera besorgt und nun schule ich mein Auge, tausche mich mit anderen in Foren aus. Bei der Tierfotografie habe ich noch wenig Erfahrung.

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René Marti (62) aus Safnern ist praktisch von Beginn an beim Leserfotowettbewerb dabei. In diesem Jahr hat er es mit seinem Storchenballett auf das Podest geschafft. Der «Vogelflüsterer» beobachtet oft stundenlang.

René Marti, Sie sind eine Art Urgestein des Wettbewerbs, haben schon zwei Mal gesiegt. Wo haben Sie das Storchenpaar angetroffen?
René Marti: In Altreu. Die fast synchrone Stellung hat mir gefallen. Wenn ich fotografieren gehe, verbringe ich Stunden dort. Schaue mir die Situationen an. Die Zwei auf dem Bild hatten sich gepaart, hatten aber kein Nest, deshalb spazieren die Beiden ganz nervös auf dem Dach hin und her. Sie versuchten immer wieder fremde Nester zu besetzen. Das führte zu Luftkämpfen, die ich leider nicht fotografieren konnte.

Wieso bauen die kein eigenes Nest?
Poah, vielleicht sind sie zu faul oder zu spät in Altreu angekommen. Gestern habe ich auf einem Bild gesehen, dass die Störche wieder im Land sind. Hoffe, dass sie diesmal rechtzeitig ankommen.

Klimaerwärmung ...
Ja, auch wenn es jetzt mit dem vielen Schnee gerade nicht danach aussieht.

Machen Sie gerne Naturbeobachtungen?
Ich bin eigentlich jeden Tag am fotografieren. Für mich ist das «Männeryoga», da kann mich jemand ansprechen, da merke ich nichts. Ich wollte gerade ins Auto steigen und an den Bielersee fahren. Mit dem Schnee gibt es schönes Licht, dann suche ich Rotkehlchen und Blaumeisen und so weiter ... Manche Kollegen nennen mich auch den «Vogelflüsterer».

Tiere haben es ihnen angetan?
Schon, aber ich fotografiere sehr vielseitig: Landschaften, Akt, Ferien, Architektur, Sport. Wenn in der Umgebung ein Anlass stattfindet, dann bin ich oft dort anzutreffen. Da war letztes Jahr natürlich nicht viel los, aber in der Natur gibt es unendlich viele Motive zu entdecken.

Ihnen hat Corona nichts ausgemacht?
Nein, eigentlich nicht. Für mich gab es keinen grossen Unterschied, ich gehe ohnehin selten weg. Ich denke sogar, es kann die Leute animieren, darüber nachzudenken, dass nicht alles selbstverständlich ist.

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Sascha Reist stammt aus 
Ipsach. Fast wäre er auf den Philippinen hängen geblieben. Seither reist er höchstens in die Schweizer Berge. Platz 3 der Jury zeigt, wo der Blitz 
einschlägt.

Sascha Reist, was denken Sie, mit welchem Foto haben Sie den dritten Platz geholt?
Sascha Reist: Das könnte das «Donnerwetter» gewesen sein…

Stimmt. Wie haben Sie es geschafft, den Moment des Blitzeinschlags festzuhalten?
Das war eine Art Glückstreffer bei einem Gewitter vor ein paar Jahren. Ich war bei einem Kollegen, wir hockten in einem offenen Unterstand, redeten, jassten und tranken. Ich habe einfach die Kamera mit Stativ und einer Belichtungszeit von ein paar Sekunden eingestellt und einen Timer mit Selbstauslöser aktiviert, sodass alle vier, fünf Sekunden Fotos geschossen wurden. Dann gab es einen riesen Krach und ich habe geschaut, ob ich den Einschlag erwischt habe: ja!

Ein weiterer Wochensieger von Ihnen zeigt einen Traumstrand. Sind Sie 2020 gereist?
Ja, das war auf einer Insel auf den Philippinen. Ich war dort im März, einigermassen naiv, dachte, das kommt schon noch gut. Ich musste dann rasant abreisen und habe es knapp ohne EDA-Sonderflüge nach Hause geschafft. Nun gehe ich vorerst in der Schweiz reisen, auch schön! Aber ich kann es kaum erwarten, wieder grössere Reisen zu machen.

Sie wohnen in Zürich, haben aber Wurzeln im Seeland?
Ich komme aus Ipsach. Und bin beruflich bei SRF Produktionsleiter für Unterhaltungssendungen wie «Game of Switzerland» oder «SRF bi der Lüt».

Die Fotografie ist ein Hobby?
Ja, ich fotografiere schon immer gerne. Ohne meine Kamera und das Stativ verlasse ich eigentlich nie das Haus.

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Patrick Weber (31) aus Ipsach konnte 39 Prozent aller Stimmen in der Online-Abstimmung des Leserfotowettbewerbs erzielen. 150 Teilnehmende stimmen für «Himmel auf Erden», das in der Toskana entstand.

Patrick Weber, haben Sie viele Freunde?
Patrick Weber: Anscheinend ... (lacht) Also bin in vielen Vereinen, aber ich hätte nicht gedacht, dass alle so fleissig mitmachen beim Abstimmen. Und meine Familie hat Werbung für mich gemacht.

Welche Vereine?
Verschiedene... Ich spiele Flag Football, Unihockey, früher American Football.

Sie sind also sehr sportlich ... Das Bild verlangte aber gar nicht so viel Körpereinsatz. Wo ist das?
Letztes Jahr in der Toskana, in Tatti.

Was hat Sie an dem Motiv gereizt?
Wir sind durch diese Gasse gelaufen. Und ich habe nach etwas gesucht, was zum Monatsthema passte. Das war «Am Boden». Es hatte geregnet, und da sah ich in dieser Pfütze den Himmel und dazu am Ende der Gasse auch den Himmel und fand es perfekt.

Wie lange sind Sie schon dabei?
Letztes Jahr habe ich mich das erste Mal eingeloggt für den Wettbewerb und bin hier auf eine sehr nette Community getroffen. Das Fotografieren habe ich eigentlich erst 2019 in einem Urlaub in Südafrika entdeckt, da habe ich mir eine Kamera gekauft. Ich habe aber leider viel zu wenig Zeit dafür.

Sie sind beruflich stark eingespannt?
Ja, ich arbeite bei der Stadt Nidau. Und dann mache ich noch einen Master in «Nachhaltigem Bauen».

Interviews: gau

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Monatsthemen 2021

Februar: Homeoffice
März: Geschickt

April: Gnusch

Mai: Im Hintergrund

Juni: Haarig

Juli: Leben!

August: Heiss

September: Wein

Oktober: Rot

November: Reihe

Dezember: Hell

Januar 2022: Leerstehend

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