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Titelgeschichte

Eintauchen in eine andere Welt

Tauchen in kompletter Finsternis, eng umschlossen vom Fels, im kalten, oft trüben Wasser. Das ist Höhlentauchen. Was macht die Passion aus? Höhlentaucher erklären.

Impressionen aus der Bätterichquelle bei Sundlauenen im Thunersee. Die grünliche Farbe ist den Lichtverhältnissen geschuldet. Bild: zvg/Séverine Bär

Hans Peter Roth

Noch ist die Wasseroberfläche zu sehen. Und der seichte, steinige Untergrund in der Bucht von Sundlauenen. Pedro Balordi startet den Unterwasser-Scooter. Rasch zieht ihn das torpedoförmige Gerät mit einer Antriebsschraube im Innern in die Tiefe. Nach etwa 25 Sekunden stoppt der Höhlentaucher die Fahrt. Hier auf gut 20 Meter Tiefe ist es im Thunersee schon recht dämmerig. Im grünlich eingetrübten Tageslicht klafft ein breiter, dunkler Schlitz im Fels. Der Eingang zur Bätterichquelle.

Faszination am Verborgenen
Tauchen bedeutet Eintauchen in eine andere Welt. Weit mehr noch gilt dies für das Höhlentauchen. Für Balordi ist es zur Passion geworden, seit seinem ersten Höhlentauchgang im Jahr 1998. «Es ist der Forscherdrang, der Entdeckerinstinkt in uns», erklärt er. «Wer hat nicht als Kind in Löcher geblickt, in einen Fuchsbau vielleicht, und sich gewundert, was sich da verbirgt – oder hinter einem Vorhang. Diese natürliche Neugier, die Faszination am Unbekannten ist es, die mich noch immer antreibt.» Dazu komme gerade beim Höhlentauchen die Auseinandersetzung mit der Technik, ergänzt der 58-Jährige: «Und mit sich selbst.»

Zweifellos war diese Leidenschaft auch der Antrieb, dass es ihm gemeinsam mit seinem Tauchpartner André Gloor als Erster gelang, die Bätterichquelle zu durchtauchen; das heisst, im Berginnern wieder über Wasser zu kommen. Es war am 24. Februar 2007. Pedro Balordi erzählt.

Bereits in den frühen 1970er-Jahren sei der Bätterich von bedeutenden Schweizer Höhlentauchern erforscht worden. Im wasserdurchströmten Höhlensystem galt es, Hunderte Meter zurückzulegen, eng umschlossen vom Fels, und verschiedene Schlüsselstellen zu überwinden.

Eine davon 42 Meter, eine andere sogar fast 80 Meter tief unter Wasser. Doch dann endete der Vorstoss abrupt. 1982 stiessen erste Taucher in 31 Meter Tiefe auf den «Versturz»: Felsbrocken versperrten den Weg; weiteres Vorankommen unmöglich – zunächst.

Neue Wege entdeckt
«In den 2000er-Jahren betauchten André Gloor und ich regelmässig den Bätterich», erinnert sich Balordi. «Mehrmals waren wir vor dem Versturz und versuchten, einen Weg zu finden.» Wie alle anderen zuvor, kamen auch sie zur Überzeugung, dass es da kein Weiterkommen gab. Doch die beiden wollten noch nicht aufgeben. Und die immer ausgereiftere Tauchausrüstung sollte sich als hilfreich erweisen.

Denn mittlerweile kamen zum Atmen unter Wasser Kreislaufgeräte zum Einsatz. Dabei gelangt die ausgeatmete Luft nicht mehr in Form von Blasen ins Wasser, sondern wird im Gerät erneut aufbereitet. «Dass beim Ausatmen keine Blasen austreten, ist ein grosser Vorteil», erklärt Pedro Balordi. «So wird kein Belag, der das Gestein überzieht, aufgewühlt.» Die Sicht bleibt besser.

«Nun hatten wir also bei unseren ersten Tauchgängen im Bätterich mit diesem System einen ‹freien› Blick auf den Versturz.» Bald entdeckten sie, dass es vielleicht doch einen Weg gab, den Versturz durch eine Engstelle zu umtauchen. «Es schien sogar, dass sich der Höhlengang dahinter weiter fortsetzt.» Tatsächlich schaffte es der Höhlentaucher aus Aarau schon bald auf die andere Seite. Würde es von da aus auch weitergehen?

Als erster Mensch
Dies wiederum galt es zu zweit zu erforschen. «Am 23. Februar 2007 war es so weit. Bei schönstem Wetter fuhren wir an den Thunersee. Schnell hatten wir unsere Ausrüstung am See, und wir liessen uns von unseren Scootern zum Eingang des Bätterich ziehen.» Nach 37 Minuten waren die beiden vor dem Versturz. Tauchkamerad André Gloor kam gut durch die Engstelle und erhielt auf der anderen Seite angekommen von Balordi die Spule durchgereicht, um die lebensnotwendige Orientierungsleine abzuwickeln.

«Er verschwand in der Dunkelheit. Nach wenigen Minuten folgte ich ihm und der Leine.» Durch das Befestigen der Leine und die Suche nach der richtigen Fortsetzung waren unvermeidlich Ablagerungen aufgewühlt worden, welche die Sicht trübten. «Zu meinem Erstaunen schlug die Leine einige Haken um die Versturzblöcke», so schildert es Balordi, «bis sie relativ steil nach oben führte.» Nach 55 Minuten Tauchzeit durchstiess André Gloor als erster Mensch die Wasseroberfläche nach dem Siphon, gefolgt von Peter Balordi. «Ein alter Traum von uns und vielen anderen Kollegen wurde wahr.»

Riesige Karstquelle
Von der rund zwei auf vier Meter grossen Wasserfläche stieg die Kluft weiter steil an. «Deshalb konnten wir das Wasser leider nicht verlassen.» Dem ersten Augenschein nach verlor sich die Kluft über den beiden spaltenartig eng im Fels. Zufrieden über die neu entdeckte «Terra incognita» traten die beiden Höhlentaucher den Rückweg an, um den Erfolg am selben Abend «mit einer feinen Zigarre» zu feiern.

Heute ist der Bätterich weitgehend erforscht. Doch die Faszination für die Quelle im Thunersee – eine der grössten Karstquellen der Schweiz – ist ungebrochen. Denn die Mehrheit der Höhlentaucher heute hat sich nicht der Höhlenforschung verschrieben, sondern sucht die Quelle auf für den Höhlentourismus unter Wasser.

Zu den Kennern der Bätterichquelle gehört Richard Studer. Er hat sie nach eigener Schätzung schon mehr als 300 Mal betaucht. Der erfahrene Taucher aus Hilterfingen, selbst Ausbildner von Höhlentauchern und Höhlentauchlehrern, schätzt unter anderem die gute Sicht in der Quelle: «15 bis 20 Meter, manchmal ist das Wasser sogar glasklar.» Und: «Die Höhle liegt in meinem Haussee und ist somit schnell erreichbar.»

Gespeist wird die Quelle von einem rund 40 Quadratkilometer grossen Einzugsgebiet. In diesem liegt neben dem grössten zusammenhängenden Karrenfeld der Schweiz auch das zweitgrösste Höhlensystem des Landes, das «Réseau Siebenhengste-Hohgant». Dazu kommt ein weiteres gewaltiges Höhlensystem: der Bärenschacht. Dessen südlichste Ausläufer sind nur 500 Meter vom Bätterich entfernt.

Lang gehegte Träume
«Deshalb ist es buchstäblich naheliegend, dass die Verbindung von Bätterich und Bärenschacht ein lang gehegter Traum ist», erklärt Höhlenforscher Pedro Balordi. Der zweite grosse Traum ist, dass «Réseau Siebenhengste-Hohgant» mit dem Bärenschacht zu verbinden.

Nach einer Strecke von bis zu 21 Kilometern und mit kurzen Fliesszeiten strömt das Wasser im Bätterich und in der circa 300 Meter davon entfernten, noch weniger erforschten Gelbenbrunnen-Quelle unter Wasser in den Thunersee. Erstaunlicherweise haben übrigens die benachbarten St.-Beatus-Höhlen ein anderes Einzugsgebiet.

Stichwörter: Tauchen, Tiefe, See

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