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Yukon

Erster Frost, tote Tomaten 
und kein Indian Summer

Der Sommer im Yukon war lausig, und der Herbst ist auch nicht besser. Das Wetter scheint sich der allgemeinen Stimmung anzupassen. Denn trotz aussergewöhnlich wenigen Covid-19-Fällen dominiert das Virus das öffentliche Leben weiterhin.

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Christine Mäder

Unser Rasen ist übersät mit Blättern von den täglich kahler werdenden Bäumen im Nachbargarten. Am letzten Wochenende machten meine drei Tomatenstauden endgültig einen «Lätsch» – bevor die kleinen grünen Früchte überhaupt die Chance hatten, reif zu werden. Nun versuche ich, sie in meinem Gästezimmer am Leben zu erhalten. Hoffentlich klappt es und ich kann doch noch etwas ernten.

Markttag mit Vorschriften

Die Gemüsehändlerinnen am wöchentlichen Fireweed Market im Shipyards Park sind bereits spärlicher geworden, und die noch verbliebenen haben keine grosse Auswahl mehr zu bieten. Dieses Jahr gab es keine rekordverdächtig grossen Kohlköpfe oder Riesenzucchetti. Die Region Whitehorse verzeichnete einen der regenreichsten Sommer seit Langem, mit viel Wind und relativ kühlen Temperaturen. Früchte und Gemüse scheinen sich der allgemeinen Stimmung angepasst zu haben.

Am kommenden Donnerstag ist der letzte Markttag dieses Jahres, das den wöchentlichen Treffpunkt so anders gestaltete als gewohnt. Um die notwendigen Distanzregeln einzuhalten, waren die Stände diesmal nur auf einer Seite des durch den Shipyards Park führenden Wegs erlaubt, und die Marktbesucher durften ihren Rundgang nur im Uhrzeigersinn machen (was allerdings längst nicht von allen befolgt wurde). Handdesinfektionsmittel am Eingang des erstmals eingezäunten Areals führte zwischendurch zu einem kleineren Stau, doch farbige Markierungen am Boden sorgten für genügend Abstand in der Warteschlange. Wir alle waren dankbar, dass unser beliebter Fireweed Market trotz Coronavirus stattfinden durfte.

Wo bleibt die Farbenpracht?

Auf den Bergen rund um Whitehorse liegt bereits der erste Schnee. «Termination dust» (Abschluss-Staub) wurde dies früher von den Goldgräbern genannt, weil die erstmalige Überstäubung das nahe Ende der Schürfsaison anzeigte. Wenn ich mit unserem Hund Sachin durch das Wäldchen im Quartier spaziere, fällt mir auf, wie gedämpft die sonst goldenen Herbstfarben dieses Jahr scheinen. Das gelbe Laub der Espen und die dunkelroten Blätter der Waldweidenröschen leuchten lange nicht so strahlend wie üblich – fast so, als ob auch die Natur von der gedrückten Stimmung der Menschen in diesen Coronazeiten beeinflusst würde.

Eben hat Yukons Territorialregierung den Ausnahmezustand auf unbestimmte Zeit verlängert, was unter anderem bedeutet, dass die seit Monaten bestehenden Reisebeschränkungen weiterhin in Kraft bleiben. Während mit unserer Nachbarprovinz British Columbia seit Juli freier Personenverkehr herrscht und Menschen von Nunavut und den Northwest Territories uns ohne Quarantänepflicht besuchen können, bleiben der Rest von Kanada sowie Touristinnen und Touristen aus dem Ausland draussen. Was verheerende Auswirkungen auf unseren arg gebeutelten Tourismussektor hat, aber unseren niedrigen Stand von bis anhin bloss 15 Covid-19 positiven Personen bewahren soll.

Steigende Zahlen bei den Jüngeren

Wie in der Schweiz steigen auch in Kanada die Zahlen der Coronavirus-Infizierten. Die Demografie der Betroffenen hat sich auf eine Mehrheit der unter 40-Jährigen verlagert. Immer wieder sehen wir in den Nachrichten Bilder von Horden von Teenagern und Millennials, die sich in alkoholbeflügelter Partylaune keinen Deut um Abstand und Masken kümmern.

In der Provinz Quebec, wo Maskenpflicht in allen öffentlichen Gebäuden gilt, werden seit letztem Samstag Bussen von 400 bis 6000 kanadischen Dollars ausgeteilt an jene, die die Vorschriften nicht einhalten. Bezeichnend, dass gleichentags in Montreal ein Protestmarsch von mehreren tausend Covid-19-Leugnern stattfand – doch im Freien konnten sie nicht bestraft werden, auch wenn sie den Sicherheitsabstand zueinander nicht einhielten.

Jede Provinz und jedes Territorium hat eigene Vorschriften im Umgang mit dem Coronavirus, und Präventivmassnahmen in Schulen zum Beispiel variieren sogar von Gemeinde zu Gemeinde, was mitunter Verwirrung stiftet. Verständlich, ist doch das Leben in der neuen Normalität für alle Neuland. An manchen Orten wurden kleinere Klassen angeordnet, teils sind Masken obligatorisch für alle Schüler, anderswo nur für jene in höheren Klassen. Einige Provinzen stellen es den Eltern frei, ihre Kinder in die Schule zu schicken oder sie weiterhin mit Fernunterricht lernen zu lassen.

Originelle kulturelle Veranstaltungen

In British Columbia wurde jüngst die erneute Schliessung aller Nachtklubs und Bankettsäle angeordnet, weil eine Vielzahl der neusten Fälle auf diese zurückverfolgt werden konnte. Im Yukon dürfen nun wieder Konzerte in Bars stattfinden; tanzen hingegen ist nicht erlaubt, und Getränke werden nur an den Tischen serviert, weil Abstand am Tresen praktisch unmöglich ist.

Unser Kleintheater «Guild Hall» hat diesen Sommer Lesungen, Theater- und Konzertveranstaltungen hinter das Haus verlegt: Eine beschränkte Publikumszahl war in originell zusammengezimmerten, überdachten und je zwei Personen einen Sitzplatz bietenden Unterständen vor allfälligen Wolkenbrüchen sicher.

Veranstaltungen im Yukon Arts Centre Konzertsaal sind auf einen Viertel der Kapazität beschränkt, doch das Publikum tut seinen Enthusiasmus mit umso lauterem Beifall kund. Während etliche Kunstgalerien Besucher nur auf Voranmeldung empfangen, setzte die Kooperative Yukon Artists at Work eine besonders originelle Idee um: künstlerisches Schaffen im Schaufenster der Galerie. Jede Woche konnte das Publikum über Mittag während drei Stunden einem Mitglied der Kunstkooperative beim Kreieren von neuen Werken zuschauen.

Die Yukonerinnen und Yukoner versuchen, aus jeder Situation das Beste zu machen. So auch mit den Gegebenheiten der neuen Normalität, auch wenn dies mitunter schwerfällt. Werden wir je wieder so unbeschwert fröhlich sein können wie vor der Pandemie?

Info: Christine Mäder, in Biel geboren und aufgewachsen, war von 1977 bis 1993 Journalistin und Redaktorin beim «Bieler Tagblatt». 1996 wanderte sie in den spärlich besiedelten 
Yukon aus, wo sie heute in Whitehorse als 
Administrative Assistentin in der Finanzabteilung von Parks Canada tätig ist.

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