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AutomobilzuliefererProfessorin

Feintool will weiterwachsen

Der Lysser Technologiekonzern hat auch letztes Jahr den Umsatz gesteigert. Die Währungssituation hat aber Gewinn gekostet. Doch Feintool hat Marktanteile gewonnen. Das Unternehmen will 2018 einen Umsatz von 600 Millionen Franken erzielen, später mehr. Um das Wachstum mitzufinanzieren und finanziell stabil zu bleiben, steht nun eine Aktienkapitalerhöhung an.

Wo sich Teile von Feintool im Auto finden. zvg

Bildlegende:


1   Airbag-Verschlussstück
2   Injektorgabel für Einspritzdüsen von Dieselmotoren
3   Ventilplatten für Klimakompressoren
4   Kettenrad
5   Bremsbelagsträger
6     Lamellen
7     Lamellenträger
8     Planetenträger
9     Parksperre
10   Hebel zur Sitzhöhenverstellung
11   Sitzschienenteil
12   Sitzneigungsversteller
13   Steckzunge

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Tobias Graden

Wenn doch bloss die Währungssituation nicht so wäre, wie sie sich für die Schweiz seit Jahren darstellt. Dann nämlich hätte der Lysser Automobilzulieferer Feintool auch im letzten Jahr deutlich bessere Zahlen erzielt, und die beiden Schweizer Standorte Lyss und Jona hätten das operative Ergebnis kaum um vier Millionen Franken belastet, und Letzteres wäre dementsprechend besser ausgefallen. Die ganze Gruppe hätte ihren Umsatz nicht um 1,1, sondern um 4,4 Prozent gesteigert. Noch deutlicher wird der Einfluss der Währungsentwicklung, wenn man sie seit dem Jahr 2010 betrachtet. Wäre die Währungssituation seit damals stabil geblieben, hätte Feintool letztes Jahr um 600 Millionen Franken Umsatz erzielt und nicht «nur» 508,9 Millionen. Der Effekt macht also fast 20 Prozent aus.
Aber die Führung der Feintool hält sich an der gestrigen Bilanzkonferenz nicht gross mit dem Konjunktiv auf.

Handeln nach dem Schlag

Verwaltungsratspräsident Alexander von Witzleben bekennt zwar:«Letztes Jahr um diese Zeit ging es uns nicht gut.» Der Entscheid der Schweizerischen Nationalbank, die Mindestkurspolitik aufzugeben, war «ein Schlag ins Kontor». Das Unternehmen verlor aber keine Zeit mit Lamentieren. «Wir haben in manchen Bereichen schnell und scharf reagiert», sagt von Witzleben.
So erhöhte Feintool die Wochenarbeitszeit in der Schweiz um zehn Prozent, von 40 auf 44 Stunden – im Rahmen des Gesamtarbeitsvertrags und in Absprache mit der Gewerkschaft Unia. Eine Massnahme, welche die Zahlen spürbar entlastete, beträgt doch der Anteil der Arbeitskosten an den gesamten Kosten an den Schweizer Standorten 40 Prozent.

Und Feintool kaufte ein:In Oelsnitz akquirierte sie die Gabler Feinschneidtechnik GmbH, die seither als Feintool System Parts Oelsnitz GmbH firmiert. «Wir kannten die Firma schon lange», so der Verwaltungsratspräsident, «schliesslich hat sie bei uns Maschinen gekauft.» Die Arbeitskosten sind im ostdeutschen Oelsnitz gerade mal ein Drittel so hoch. Der Standort wird derzeit noch um- und ausgebaut, bald werden 140 Werkzeuge von Lyss nach Deutschland verlegt, und damit die entsprechende Produktion. Auch der Standort im deutschen Ohrdruf wird deutlich ausgebaut.

Damit einherging die neue Ausrichtung des Standorts Lyss: Im Teilegeschäft soll sich dieser auf anspruchsvollere, hochvolumigere Teile, deren Herstellung hoch automatisiert ist, sowie die Entwicklung fokussieren.

Vorteilhafter Ausblick

Dieser Umbau kostete Geld, auch in der Schweiz. «Eine schnelle Operation am offenen Herzen», nennt es Alexander von Witzleben. Im Investitionsgütergeschäft, also bei der Herstellung und dem Verkauf von Feinschneidpressen, kann Feintool nicht in der selben Geschwindigkeit agieren. Der Umsatzanteil dieses Segments dürfte in diesem Jahr unter 15 Prozent fallen, auch sind die Pressen durch die Währungsentwicklung auf dem Weltmarkt deutlich teurer geworden. «Wir müssen in die Technologie investieren, damit die Kunden bereit sind, den Franken-Aufschlag zu zahlen», sagt von Witzleben.

Das weltwirtschaftliche Umfeld für Feintool war aber auch im letzten Jahr gut. Das Zinsniveau war tief (und ist es nach wie vor), die Preise von Öl und anderen Rohstoffen ebenfalls, was den Absatz von Autos eher ankurbelt. Der Ausblick fällt nicht minder vorteilhaft aus. Bis ins Jahr 2020 wird abgesehen von Korea und Japan eine deutliche Zunahme des Automobil-Absatzes prognostiziert, und die Trends in der Automobilindustrie (etwa zur Energieeffizienz und Schadstoffreduktion, aber auch zum modularen Aufbau der Fahrzeuge) spielen für die Feinschneidtechnologie.

«Die Autoindustrie ist allen Unkenrufen zum Trotz intakt», sagt Alexander von Witzleben. Abgesehen von den USAsei auch die Dieseltechnologie weiterhin gefragt, während Feintool die Elektromobilität weiterhin als Nischenthema betrachtet.

600'000 neue Aktien

Und so plant denn Feintool auch weiteres Wachstum, in erster Linie beim Teilegeschäft. Das Unternehmen will «Marktchancen nutzen», heisst es in der Präsentation. Dazu will es das Aktienkapital erhöhen: 600000 neue Aktien zum Nominalwert von 10 Franken sollen ausgegeben werden. Das entspricht 13,4 Prozent des heutigen Aktienkapitals. Es ist noch nicht abschliessend festgelegt, ob die bisherigen Aktionäre vom Bezugsrecht ausgeschlossen sein werden. Ziel ist es aber so oder so, mehr Aktien auf dem Markt zu haben (den so genannten «Free Float» zu erhöhen). Mehrheitsaktionär Michael Pieper, der zurzeit noch knapp über 50 Prozent hält, dürfte sich jedenfalls kaum beteiligen – dass sein Anteil mittelfristig sinken soll, hat er bereits in der Vergangenheit kommuniziert.

Wofür genau das neue Kapital eingesetzt werden soll, wird noch nicht im Detail verraten. Sicher ist, dass Zukäufe ergänzenden Charakter zum bestehenden Geschäft haben sollen. Es geht also um Verfahren, die jenen von Feintool vor- oder nachgelagert sind. «Wir planen keine grössere Akquisition, es handelt sich um kleinere Dinge», sagt der Verwaltungsratspräsident. Für die Kapitalsituation des Unternehmens sei es besser, wenn solche Käufe mindestens teilweise mit eigenen Aktien gezahlt werden könnten, so von Witzleben. Denn grosse Hersteller achteten bei der Vergabe ihrer Aufträge vermehrt auf solide Finanzen ihrer Zulieferer, und diesen Trumpf (die Eigenkapitalquote beträgt mittlerweile um die 50 Prozent) will Feintool nicht verspielen.

Eine grössere Investition dagegen plant Feintool in Osteuropa. «Wir folgen einem Markt», begründet dies CEOHeinz Loosli. Namhafte Kunden von Feintool seien dort bereits vertreten, mit Fertigungskapazitäten, aber auch mit Entwicklungsabteilungen. Der Standort sei bereits «mehr oder weniger fertig evaluiert», und er soll von Jena aus (wo Feintool auch einen Standort unterhält) erreichbar sein – er dürfte also in Tschechien liegen. Feintool baut dort auf der grünen Wiese eine neue Fabrik, die Gesamtinvestition dürfte zwischen 20 und 30 Millionen Franken betragen. An der Halbjahreskonferenz dürften genauere Informationen mitgeteilt werden, stellt Loosli in Aussicht.

Grosse Aufträge in Aussicht

Die Kapitalerhöhung dient also auch dazu, das künftige Wachstum zu finanzieren. Dieses ist aber auch organisch gesichert. In Asien etwa hat Feintool neue Aufträge in Aussicht, die Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe benötigen. Der Markt im Teilegeschäft habe einen Umfang von etwa 2,1 Milliarden Franken, sagt Alexander von Witzleben, Feintool will künftig ein grösseres Stück dieses Kuchens haben. Es dürfte Feintool beispielsweise zugutekommen, dass auch China die Schadstoffregulierung verschärft hat. Die Planung sieht für das Jahr 2018 einen Umsatz von 600 Millionen Franken vor, für die Zeit danach liegt laut von Witzleben «wesentlich mehr drin». Kurz: Auch mit der Kapitalerhöhung sollen die Aktionäre eine Wertsteigerung von Feintool sehen und davon profitieren. Ebenso die Mitarbeiter in der Schweiz: Die Arbeitszeiterhöhung soll bald wieder rückgängig gemacht werden.

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«Der Nährboden für Innovationen ist sehr gut»

Autozulieferer müssen bezüglich Innovation und Effizienz auf Zack sein, sagt Anja Schulze. Dies verschaffe ihnen auch in andern Industrien Vorteile. Und sie erklärt, warum man die hiesigen Autozulieferer kaum wahrnimmt.

Interview: Daniel Rohrbach

Anja Schulze, es gibt Studien, die behaupten, dass bis in zehn Jahren knapp die Hälfte der Fahrzeuge elektronisch oder mit hybriden Antriebssträngen funktionieren. Sind die Schweizer Autozulieferer für diese Entwicklung gewappnet?

Anja Schulze: Die Aussage, dass in zehn Jahren schon die Hälfte der Fahrzeuge mit solchen Antrieben ausgestattet sind, kann ich so nicht unterschreiben. Ich weiss nicht, ob das so schnell geht. Das Ganze geht doch sehr zäh und langsam voran, man hat sich viel mehr versprochen. Namentlich auch in Deutschland, wo diese Antriebe extrem gefördert wurden. Und jetzt sehen wir, dass es doch nicht so stark zunimmt. Der gesunkene Ölpreis trägt auch das Seine dazu bei. Man könnte deshalb diese Aussage dahingestellt lassen. Zu Ihrer Frage, ob die Schweizer Zulieferer gewappnet sind: Dazu muss man sagen, dass die wenigsten in den Bereich elektrischen Antriebsstrang zuliefern. Doch dies ist nicht weiter schlimm. Denn auch ein Elektroauto braucht ein paar Reifen, Sitze und Türen.

Womit können sich Zulieferer denn abgesehen vom Antrieb bei Elektrofahrzeugen profilieren?

Bei Elektroautos oder bei Hybriden ist es besonders wichtig, dass man so energieeffizient wie möglich fährt. Dies, weil die Batterie nun mal nicht so viel Energie speichern kann und die Reichweite immer ein Thema ist. Das heisst: je leichter das Fahrzeug, umso besser. Für einen Zulieferer bedeutet dies, dass er bestrebt sein muss, seine Teile so leicht wie möglich zu bauen. Nehmen wir als Beispiel Georg Fischer: Das Unternehmen arbeitet mit der Bionik, um die Gussteile so zu gestalten, dass sie möglichst wenig Material enthalten und gleichwohl das gewünschte Mass an Stabilität aufweisen. Wir wissen, dass rund ein Drittel der Schweizer Zulieferer in Modelle liefern, die elektrisch angetrieben sind. Wenn diese Firmen nicht im Leichtbau tätig wären, dann könnten sie nicht mithalten.

Sie haben jetzt den Leichtbau angesprochen, wo gibt es noch weiteres Potenzial bezüglich Innovationen?

Viel Potenzial gibt es bei der Vernetzung, der Car-to-Car-Kommunikation. Man muss aber sagen, dass die Schweiz sehr stark aus dem Materialhintergrund kommt. Das mag an den Hochschulen liegen, weil es dort diesbezüglich ein grosses Know-how gibt. Viel Potenzial gibt es auch bei der Sicherheitstechnik, sprich Sensoren und Fahrerunterstützungstechnik. Da passiert im Moment auch sehr viel. Hier kann man sich gut positionieren, wenn man mit dabei ist. In der Schweiz sehe ich jedoch verhältnismässig wenige Firmen, die hier aktiv sind.

Das sind also eher Nischenbereiche.

Es gibt in der Schweiz natürlich auch Firmen, die hier tätig sind. Aber die meisten sind nach wie vor in den materialwissenschaftsbasierten Bereichen verhaftet, was ja auch sehr gut ist. Denn wie gesagt, selbst ein Google-Auto braucht eine Fahrgastzelle, eine Tür oder eine Fensterscheibe.

Viele Unternehmen sind nebst der Automobilindustrie auch für andere Sparten tätig, etwa für die Uhrenindustrie, die Medizintechnik und oder die Luftfahrt. Lässt sich dieses Geschäftsmodell aufrechterhalten?

Was nicht geht, ist, nur ein paar geringe Prozente im Automobilbereich zu haben. Das funktioniert nicht. Dazu sind die ganzen Zertifizierungen und Regulierungen zu komplex und zu aufwändig. Aber wenn man einen grösseren Anteil – ich sage jetzt einmal 30 oder 40 Prozent – in die Autoindustrie liefert, dann ist es durchaus gut, die Sparte ergänzend zu haben. Dies, um Absatzschwankungen in einer Industrie durch Diversifizierung abzufangen. Zudem haben wir gesehen: Selbst wenn es kritisch wird, wie bei der Krise von 2008/09, bleiben viele Unternehmen im Automobilbereich. Denn sie lernen dort so viel bezüglich Innovation und Effizienz, dass ihnen das von Nutzen ist für die anderen Industrien und sie dann dort wieder Vorteile erlangen. Ich denke, ein bedeutender Anteil Auto gemischt mit anderen Industrien ist ein sehr gutes Modell.

Wie beurteilen Sie generell die Zukunftsaussichten der Schweizer Autozulieferer?

Die Aussichten sind nicht düster. Wir sind nach wie vor in einem weltweit wachsenden Markt. Wichtig ist es, mit der Innovation dranzubleiben. Es entwickelt sich sehr viel. Und in Fernost wird auch nicht geschlafen. Doch der Nährboden für Innovationen ist in der Schweiz nach wie vor sehr gut.

Es lohnt sich also weiterhin, in der Schweiz zu produzieren?

Sicherlich. Ein Standort in der Schweiz hat durchaus Zukunft. Ein Unternehmen ist aber unter Umständen gut beraten, wenn es auch Produktionsstandorte ausserhalb der Schweiz hat.

24 000 Beschäftigte, rund 250 Betriebe, 9 Milliarden Franken Umsatz: Die Autozulieferer sind ein beachtlicher Wirtschaftszweig. Im Gegensatz zur Uhren- oder der Pharmaindustrie nimmt man die Autozulieferer aber kaum wahr. Warum eigentlich?

Da gibt es verschiedenste Gründe. Zwei davon sind markant. Zum einen: Die Schweiz hat keinen Autohersteller. Zum anderen: Es handelt sich um Teile, die, plakativ gesagt, unter der Motorhaube sitzen.

Wie hat sich die Aufhebung des Euromindestkurses auf die Branche ausgewirkt?

Zur Aufhebung des Euromindestkurses habe ich leider keine allumfassenden Zahlen, weil wir seither keine komplette Erhebung gemacht haben. Gleichwohl lässt sich sagen, dass die Aufhebung des Mindestkurses deutlich schmerzhafter gewesen ist als der VW-Skandal.

Was sind dessen Auswirkungen?

Trotz der ganzen Abgasgeschichte sind die Absatzzahlen bei VW nicht zurückgegangen. Zudem muss man sehen, dass die Zulieferer von ihrer gesamten Palette nur einen geringen Prozentsatz in VW-Autos liefern und davon einen noch kleineren Anteil in VW-Diesel.

Info: Anja Schulze ist Professorin am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Universität Zürich und Leiterin des Swiss Center for Automotive Research (swiss CAR). Zusammen mit ihrem Team hat sie 2008 und 2013 Studien über die Schweizer Automobilzulieferer verfasst.

Anja Schulze. zvg

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