Sie sind hier

Abo

Coronablog

Feste feiern, wie sie fallen

Dieses Jahr feiern zwei Mitglieder meiner Familie einen runden Geburtstag. Meine Mutter ist vor wenigen Wochen 90 Jahre alt geworden und meine Tochter wird bald volljährig.

Annelise Alder
  • Dossier

Dieses Jahr feiern zwei Mitglieder meiner Familie einen runden Geburtstag. Meine Mutter ist vor wenigen Wochen 90 Jahre alt geworden und meine Tochter wird bald volljährig. Das sind Meilensteine in einem Menschenleben. Das grosse Familienfest mussten wir trotzdem absagen. Und die ausgelassene Party war ohnehin nicht vorgesehen. "Es gibt wichtigiere Dinge im Leben", sagt meine Tochter. So freut sie sich darauf, bald wählen und abstimmen zu dürfen, die Welt zu entdecken und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Doch sie blickt auch mit einem mulmigen Gefühl in die Zukunft. Es drohen der zunehmende Einfluss des totalitären China auf die Welt und die Klimaerwärmung mit ihren drastischen Folgen.

Die Probleme, die uns derzeit beschäftigen, wirken dagegen wie Bagatellen.

Das findet auch meine Mutter. Sie muss es wissen, blickt sie doch auf ein ereignisreiches Leben zurück. Ihre Jugendzeit verbrachte sie während des Zweiten Weltkriegs in einem von den Nazis besetzten Land. Beklemmend und entbehrungsreich sei die Zeit gewesen. Dann aber ging es aufwärts. Heirat, Kinder und Karriere. Es folgten Schicksalsschläge wie Tod von Bruder, Kindern und Ehemann. Auch die körperlichen Gebrechen, die mit dem Alter dazugekommen sind, bilden die Hürden des Lebens, die es zu meistern gilt.

Wie das am besten gelingt, macht sie uns ebenfalls vor: Sie freut sich an den kleinen Dingen des Alltags.

Es ärgerte sie zugegebenermassen, dass sie ihren «Zischtigsclub» nicht zum Geburtstagsessen einladen durfte. Gemeint ist damit der Kreis ihrer Freundinnen, der sich jeden Dienstag zum Mittagessen trifft und den sie ausnahmsweise gerne bei sich zu Hause bewirtet hätte. Das wäre gefahrlos möglich gewesen. Schliesslich sind alle Mitglieder dieser Witwenrunde geimpft.

So blieb es bei einer Feier im kleinen Rahmen ohne Partner, Partnerinnen und Enkelkinder. Sie erhielt dafür ihr Lieblingsgericht, gebratene Schnitzel von der Kalbsleber, eine Speise, welche die meisten der jüngeren Generation ohnehin nicht goutiert hätten. Im anschliessenden Kartenspiel – einer vereinfachten Form von Bridge – schlug sie uns Kinder eins ums andere Mal. Von Herzen gönnten wir ihr auch dieses stille Vergnügen.

Annelise Alder

Nachrichten zu Fokus »