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Freundschaften im Familienmodus sind bisweilen eine Zumutung

Theoretisch weiss mans ja. Stillt eine junge Mutter noch, befindet sich ihr Hirn in einer Art Dauerberieselung der Hormone und wird dadurch ... wie sage ich das jetzt einigermassen erträglich? Na sie wissen schon. Ausnahmezustand.

Sabine Kronenberg

Sabine Kronenberg

Lässt sich nicht verallgemeinern und hat immer mit dem Individuum und seinem Charakter zu tun. Wie das mit den Essiggurken und der Schokolade. Mampft auch nicht jede Schwangere. Und Heisshunger haben auch nicht alle. Trotzdem theoretisch ist bekannt, dass Hormone was mit den jungen Familien machen. Mutter-und-Kind-Symbiose. Der Vater klinkt sich meistens auch hormonell ein. Da wird viel Bindungshormon ausgeschüttet. Schön. Und nicht immer gesellschaftsfähig. Erwarte ich aber auch nicht. Schwierig wird es, wenn es junge Familien von sich selber erwarten. Frau hat nicht nur eine Woche nach der Niederkunft einen geilen After-birth-Body, sie schreibt auch gleich noch ihre Memoiren, die wochenlang den Bestseller-Listen voranstehen und sie hat auch ein hochbegabtes Bewegungstalent geboren, das bereits im zarten Alter von zwei Tagen Nietzsche rezitiert. Und auch Ken, der Familienvater, hat einen geilen Body und performt überirdisch. Und wenn es nicht so ist, wird viel gejammert. «Ich wiege noch acht Kilo mehr als vor der Schwangerschaft.» «Ich bin übermüdet.» «Das Kind trinkt nicht.» «Das Kind schläft nicht.» «Wir schlafen nicht.» Was denken sich solche Menschen eigentlich? Ach, ich habe es vergessen, sie sind ja Generation Z und die erwarten das Maximum ohne Gegenleistung. Wie ging der Jingle noch? «Weil ich es mir wert bin.» – Jetzt aber. Zurück zu unserem Vorfall. Wir machen es gern so: Wir pflegen unsere generationenübergreifenden Freundschaften. Und dann wird es bei manchen plötzlich irgendwie ganz eng. Eng, zu eng mit manchen Menschen. Sie kommen in den Familien-Modus und nehmen das zum Anlass, übergriffig mit sich und anderen zu werden. Jetzt endlich! Da haben wir den Vorwand. Will meinen: Da haben wir den Salat! Einen Beziehungssalat. Ja, ich kenne es, wir kennen es. Es wird anders, auch zu dritt. Ein Balanceakt, sich nicht selber, sich als Paar und sich mit dem Kind nicht komplett zu verlieren. Sich mal abzugrenzen und auch ausklinken. Auch mit Freunden. Mal Abstand nehmen und sich fragen, was man da eigentlich macht. Und, ob das wirklich immer alles über jeden Zweifel erhaben ist.

Aber eben. So viele Menschen, wie es gibt, so viele verschiedene Arten Bewältigungsstrategien gibt es. Und die ganz arg verunsicherten, sind manchmal (zu oft, leider) diejenigen, die sich am lautesten einmischen. So wie gestern eben. Da hat sich in unserem Freundeskreis ein (aus meiner Sicht mickriges) Problemchen ergeben. Die Männer wollten ein Weekend für sich machen. Und eine Frau (die frischgebackene Mama eben) kniete den Herren auf die Seele, stieg ihnen aufs Dach und wollte partout dabei sein. Schlimmer noch, sie entschied, was wann wie laufen sollte. Na, irgendwann hat sich dann mal einer getraut, ihr zu sagen, dass sie ähm, ehem, sorrygäu, was unter Gielen machen möchten. Eben mal ohne Frauen und Kids. Und da lief das ganz grosse Theater ab. Es hagelte sechsminütige Sprachnachrichten, in welchen die Frau – in einer Whatsapp-Gruppe notabene, also sozusagen halböffentlich – weinte, jammerte, manipulierte, urteilte, intime Details über ihr Familien- und Beziehungsleben mitteilte, die alle nichts zur Sache taten. Soweit so gut. Menschsein ist ja wirklich manchmal der ganz normale Wahnsinn. Aber eben. Auch nach zwei Tagen folgten Vorwürfe über Vorwürfe. Sie gründete eigens Gruppen, um ihre Sprachnachrichten mit bitteren Vorwürfen zu verbreiten und Leute mit viel Pathos der Lüge zu bezichtigen. Da haben sich Freundschaften zerrüttet. Schade. Glücklicherweise kenne und schätze ich ältere Menschen und habe ein paar gute Freunde darunter. Die bleiben dann immer ganz gelassen, wenn man ratlos von solchen Soap-Opera-Szenen erzählt. Und sagen so wohltuende Dinge wie: «Ach, die Brutpflege. Hat bei uns auch eine Freundschaftsflurbereinigung gegeben. Manche verändert Familie-Werden, das hält niemand aus. Bleiben lassen. Abwarten. Bei ganz schlimmen Partnerinnen und Partnern, gibt es dann Scheidungen, wenn die lieben Kleinen aus dem Gröbsten raus sind. Dann kannst Du die Freundschaft wieder aufnehmen.» Na denn. Sag ich meinem Holden. Vielleicht gibt es noch Hoffnung für den einen best buddy.

Stichwörter: Neulich, Kolumne

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