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Das Büro der Zukunft?

Für die Probleme im Grossraumbüro gibt es kaum Lösungen

Das Büro der Zukunft? Die Arbeit im Grossraumbüro ohne fixen Arbeitsplatz ist für viele bereits Realität. Die Öffnung der Büroräume ist jedoch mit zahlreichen Problemen verbunden. Arbeitnehmer tun gut daran, sich mehr am Wert ihrer Arbeit und weniger über ihren Arbeitsplatz zu definieren.

Alptraum Grossraumbüro: Doch ganz so eng ist es dann doch schon nicht. Bürokonzepte wie «Multispace» sehen heute entschieden anders aus. zvg

von Benjamin Bitoun

Das Büro, der Ort, an dem ein Grossteil der Schweizer Berufstätigen ihrer Arbeit nachgeht, verändert sich: Wenn Unternehmen neue Firmensitze beziehen, dann nützen sie den Umzug meist als Gelegenheit, sich neue Raum- und Arbeitskonzepte zu verpassen. Die Tendenz ist eindeutig: Grossraumbüros, unterteilt in Arbeits-, Rede- und Ruhezonen, haben die Zellenstruktur mit Einzelbüros abgelöst. Gearbeitet wird im sogenannten Multispace, vielerorts bereits ohne festen Arbeitsplatz und zeitlich flexibel. Und selbst wenn Ökonomen in regelmässigen Abständen immer neue Arbeitsformen zum Modell der Zukunft erklären, sind sich die Experten doch in einem Punkt einig: Mit einer generellen Rückkehr zum Einzelbüro ist nicht mehr zu rechnen.

Dafür gibt es drei Gründe: Erstens wird der durch Platzmangel und steigende Immobilienpreise entstandene Kostendruck in Zukunft weiter steigen. Durch den Wechsel hin zu Grossraumbüros mit Arbeitsstrategien wie Desk- sharing oder Homeoffice können Unternehmen die Büroausgaben senken.

Zweitens: «Die neue Architektur widerspiegelt neue Führungs- und Kooperationskonzepte», sagt Norbert Thom, emeritierter Professor für Organisation und Personal der Universität Bern. «Diese beruhen auf offener Kommunikation, auf starker Mitbestimmung, funktionsbereichsübergreifendem Kooperieren, auf mehr Selbstbestimmung, Vertrauen und Flexibilität.»

Drittens wurde die Entwicklung durch den technologischen Fortschritt überhaupt erst möglich: Mobilität und Digitalisierung erlauben es Mitarbeitern, stets und von überall auf die zur Arbeit nötigen Daten und Informationen zuzugreifen. Das Büro verliert dadurch an Bedeutung.

Mit dem Wechsel hin zu offenen, multifunktionellen Bürolandschaften werden die Mitarbeiter indes mit neuen Problemen konfrontiert.

Problem Nr. 1: Der Lärm

Ein Mitarbeiter brütet konzentriert über einem Konzept, am Schreibtisch gegenüber klingelt das Telefon, zwei Kollegen diskutieren im Korridor, am anderen Ende des Raums brüllt der Kollege mit der besonders tragenden Stimme in den Hörer - solche Szenen gehören im Grossraumbüro zum Alltag. Kaum erstaunlich, dass Lärm bei Mitarbeiterbefragungen immer auf dem ersten Platz der Ärgernisse rangiert. Das hat Folgen für die Arbeit: «Das Zuhören im lauten Grossraumbüro kann zur Qual werden», oder: «Meine Effizienz ist völlig zusammengebrochen», sagen etwa Mitarbeiter der BLS und der Mobiliar-Versicherung.

Nicht genug, dass sich Lärm negativ auf die Effizienz auswirkt, er kann auch krank machen: Eine von der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz in Auftrag gegebene Studie zu Büroräumen kommt zum Schluss, dass sich Lärm in einer höheren Konzentration von Stresshormonen im Körper niederschlägt. Ein Lösungsansatz des Problems liegt in der Gestaltung des Bürolayouts: «Es muss unbedingt genügend Rückzugsräume für konzentriertes Arbeiten enthalten», sagt Norbert Thom. Zwar seien Begegnungsräume vorteilhaft für die Kommunikation und für kreative Ideen. Rückzugsräume jedoch würden wie zuvor das Einzelbüro das Bedürfnis nach ruhigem und konzentriertem Arbeiten erfüllen.

Weiter versuchen Unternehmen, dem Lärm mit schallschluckenden Büroelementen beizukommen. Die SBB etwa schirmen ihre Schreibtische zum Gang hin mit hohen Trennwänden ab.

Wo Möbel allein nicht reichen, kann eine Hausordnung Abhilfe schaffen. Eine solche kann etwa enthalten, dass man sich, wie in gewissen Verwaltungsgebäuden üblich, zum Telefonieren in einen geschlossenen Raum zurückzieht und am Arbeitsplatz nur in gedämpftem Ton spricht.

Problem Nr. 2: Individualität

Mit Desksharing geht die Individualität am Arbeitsplatz verloren. Gemäss Studien verletzt es einerseits das Bedürfnis des Menschen, sich von anderen zu unterscheiden, und andererseits dessen Bedürfnis nach Territorialität. Letzteres ist jedoch wichtig, denn ein Territorium ermöglicht Ordnung, Stabilität und Planung. «Auch in früheren Grossraumbüros wurde die Individualität unterdrückt. Doch subversiv holte sich mancher Angestellte eine persönliche Note in Form eines Familienfotos oder einer Pflanze auch in dieses Umfeld zurück», sagt Norbert Thom.

Der Widerspruch zwischen der Arbeitsform und der menschlichen Natur scheint gross. Dennoch bleibt Büroangestellten nichts anderes übrig, als sich mit Desksharing anzufreunden - zu laut ertönt allerorts der Ruf nach Kosteneffizienz.

Problem Nr. 3: Für wen gilt es?

Dennoch sind auch die Arbeitgeber bei der Umsetzung von Desksharing gefragt - und sogar doppelt: Denn einerseits reagieren Mitarbeiter sensibel, wenn das Prinzip des geteilten Arbeitsplatzes nicht auf alle Hierarchiestufen gleich angewandt wird. Andererseits macht Desksharing bei gewissen Tätigkeiten schlicht keinen Sinn. «Man muss differenzieren», sagt Norbert Thom. «Die Arbeit ist nicht homogen, und die Menschen sind es noch weniger. Deshalb müssen Konstellationen ermöglicht werden, welche der Individualität des Menschen und der Besonderheit von Arbeitsprozessen gerecht werden.» So würden sich manche Chefs zwar gerne modern geben und auf das eigene Büro verzichten. Dafür besässen sie aber jederzeit auf alle Räume Priorität und ihre Assistenten einen fixen Arbeitsplatz. «Daran sieht man deutlich, dass Desksharing nicht überall Sinn macht», so Thom.

Problem Nr. 4: Privatsphäre

Mit der Öffnung der Büroräume ist die Privatsphäre geringer, die Kontrolle durch die Vorgesetzten sowie die soziale Kontrolle durch die Kollegen hingegen grösser geworden. «Die Forderung nach totaler Sichtbarkeit und Transparenz ist problematisch und kann die Mitarbeitenden überfordern», beurteilt Norbert Thom. Vonseiten des Unternehmens wird der Verlust in Kauf genommen, da es sich von der Nähe der Mitarbeiter mehr Kommunikation und dadurch einen besseren Wissensaustausch erhofft.

Problem Nr. 5: Ausgrenzung

Begünstigt ein Grossraumbüro mit freier Platzwahl soziale Ausgrenzung? Was paradox erscheint, gehört im Zeitalter des Desksharings zum Büroalltag. «Trotz freier Wahl hat nach kurzer Zeit jeder seinen festen Sitzplatz», schreibt ein Mitarbeiter der Swisscom. Wohl aus reiner Gewohnheit. Zudem zeige sich bei der Wahl des Arbeitsplatzes, dass unbeliebtere Kollegen bewusst gemieden würden. Und nicht nur die freie Platzwahl im Büro, sondern auch die Arbeit von zu Hause aus kann zu Ausgrenzung führen: «Das Homeoffice hat Vorteile bei der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben», sagt Experte Norbert Thom. «Es kann aber auch Isolation vom Informationsfluss im Unternehmen mit sich bringen.» Wie bei den anderen Problemen der neuen Arbeitswelt gilt auch hierfür: Die Problemlösung lastet weitgehend auf den Schultern des einzelnen Arbeitnehmers. Er wird sich künftig noch stärker am Wert seiner Arbeit und weniger über den Arbeitsplatz definieren und sich letztlich mit den Problemen arrangieren müssen.

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Die wichtigsten Begriffe 

Die Entwickler der neuen Bürolandschaften kreieren laufend neue Begriffe. Hier ein Überblick: 

Grossraumbüro: ein Arbeitsraum, in dem mehrere Dutzend Arbeitsplätze angeordnet sind. Die Arbeitsplätze sind bei gewissen Unternehmen durch Trennwände abgetrennt. In der Urform des Grossraumbüros hatte jeder Angestellte seinen eigenen Arbeitsplatz. Im Vergleich zu Einzelbüros sinkt der Flächenbedarf um rund 40 Prozent. 

Desksharing: Dieser Begriff bedeutet auf Deutsch Pultteilen. Dies heisst, dass ein Teil der Mitarbeiter oder auch alle keinen festen Arbeitsplatz mehr haben. Solche Modelle sind bei Unternehmen beliebt, die einen hohen Anteil an Teilzeitmitarbeitern haben. So können sie die Pulte besser auslasten. Müssen nicht alle Mitarbeiter ihr Pult teilen, besteht  die Gefahr einer Zweiklassengesellschaft. Und zwar von Mitarbeitern mit einem festen Arbeitsplatz und solchen, die ihr Pult teilen müssen. 

Clean-desk-policy: Dieser Begriff bedeutet, dass in einem Unternehmen der Grundsatz gilt, gemäss welchem jeder Mitarbeiter am Abend sein Pult leer räumt und putzt. Diese Regel gilt in Firmen, bei denen kein Mitarbeiter mehr sein eigenes Pult hat. Die Post und die SBB haben diese Regelung an ihren neuen Hauptsitzen eingeführt. sny

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Schöne, neue Bürowelt

Staatsunternehmen wie die Post oder die SBB haben in diesem Jahr ihre neuen Hauptsitze bezogen und sich dabei gleich neue Büromodelle verpasst. Das sind die wichtigsten Punkte. 
 
Er gilt als das Nonplusultra unter den Schweizer Bürogebäuden, der neue Hauptsitz der Schweizerischen Post im Berner Quartier Wankdorf-City. Formenreich, im Innern architektonisch verspielt, erinnert das 185 Millionen Franken teure Gebäude an das Hauptquartier eines amerikanischen Internetgiganten. Tatsächlich hängt über den Etagen des siebenstöckigen Gebäudes ein Hauch von Google in der Luft: farbige Sitzecken, Ruheräume, Bibliotheken und Café-Lounges durchsetzen die in Weiss gehaltenen Büroräumlichkeiten. Ob Massageraum oder Familienzimmer, in dem man arbeiten und der eigene Nachwuchs spielen kann, falls es mit der Kinderbetreuung einmal nicht geklappt hat: Beides ist vorhanden. 
Geteilte Bürotische
«Die 30 000 Quadratmeter grosse Bürofläche ist in drei Zonen konzipiert: in Konzentrations-, Interaktions- und Regenerationszonen», sagt Yves-André Jeandupeux, Mitglied der Konzernleitung und Leiter Personal. Für konzentriertes Arbeiten stünden den 1920 Mitarbeitenden 1650 Arbeitsplätze zur Verfügung – ergibt 85 pro 100 Angestellte. Dazu kämen 100 verglaste Zimmer – Aquarien genannt – für diejenigen, welche für ihre Tätigkeiten mehr Ruhe oder Privatsphäre benötigten. 
Kern des neuen Bürokonzepts ist das sogenannte Desksharing. Bedeutet: Keiner der Angestellten besitzt mehr einen festen Arbeitsplatz, selbst die Konzernleitung nicht. Um sich nicht gänzlich aus den Augen zu verlieren, sitzen Mitarbeiter lediglich teamweise in sogenannten Homebases zusammen. «Die Angestellten deponieren Ordner und Persönliches in einem abschliessbaren Schrank und suchen sich den Arbeitsplatz aus, der ihrer aktuellen Tätigkeit am besten entspricht», sagt Personalleiter Jeandupeux.   
Ein weiterer Vorteil des Desksharing ist aus Sicht der Post die effizientere Ausnutzung der Bürofläche: «Die meisten unserer Angestellten arbeiten heute zeitlich und räumlich flexibel, Teilzeitarbeit und Home Office sind weitverbreitet und werden von der Post bewusst gefördert»,  so  Jeandupeux. Dadurch würden weniger Schreibtische benötigt. Diese könnten sogar noch intensiver genutzt werden als aktuell: Jeandupeux hält eine Desksharing-Rate von bis zu 70 Prozent – also 70 Arbeitsplätze pro 100 Angestellte – für möglich.  Ähnlich tönt es bei der Nachbarin der Post in der Wankdorf-City: den SBB. Diese setzen am neuen Hauptsitz ebenfalls auf geteilte Arbeitsplätze und sehen bei deren Belegungsrate auch noch Luft nach oben (siehe Text unten auf der Seite 2). 
Das papierlose Büro
Die Post setzt am Hauptsitz noch eine weitere Neuerung um, die nicht bei allen gut ankommt: «Die Auflösung der festen Arbeitsplätze ist eng verknüpft mit der Strategie des papierlosen Büros», sagt Yves-André Jeandupeux. Gearbeitet werde noch stärker am Bildschirm, etwa über die interne Plattform Post Connect. Darauf könnten Mitarbeiter Projekte eröffnen sowie Dokumente, Wissen und Informationen teilen. Um zu erreichen, dass die Mitarbeiter sich an die Papierlos-Strategie halten, setzt die Post auf die Bequemlichkeit des Menschen: Keiner der Arbeitsplätze verfügt über einen Drucker oder einen Papierkorb. Wer etwas ausdrucken will, muss dafür jedes Mal einen der Serviceräume aufsuchen. 
Mit der «Clean Desk Policy» hat die Post zudem gleich noch eine weitere erzieherische Massnahme eingeführt. Heisst: Am Abend muss der jeweilige Schreibtisch nicht nur leer geräumt, sondern auch noch selbst geputzt werden. Entsprechende Sprays und Lappen liegen in Serviceräumen bereit. Benjamin Bitoun

 

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