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Alt und Jung

Google ist mein bester Freund

Wer, würden Sie sagen, kennt Sie am besten? Vielleicht der beste Freund oder die beste Freundin? Die Eltern oder eines der Geschwister? Oder vielleicht doch der Lebenspartner oder die Ex-Freundin?

Luca Brawand
Egal wie gut diese Menschen Sie kennen, jemand kennt Sie garantiert besser: Google. 
 
Während wir auf der Arbeit, in der Schule oder auf einer Party in eine bestimmte Rolle schlüpfen, gibt uns das engste Umfeld das Gefühl, komplett sich selbst sein zu können. Keine Maskerade, welche die wahren Gefühle verdeckt und keine Glaswand, die als Schutzwall für unsere echten Gedanken dient. Doch so nah man sich auch sein mag, einen Schutzwall gibt es immer – und sei er auch nur so dünn wie ein Stück Frischhaltefolie. 
 
Bei unserem besten Freund Google gibt es das aber nicht. Poste ich etwas auf Facebook oder Instagram, fühlt sich das an, als würde ich auf dem Bahnhofplatz stehen und ein grosses Schild hochhalten. Suche ich hingegen etwas auf Google, hat es eher die Atmosphäre von halbnackt zuhause herumlaufen. Und je weniger wir uns beobachtet fühlen, und uns sozialen Normen unterordnen müssen, desto ehrlicher sind wir. 
 
Aber was weiss Google denn wirklich über uns? Gehe ich auf meine Einstellungen für personalisierte Werbung (adsettings.google.com), werden mir 174 Kategorien angezeigt, die mich beschreiben sollen. Obschon ich nicht weiss, was ich mit Baseball, Haustiernahrung oder Blumen am Hut haben soll, trifft das meiste doch sehr exakt auf mich zu, oder ich kann mir zumindest erklären, wie es in diese Auflistung gelangt ist. Zudem schätzt Google sowohl mein Geschlecht wie auch mein Alter, meinen Beziehungsstatus, meinen Bildungsgrad und Wohneigentumsstatus richtig ein. Was hier gezeigt wird, ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs an über Jahren und Jahrzehnten gesammelter Daten. Dennoch gibt es uns zumindest eine kleine Übersicht darüber, was die Datenriesen alles über uns wissen und wie sie uns einschätzen. 
 
Doch Google ist längst nicht das einzige Unternehmen, das Big Data sammelt. So konnte der amerikanische Discounter Target beispielsweise bereits 2012 anhand des Kaufverhaltens einer Kundin deren Schwangerschaft voraussagen, bevor sie es selbst wusste. Ihr Vater beklagte sich beim Kundendienst, wieso seine Teenagertochter Werbung für Schwangerschaftsprodukte zugesendet bekomme. Der Schwangerschaftstest gab Target schliesslich recht. 
 
Facebook auf der anderen Seite kann Depressionen allein durch das Analysieren der Sprache diagnostizieren und das Unternehmen Cambridge Analytica wiederum erlangte seine fragwürdige Berühmtheit dadurch, dass es ohne Erlaubnis die Daten von Millionen von Facebook-Nutzerinnen und -Nutzern abgesaugt hat und damit Wahlkämpfe in etlichen Ländern, inklusive dem Präsidentschaftswahlkampf 2016 in den USA, zu manipulieren versuchte. Dieser Skandal hat gezeigt, wie weit der Missbrauch von diesen Daten geht und was man damit alles anstellen kann. 
 
Den meisten Menschen dämmert es mittlerweile, dass die Gratiskultur im Internet eben doch ihren Preis hat – nämlich in Form von Informationen über uns. Und dass die meisten von uns auch bereit sind, diesen Preis zu zahlen. Oder würden Sie zehn Franken pro Monat für ihren Social Media Account ausgeben? 
 
Mittlerweile hat der Wind aber gedreht. Wo Nachfrage ist, gibt es bekanntlich ziemlich schnell auch ein Angebot. Apple beispielsweise hat sich die Privatsphäre nun gross auf die Fahne geschrieben. So kann man auf iPhones seit diesem Jahr das «tracken» der eigenen Aktivität auf Apps und Seiten für Werbezwecke verbieten. Dass dies keine ritterliche Geste eines grossen Tech-Unternehmens ist, das zufälligerweise den Vorteil besitzt, nicht in der Werbeindustrie tätig zu sein (im Vergleich zu Facebook und Google), versteht sich von selbst – ein Schritt in die richtige Richtung ist es dennoch.
 
Natürlich macht es auch keinen Sinn, wieder dieselben verstaubten orwellschen Dystopien auszupacken und den Teufel an die Wand zu malen. Ich persönlich gebe lieber meine Daten der Werbeindustrie, die mir dann irgendwelche T-Shirts andrehen will, die ich nicht kaufe, als einem totalitären Staat wie dies in China der Fall ist. Dennoch sind wir mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem das Internet nichts Neues und somit auch nicht mehr der rechtsfreie Wilde Westen ist. Und wir Nutzerinnen und Nutzer sollten mitbestimmen können, wie weit das alles gehen soll und in welche Hände die Daten gelangen dürfen. 
 
Mit dem Cookies akzeptieren ist es sicherlich noch nicht gelöst, aber ein Umdenken ist zumindest in vollem Gange. Wie das Internet der Zukunft genau aussieht, weiss jedoch noch niemand so richtig und das gilt es nun zusammen herauszufinden. Falls wir gar keine Antworten auf unsere Fragen finden, können wir ja immer noch Google fragen. 

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