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en famille

Gut gemeint ist nicht immer gut

Was war ich entzückt, als ich auf eine Anzeige für eine Ballettaufführung von Tschaikowskys «Schwanensee» stiess.

Bild: Theresia Mühlemann
, Vierfachmama

Theresia Mühlemann
, Vierfachmama

Wenn das nicht die Gelegenheit wäre, meinen beiden Balletttänzerinnen zu Hause einen unvergesslichen Abend zu bescheren! Ich legte drei Billette in den Warenkorb. Sicherlich war es etwas teurer als ein Kinonachmittag, aber dafür eine wertvolle Investition in den Erinnerungsschatz und vielleicht auch in die nachhaltige Motivation für den Ballettunterricht. Ich weiss noch, wie ich dachte: «Gut, Freitag um 20 Uhr ist nicht ideal, aber das wird schon gehen.»

Die Mädels hüpften vor Freude, als ich ihnen erzählte, was wir drei Schönes vorhatten. Damit sie das Gehüpfe auf der Bühne dann auch interpretieren konnten, und es für sie so etwas kurzweiliger werden würde, kauften wir bereits Wochen vorher ein Bilderbuch mit Musik-CD zum Schwanensee, die dann bei uns in Dauerschlaufe lief. Am besagten Freitagabend lief dann anfangs alles gut, die Tütüs meiner Mädchen, die sie über ihre Jeans angezogen hatten, glitzerten, und ihre Augen strahlten, als sie das Theater betraten. Ich war erleichtert, dass es noch ein paar andere Kinder in ihrem Alter hatte. Die Aufführung startete mit 20 Minuten Verspätung. Meine Kleine gähnte zum ersten Mal, und mir schwante etwas.

Die Posaunenmusik vermochte kurzfristig ihre Müdigkeit etwas wegzublasen, und sie verfolgte gespannt den Ouvertüren-Tanz auf der Bühne. Und den nächsten, und übernächsten. Nach einer Dreiviertelstunde rief sie empört aus, es sei doch mal Zeit für das nächste Bühnenbild, auf der CD sei das nicht so lange gegangen. Hinter uns machte jemand wütend «Schschsch!», und da war dieser Moment, in dem ich endgültig wusste, das meine tolle Idee eine Schnapsidee gewesen war, dass alle gute Absicht nicht reicht, wenn ein Plan nicht in letzter Konsequenz zu Ende gedacht wurde.

Ich betrachtete mein müdes Kind, das mit dem Schlaf rang, während die grosse Schwester gebannt zur Bühne blickte, und gestand mir meine Niederlage ein. Die Kleine kletterte auf meinen Schoss, ich wog sie, die Dunkelheit und die klassische Musik taten das ihrige dazu. Und so schlief meine Jüngste selig den dritten und vierten Akt durch. Zum ersten Mal an diesem Abend war ich richtig entspannt. Und ich sammelte Kraft für den fünften Akt. Dann, wenn der Vorhang sich geschlossen hatte, der Beifall abgeebbt und die Lichter angegangen waren, würde mein Kind nämlich in der Tiefschlafphase sein. So war es dann auch. Ich legte das schlafende Kind auf den Nadelfilzteppich, steckte die schlaffen Ärmchen in die Winterjacke, was mich an das komplizierte Einkleiden eines Neugeborenen erinnerte. Und dann trug ich die herzigen 20 Kilo, schwankend und schwer atmend, heroisch wie es nur eine Mama kann, ohne Rücksicht auf Ergonomie oder den Beckenboden, ins nächste Taxi, wo ich mir schwor, mit dem nächsten Ausgang noch etwas zu warten.

Info: Theresia Mühlemann (39) ist freie 
Autorin und Yogalehrerin. Sie schreibt 
regelmässig für den Regionalteil des BT. 
Im Wechsel mit Parzival Meister berichtet sie an dieser Stelle über ihren Familien-
alltag mit vier Kindern im Alter von 5 bis 
13 Jahren.


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