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Raumfahrt

Houston, es schmeckt nicht

Obwohl mittlerweile Sterneköche an der Zubereitung beteiligt sind, tüfteln Ernährungsforscher nach wie vor am optimalen Mahl für den Weltraum.

Astronauten essen grundsätzlich zu wenig: Der Amerikaner Kjell Lindgren hantiert in der Schwerelosigkeit mit frischen Früchten für die ISS. Bild: zvg/Nasa

Alexander Stirn

Püriertes Fleisch und Schokoladensauce – der Start ins Raumfahrtzeitalter war keine kulinarische Offenbarung. Zuerst musste sich der sowjetische Pilot Juri Gagarin eine Pampe aus Rindfleisch und Leber, serviert in einer Art Zahnpastatube, in den Mund pressen, als er 1961 den ersten bemannten Raumflug der Geschichte absolvierte. Anschliessend gab es zähflüssige Schokolade, ebenfalls aus der Tube.

Mehr als 50 Jahre später lässt sich kein Raumfahrer mehr mit Tubenfrass in eine Kapsel locken. Lasagne, Käsechnöpfli und Crevettencocktail stehen heutzutage auf dem Speiseplan. Schliesslich soll Astronautennahrung nicht nur satt machen, sie muss die Raumfahrer – insbesondere auf längeren Missionen – auch bei Laune halten. So bekommen sie heute zwar schönes Essen vorgesetzt, das in Konsistenz und Zubereitung irdischem Essen ähnelt. Ob sie das auch mit den nötigen Nährstoffen und einem ausreichenden Brennwert versorgt und vor allem dem Abbau des Körpers im All entgegenwirkt, ist bisher aber noch weitgehend unerforscht. «Früher hat man der Nährstoffzufuhr im All nicht besonders viel Bedeutung zugemessen», sagt Martina Heer, Ernährungswissenschaftlerin an der Universität Bonn. «Das Thema wird aber umso wichtiger, je mehr wir über Langzeitflüge nachdenken.» Wirklich vorbereitet auf die Missionen der Zukunft scheinen nur die Lebensmitteltechnologen zu sein: Essen im All sieht heute ganz ähnlich aus wie Essen am Boden. Es kommt in Beuteln oder Dosen. Es wird gelöffelt oder mit Messer und Gabel vertilgt.

 

Haltbarkeit gesteigert
Das Haltbarkeitsdatum ist allerdings anders: Abgesehen von frischem Obst, das von Zeit zu Zeit zur Internationalen Raumstation (ISS) geflogen wird, müssen alle Speisen auf dem orbitalen Aussenposten mindestens ein Jahr lang geniessbar bleiben. Die Amerikaner haben ihre Lebensmittel in der Vergangenheit gefriergetrocknet. Die gekochten Menüs werden dazu schockgefroren, ins Vakuum gepackt und darin langsam wieder aufgetaut. Eiskristalle – und mit ihnen das Wasser – verflüchtigen sich, nur Öle und andere Geschmacksträger bleiben zurück. Für den Verzehr müssen die Speisen wieder befeuchtet werden. Da Wasser auf der ISS allerdings Mangelware ist, ist ein anderes Verfahren in den Fokus gerückt: die Thermostabilisierung. Hitze, Elektronen- oder Gammastrahlen töten dabei Bakterien, Mikroorganismen und Enzyme; die Lebensmittel verderben langsamer.

 

Verlust an Muskelmasse
Welche Methode ist besser? Macht das aus ernährungsphysiologischer Sicht überhaupt einen Unterschied? Eher nicht, sagt Martina Heer, «hundertprozentig sicher ist das allerdings nicht». Auch dafür brauche es noch mehr Forschung. Heers Hauptinteresse liegt derzeit noch auf einem ganz anderen Problem: Viele Astronauten essen im All zu wenig und verlieren deshalb Muskelmasse. Da Knochen und Muskeln in der Schwerelosigkeit mangels Belastung ohnehin abbauen, ist das doppelt gefährlich. «Diese Kombination sollte man unbedingt vermeiden», sagt Heer.

Noch weiss die Wissenschaft allerdings nicht, warum Raumfahrer beim Essen im All zurückhaltend sind. Es gibt lediglich anekdotenhafte Äusserungen. «Oft bekommen wir zu hören: ‹Ich bin im All schneller gesättigt›», erzählt Heer, die die Astronauten der European Space Agency (ESA) ernährungsphysiologisch betreut. Womöglich wandern innere Organe durch die mangelnde Schwerkraft in Richtung der oberen Körperhälfte und verändern das Völlegefühl. Letzteres ist aber eine reine Hypothese. Mit Lebensmitteln, in denen Kohlenhydrate oder Eiweisse durch Fett ersetzt werden, das eine doppelt so hohe Energiedichte besitzt, versuchen Physiologen die Sättigung auszutricksen.

Weit gravierender ist ein anderes Problem. Es lautet unter Raumfahrern: Houston, uns schmeckts nicht. Fad sei das Essen im All, klagen viele Astronauten. Alles schmecke gleich. Was den Geruchs- und Geschmackssinn im Orbit durcheinanderbringt, ist derzeit noch unklar. Sicher ist nur, dass Körperflüssigkeiten durch die fehlende Schwerkraft in den Oberkörper gedrückt werden. Die Nase schwillt zu, was – ähnlich einem Schnupfen – Geschmackssinn und Appetit beeinträchtigen könnte. Experimente mit irdischen Probanden, die wochenlang in einem Bett bleiben mussten, dessen Kopfende leicht nach unten geneigt war, und denen das Wasser ebenfalls zu Kopf stieg, zeigten aber keinen gestörten Geschmackssinn.

Schlimmer noch: Es gibt keine einfache Lösung für das Geschmacksproblem. Mehr Salz scheidet aus. Das in Kochsalz enthaltene Natrium verstärkt den Knochenabbau. Vor einigen Jahren hat die US-Raumfahrtbehörde Nasa Astronauten daher ausdrücklich auf eine salzarme Diät gesetzt. Schliesslich soll die Ernährung nicht nur ausreichend, sondern auch ausgewogen sein. Auf der ISS gibt es für westliche Astronauten ein Standardmenü, das sich alle neun Tage wiederholt. Um etwas Abwechslung hineinzubringen, verfügt jeder Astronaut zudem über einen Container voller Lieblingsspeisen, mit denen er ab und zu das offizielle Essen ersetzen kann. Ein weiterer Container enthält Delikatessen, die für jeden Raumfahrer individuell entworfen worden sind.

 

Ernährungsoptimum per App
Für Ernährungsphysiologen, die am liebsten kontrollierte Bedingungen hätten, um ihre Wissenslücken endlich zu schliessen, ist das ein logistischer Albtraum. Seit kurzem nutzen die ESA-Astronauten daher eine App auf ihren Tablet-Computern, mit der sie alle Speisen scannen können, die sie im Laufe eines Tages zu sich nehmen. Das Programm kennt den Energiegehalt jedes Lebensmittels, aber auch die Menge an Eiweiss und Fett, an Kalzium, Natrium, Magnesium und Eisen. Am Abend sieht der Astronaut, was er insgesamt zu sich genommen hat – und wie dies zu der Diät passt, die ihm Weltraummediziner zuvor verordnet haben. Lediglich eine Woche lang sollte der französische ESA-Astronaut Thomas Pesquet die App im vergangenen Jahr testen. Am Ende seines sechsmonatigen ISS-Aufenthalts hatte er 1200 Lebensmittel gescannt. «Die App hat mir geholfen, bewusster auf mein Essen zu achten», sagt Pesquet. Und nicht nur ihm: Physiologen am Boden können dank des Programms sehen, was Astronauten zu sich nehmen, woran es ihnen mangelt und welche Tipps gegeben werden sollten.

Essen im All hat aber auch eine wichtige Wohlfühlkomponente. Wenn man sich, wie es der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst formuliert, auf der riesigen ISS «den ganzen Tag nicht über den Weg schwebt», wird das gemeinsame Abendessen zum sozialen Höhepunkt. Manchmal, so ist zu hören, geht das allerdings auch schief: Für seinen ersten Raumflug hatte sich Gerst unter anderem Käsechnöpfli kochen lassen. Sie waren – wohl in alter Raumfahrttradition – keine kulinarische Offenbarung.

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Nahrungsmittel auf der ISS

Die Astronauten der Internationalen Raumstation (ISS) können ihren Menüplan im Voraus aus einer Liste von Mahlzeiten auswählen, dem sogenannten ISS-Standard-Menü. Ein typischer täglicher Menüplan:

Morgenessen:

  • Rührei (gefriergetrocknet)
  • Cornflakes (gefriergetrocknet)
  • Äpfel mit Zimt (thermostabilisiert)

Mittagessen:

  • Rindsragout mit Pilzen (bestrahlt)
  • Reis (gefriergetrocknet)
  • Tomaten und Artischocken 
 (gefriergetrocknet)
  • Fladenbrot (natürliche Form)
  • Brownies (natürliche Form)

Abendessen:

  • Langusten-Etouffe (thermostabilisiert)
  • Rinds-Fajitas (gefriergetrocknet)
  • Tortillas (natürliche Form)
  • Schokoladenpudding (thermostabilisiert)

Getränke und Snacks:

  • Crackers (natürliche Form)
  • Wasser
  • Kaffee
  • Aromatisierte Getränke mma
Stichwörter: Nasa, Weltraum, Nahrung, Forscher

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