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Titelgeschichte

«Ich wusste, dass ich das kann»

Heute moderiert Katja Stauber zum letzten Mal die «Tagesschau». Danach wechselt sie als Produzentin in den Hintergrund der News-Sendung, der das Coronavirus rekordhohe Einschaltquoten beschert. Journalistin geworden ist sie einst wegen Grace Kelly.

Katja Stauber steht heute Abend nach 28 Jahren zum letzten Mal bei der «Tagesschau» vor der Kamera. Bild: zvg/srf

Interview:Reinhold Hönle

Katja Stauber, Sie haben wegen Corona die wohl besten Quoten in Ihren 28 Jahren bei der «Tagesschau». Welche Gefühle weckt das bei Ihnen?

Katja Stauber: Zunächst hatte ich – wie sicher viele andere Menschen auch – noch gedacht, es handle sich um eine Krise wie BSE, Sars, Vogelgrippe oder Schweinegrippe. Inzwischen ist die Situation ja komplett anders. Nun werden weltweit Länder abgeriegelt, Millionenstädte unter Quarantäne gestellt, der Notstand ausgerufen, Ausgangssperren verhängt und auch bei uns ist das gesamte öffentliche Leben lahmgelegt. Das ist eine einmalige Geschichte. Ich persönlich bin kein ängstlicher Mensch, aber ich verstehe, dass unter älteren Menschen und solchen, die Vorerkrankungen haben, grosse Verunsicherung oder Angst herrschen.

Wie hat sich das Virus auf Ihren Alltag ausgewirkt?

Ich halte mich strikt an die Weisungen des Bundesrates und der Mediziner. Der Bund macht das hervorragend. In meinem Beruf kann ich kein Homeoffice machen, aber ich halte alle Massnahmen ein, um andere Menschen zu schützen. Dabei denke ich nie an mich, sondern – zum Beispiel – an meine Mutter und meine Schwiegermutter. An alle älteren Menschen, die geschützt werden müssen. Und ich habe null Verständnis für all die Uneinsichtigen, welche die Massnahmen noch immer nicht einhalten.

Welches war die letzte erfreuliche Nachricht, die Sie als Tagesschau-Moderatorin vermelden konnten?

Die erfreulichste Nachricht? (Stöhnt) Da fällt mir gar nichts ein. Es hat sicher ab und zu etwas gegeben, was mich gefreut hat. Aber so spontan ...

Vor der Pandemie sagten viele Menschen, sie würden keine Nachrichten mehr schauen, da sie all die Katastrophen, Kriege und Unfälle nur runterziehen würden ...

Ja, das sagten die Leute, aber die Zuschauerzahlen sagen etwas anderes. Schon bevor das Coronavirus zu uns kam, hatten wir so viele Zuschauer wie seit Jahren nicht mehr. In diesen Tagen sind es sogar 1,4 Millionen, das ist Rekord. Die Menschen haben ein – verständlicherweise – grosses Informationsbedürfnis, das wir mit der «Tagesschau» befriedigen, ohne Panik zu verbreiten. Ich verstehe aber auch, dass man manchmal von den vielen Krisen genug hat. Ich vertrage sie auch nicht immer.

Wann nicht?

Wenn ich frei habe, möchte ich auch mal etwas Schönes lesen oder schauen. Als ich mal was gesucht habe, ging ich bei Swisscom TV auf «meistgesehene Filme». Und dort stand «Rosamunde Pilcher» an erster Stelle. Was ich übrigens nie schaue! (Lacht) Trotzdem ist es interessant, wie gross das Bedürfnis nach «heiler Welt» ist. Aber auch nach Krimis: Das Schlechte und Böse muss also auch eine gewisse Anziehung haben.

Wie erklären Sie sich den Erfolg der SRF-«Tagesschau»?

Es hat sicher auch mit dem Virus zu tun, aber vor allem auch mit unserer Seriosität und Verlässlichkeit. Vielleicht haben die Leute, die um halb acht unseren Sender wählen, genug von all dem zermürbenden Kurzfutter, mit dem wir den ganzen Tag hindurch bombardiert werden, und wünschen sich von uns eine Gewichtung und Einordnung. Die Schlagzeilen kennt man schon aus der Pendlerzeitung, dem Bus oder dem Handy, weiss aber sonst noch nichts. Zwar ist auch unsere Zeit beschränkt, aber wir können Ereignisse bewerten und Korrespondenten zuschalten.

Wann haben Sie erkannt, dass Nachrichten Ihre Sache sind?

Nicht so früh. Mit Mitte 20. Ich habe mal eine Sendung gemacht, die «Persona» hiess. Ein Sommerquiz mit Prominenten fürs Schweizer Fernsehen. Der Komiker Otto, damals ein Superstar, war auch darunter. Das war nicht so meins. Ich finde Nachrichten spannender.

Wie interessiert sind Sie sonst an Unterhaltung, Kultur und Sport?

Berufsbedingt interessiert mich alles. Aber ich gehe nicht in Oper, Ballett oder Konzert, da ich abends oft im Einsatz bin. Wenn ich mal pensioniert bin, werde ich das nachholen. Die Royals stehen bei mir schon jetzt hoch im Kurs. (Lacht) Ich finde es faszinierend, wie diese Firmen aufgestellt sind. Das hat mit Geschichte zu tun – und ich hätte ja fast Geschichte studiert. Kürzlich habe ich eine Doku über das schwedische Königshaus gesehen, und das war nach zwei Wochen Flüchtlinge, Putin und Corona endlich wieder mal was Leichtes! (Lächelt und atmet auf)

Sie haben Ihre Laufbahn bei «Radio 24» begonnen. Was haben Sie von Ihrem damaligen Chef Roger Schawinski gelernt?

Ich habe bei ihm viel gelernt. Er hat einem alles abverlangt und war sehr streng. Wenn jemand ein Lied gespielt hatte, dass ihm nicht ins Konzept passte, oder in den Nachrichten etwas sagte, as er überhaupt nicht relevant fand, leuchtete eine rote Lampe. Ich bin vier Jahre durch dieses Stahlbad gegangen.

Ihr Start beim SRF war schwierig. War es dort ein grösserer Nachteil, dass Sie eine attraktive blonde junge Frau waren, als früher bei «Radio 24»?

Das glaube ich schon. Ich galt als Paradiesvogel in der alten «Tagesschau»-Struktur. Das hohe Amt der Schweizer Nachrichtenkultur war sehr hierarchisch, sehr ernst und etwas düster. Früher hat man gesagt, die von der «Tagesschau» gingen zum Lachen in den Keller. Das ist schon länger nicht mehr der Fall! 

Hat das SRF Sie abgeworben oder haben Sie sich beworben?

Chefredaktor Peter Studer hat eines Tages bei «Radio Z» angerufen und mich verlangt. Er erklärte mir, dass er ein blondes Pendant zu Dominique Rub suche, mich im European Business Channel gesehen habe und mich dort super fand. Darauf musste ich Moderationstexte schreiben, um ihn endgültig zu überzeugen. Allerdings war seine Redaktion anderer Meinung …

Weshalb?

Die «Tagesschau»-Kollegen fanden: Sie kommt von den Lokalen, aber wir sind die richtigen Newsmenschen. Sie ist zu jung und kann nichts. Peter Studer hat mir trotzdem eine 100-Prozent-Stelle als Moderatorin und Redakteurin gegeben. Dafür bin ich ihm heute noch sehr dankbar. Das hat mir auch gezeigt, dass man im Leben verdammt viel Glück braucht. Ich war damals einfach der richtige Typ und zur richtigen Zeit frei, weil mir «Radio Z» keine Steine in den Weg legte.

Worauf haben Sie bei Ihren «Tagesschau»-Moderationen besonderen Wert gelegt?

Das habe ich mir gar nicht so genau überlegt. Ich wusste, dass ich das kann. Dieses Selbstbewusstsein hatte ich schon. Von meiner Herkunft und weil ich cool fand, was die gemacht haben, orientierte ich mich mehr an deutschen Vorbildern wie Sabine Christiansen oder Ulrich Wickert. Ich mag das Distanzierte, Sachliche. Es darf auch ein Augenzwinkern haben, aber bei RTL machen sie nach jedem Beitrag eine Bemerkung. Das nervt.

Vor der Kamera wirken Sie souverän und ausgeglichen. Was bringt Sie aus der Ruhe?

In der Zwischenzeit wenig, aber das liegt am Alter. Früher hat mich viel aus der Ruhe gebracht. Das hing sicher damit zusammen, dass ich eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern war. Das ist anstrengend. Wenn mich heute etwas aufregt, überlege ich mir: Regt mich das in einem Jahr noch auf? Oder erinnere ich mich gar nicht mehr daran? Oft ist es ja vollkommen unnötig. Aber manchmal braucht man ein Ventil. Als leidenschaftliche Autofahrerin kann ich mich super aufregen, wenn einer mit 30 auf der Seestrasse vor mir herschleicht!

Wie wütend macht Sie die mangelhafte Gleichberechtigung der Frau?

Ach, wir haben so viel erreicht! Ich bin jemand, der überzeugt ist, dass es gut kommt. Mir ist es weniger wichtig, dass man Schweizerinnen und Schweizer sagt. Schlimm ist, dass Frauen eine miserable Altersvorsorge haben, weil sie wegen ihren Kindern gar nicht oder viel Teilzeit gearbeitet haben.

Stört es Sie, dass bei Ihnen wie bei anderen TV-Moderatorinnen Haare, Kleidung und Älterwerden mehr kommentiert werden als bei männlichen Kollegen?

Nicht mehr. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, da Fernsehen ein Bildmedium ist und es bei den Männern weniger Unterschiede gibt, die zu kommentieren wären. Frauen sind farbiger und abwechslungsreicher gekleidet. Mir gefällt auch nicht alles, was andere tragen.

Bestimmen Sie Ihren Look selbst?

Ja, Shoppen zu gehen ist für mich kein Muss, sondern eine Freude, aber ich habe wenig Zeit. Manchmal muss man auch nachhaltig denken. Früher habe ich viel mehr eingekauft. Seit ein, zwei Jahren halte ich mich zurück. In der «Tagesschau» sind für mich sowieso ein Hosenanzug und klare Linien immer noch das Beste.

Wie hat es Sie eigentlich geprägt, als Tochter einer alleinerziehenden Mutter aufzuwachsen?

Ich war viel von starken Frauen umgeben. Meine Tante hat bei uns gelebt, und die Grossmutter war oft zu Besuch. Meine Mutter, die dann noch ein zweites Mal geheiratet hat, arbeitete ihr Leben lang. Mir wäre es deshalb nie in den Sinn gekommen, meinen Beruf aufzugeben, wenn ich heirate und ein Kind bekomme. Obwohl Anfang der 90er-Jahre die meisten Mütter fünf, sechs Jahre zuhause blieben.

Stimmt es, dass Sie in der Schule ziemlich bequem waren?

Ja, das kann man sagen ... (Schmunzelt)

Aus dem Selbstbewusstsein heraus, es nicht nötig zu haben, sich anzustrengen?

Nein, ich war recht faul und ich habe mich für die Schule einfach nicht interessiert. Ich habe lieber Handball gespielt oder ging in die Badi. In der Pubertät interessiert man sich für noch ganz andere Sachen und findet alles blöd, was man machen muss. Mir widerstrebte es vor allem, Sachen zu lernen, die ich in meinem Leben nie brauchen würde. Dachte ich zumindest.

Wann ging bei Ihnen der Knopf auf – als Sie Ihre Wunsch-Lehrstelle nicht bekamen?

Ich hatte keine Ahnung, was ich mit dem Leben anfangen wollte. In der Sekundarschule sagten die Lehrer zu meiner Mutter: «Machen Sie sich keine Sorgen, Katja heiratet ja sowieso!» Die Vorstellung, mit 20 verheiratet zu sein und zwei Kinder zu haben, fand ich grauenvoll. Meine Mutter hatte mich mit 18 bekommen und das wollte ich auf keinen Fall.

Wie kamen Sie schlussendlich zum Journalismus?

Ich habe mal Grace Kelly mit Kopftuch an der Côte d’Azur gesehen und mir überlegt, in welchem Beruf ich so durch die Gegend fahren könnte. Journalistinnen, die sind doch immer unterwegs und auf der Suche nach guten Geschichten! (Lacht) Und da ich schon immer ein neugieriger Mensch war, rief ich bei Ringier an und fragte, wie ich Journalistin werden kann. Sie hätten eine Journalistenschule, aber dafür sei ich noch zu jung und solle doch erst einmal die Matura machen. Das habe ich auf dem zweiten Bildungsweg getan, danach vier Semester Jura studiert und in dieser Zeit über einen Talentwettbewerb auf den Radio-Geschmack gekommen. Als es bei «Radio 24» geflutscht hat, gab ich die Uni auf.

Ihr Partner Florian Inhauser ist zehn Jahre nach Ihnen zur «Tagesschau» gestossen. Wie haben Sie damals aufeinander reagiert?

Wir haben uns gut verstanden, waren uns sympathisch, aber ich war in Scheidung und er ist schon bald für vier Jahre als Korrespondent nach London gegangen. Zuerst hat es sich einfach nicht ergeben. Erst nach seiner Rückkehr 2007.

Sie werden heute zum letzten Mal die «Tagesschau» moderieren. Welche Gefühle weckt dieser Gedanke?

Ich hatte lange Zeit, um emotional Abschied zu nehmen. Vor genau einem Jahr beschloss ich, mich für die frei gewordene Stelle als Produzentin der «Tagesschau» zu bewerben. Ich dachte: Das ist die Chance, mit 57 noch einmal eine neue Herausforderung anzunehmen.

Kommen Sie in Zukunft endlich früher nach Hause?

Nein. Es sind sehr lange Tage. Ich bin vorher auf der Redaktion und während der Sendung voll beschäftigt. Ich sitze in der Regie und gebe Anweisungen, rede mit Korrespondenten. «Noch 30 Sekunden. Alles klar mit den Fragen?» Oder ich stelle die Sendung um, falls ein Beitrag ausfällt. Viertel nach acht laufe ich raus. Immerhin muss ich mich nicht mehr abschminken und umziehen! (Lacht)

Sind Sie nun die Chefin Ihres Ehemanns?

Ja, aber nur an den Tagen, an denen wir zusammenarbeiten! Natürlich diskutieren wir noch, was in der Sendung wie viel Gewicht bekommt, aber schlussendlich entscheide ich.

Werden Sie sich nach Ihrer letzten Moderation auch mit Ihrem «Uf Wiederluege» verabschieden, obwohl es kein Wiedersehen gibt?

Jetzt – in der Coronakrise – bin ich das erste Mal umgeschwenkt auf: «Bliibed Sie gsund.» Das meine ich auch so. Und wer weiss, vielleicht sage ich: «Vielleicht sieht man sich ja wieder?»

Wie ist dieser Abschiedsgruss eigentlich zu Ihrem Markenzeichen geworden?

Da ich ein sehr deutsches Hochdeutsch gesprochen habe, meinten viele Zuschauer am Anfang, ich sei Deutsche und könnte kein Schweizerdeutsch. Das «Uf Wiederluege» beruhigte sie. Als ich damit nach drei Jahren aufgehört habe und mich auf Hochdeutsch verabschiedete, kamen Anrufe und Briefe, ob mir mein Chef das «Uf Wiederluege» verboten hätte. Das dürfe nicht fehlen. Und deshalb ist es bis heute geblieben.

Stichwörter: Katja Stauber, Tagesschau, SRF

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