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Intime Einblicke

«Ja, ich date mehrere Typen»

Nach ihrer letzten und bisher einzigen Beziehung entdeckt die 25-jährige Rahel* als Single ihre Sexualität neu. 
Im dritten Teil dieser Serie erzählt die Seeländerin offen von ihren Erfahrungen und sagt, was sie gerne noch erleben möchte.

Illustration: Tiphaine Allemann
  • Dossier

Wenn ich auf mein Gefühl höre, kann ich eigentlich schon vor dem Sex sagen, ob er gut wird, oder nicht. Entscheidend ist, dass sich mit der Person, mit der man intim wird, irgendwie alles einfach anfühlt. Es darf nicht verkrampft sein und man muss ehrlich zueinander sein können. Für 
guten Sex muss man auch nicht unbedingt in einer Beziehung sein. Nein, man muss die Person nicht einmal gut kennen, solange man sich auf dieser Ebene gut versteht, reicht das. Wenn man allerdings nur halbherzig dabei ist, kann sich der Sex schlecht anfühlen, selbst wenn man beim Akt eigentlich alles richtig macht.

Ich bin jetzt etwa seit einem halben Jahr Single und seit ich nicht mehr in einer Beziehung bin, ist es sehr unterschiedlich, wann und wie oft ich Sex habe. Als ich noch mit meinem Partner zusammen war, hatten wir etwa drei- bis viermal in der Woche Sex. Jetzt passiert es vielleicht einmal in der Woche. Aber auch nur, weil ich mich aktiv um Treffen mit Männern bemühe; und das vor allem über die Dating-Plattform Tinder.

Ich denke, dass ich sexuell erfüllt bin, obwohl ich, seit ich Single bin, nicht immer genau dann Sex haben kann, wann ich gerne möchte. Ich habe, nachdem Schluss war, aber schnell neue Leute getroffen. Ich hatte immer eine gute Beziehung zu mir selbst, zu meinem Sexleben und konnte deswegen immer meinem Instinkt vertrauen. Ich bin Menschen gegenüber offen und sage auch beim Thema Sex klar, was ich möchte und was nicht. Deshalb finde ich, dass dieses Zwischenmenschliche so wichtig ist.

Bis jetzt war ich in der einen und einzigen Partnerschaft, die ich hatte, mit unserem Sexleben zufrieden, schätze aber momentan auch das Single-Dasein. In einer Beziehung lernt man den Partner sehr gut kennen und kann intime Dinge ausprobieren, an die man sich sonst nicht einfach so heranwagen würde. Das hat etwas sehr Befreiendes und fehlt oft, wenn du jemanden nur kurzfristig kennst. Andererseits ist es auch sehr spannend und aufregend, neue Leute zu treffen und neue Erfahrungen zu sammeln. Am Anfang ist es doch sowieso immer aufregender.

Ich habe regelmässig einen Orgasmus, da ich mit meinem Partner kommuniziere und sage, was ich brauche. Dennoch finde ich, dass ein Orgasmus nicht das Wichtigste ist. Wenn man merkt, dass es dem Partner Spass macht oder man ihm etwas 
Gutes tun kann, kann das alleine schon eine sehr grosse Befriedigung sein. Ein Orgasmus ist etwas sehr Schönes, aber nicht zwingend für guten Sex. Nachhelfen finde ich nicht notwendig, es kann aber auch anregend sein, etwas auszuprobieren, sei es eine neue Stellung oder verschiedene Gegenstände.

Es gibt sehr viele Sexstellungen, die ich noch nicht ausprobiert habe und noch sehr gerne versuchen würde. Je älter ich werde, desto experimentierfreudiger werde ich, was Ort und Stellung 
betrifft. Ob man jetzt in der Natur oder sonst wo ist, man probiert neue Dinge aus. Dies setzt aber 
voraus, dass ich jemanden habe, der genauso experimentierfreudig und offen ist. Mich interessiert ebenfalls, wie es sich anfühlt, mit einer Frau zu schlafen. Eine Freundin von mir ist bisexuell und hat erzählt, dass niemand so gut weiss, was eine Frau braucht und was sie will, wie eine Frau selbst. Es sei ein ganz anderes Erlebnis, wenn man mit einer Frau Sex hat. Seit jeher würde ich es gerne ausprobieren, aber nicht weil ich auf Frauen stehe, sondern weil ich gerne diese Erfahrung machen würde.

Als ich jünger war und meine Sexualität erst kennenlernte, war es schwierig, nur dann Sex zu haben, wenn ich ihn wirklich wollte. Man ist dem Partner zwar überhaupt nichts schuldig, aber es ist schwierig, in Situationen, in denen man Streit hat, diskutiert oder Druck aufeinander ausübt, zu unterscheiden, will man jetzt Sex haben oder hat man ihn nur, damit der Partner Ruhe gibt. Ich kann das jetzt unterscheiden, weil ich mich besser kennengelernt habe, aber ich konnte das nicht immer. Das ist das Schöne am Single-Dasein ist: Man hat einfach dann Sex, wenn man will. Es ist einfacher, einem Fremden zu sagen, wenn man keine Lust hat, als dem Partner in einer Beziehung. Ich hatte mit meinem früheren Freund zum Teil einfach Sex, weil ich dachte, es mache ihm jetzt Spass oder es würde ihn etwas aufheitern. Es ist schwierig, sich dieses Verhaltens bewusst zu werden.

Sex ist mir im Leben sehr wichtig, aber ich würde jetzt nicht sagen, dass es das Wichtigste in einer Beziehung ist. Es gehört für mich dazu und ist etwas sehr Schönes. Auch die Intimität zwischen zwei Menschen (oder mehreren, es gibt ja auch noch andere Beziehungsformen) ist sehr speziell, es ist etwas, das man nur mit seinem Partner teilt. Man lernt einander auf eine ganz andere Weise kennen und kann experimentieren. Ich habe das Glück, eine gute Beziehung zu Sex zu haben, es bereitet mir Freude und ich habe bis jetzt keine schlechten Erfahrungen gemacht. Ich finde auch, dass es für Frauen in den letzten Jahren einfacher geworden ist, einfach «nur Sex» zu haben. Einfach zu sagen «Oh, dieser Typ ist heiss», oder «Ich habe jetzt einfach Lust auf Sex», wird erst seit Kurzem als «in Ordnung» angesehen. Ich weiss nicht, wie es noch vor zehn Jahren war, aber ich persönlich finde, ich kann offen darüber sprechen. Ich kann als Frau zugeben, ja, ich date mehrere 
Typen und daran ist nichts Falsches.

Ich spreche vor allem mit meinen Freundinnen über mein Sexleben und wir sprechen sehr offen darüber. Das schätze ich sehr, ich finde das extrem wichtig und kann dadurch auch offener mit meinen Sexpartnern darüber sprechen. Damit können wir voneinander lernen und Erfahrungen austauschen. Man reflektiert, wann und aus welchem Grund man Sex hat, zum Beispiel in einer Beziehung. Das ist etwas, das man erst in der Retroperspektive herausfindet. Man kann über sein Verhalten nachdenken und das fände ich eher schwer, wenn ich nicht mit anderen Personen offen darüber sprechen könnte.

Ich hatte mein erstes Mal mit 18 und bis jetzt habe ich noch nicht sehr viele Erfahrungen gesammelt, doch ich denke, dass mein Sex mit der Zeit besser geworden ist. Ich schätze meine früheren Sexpartner sehr und schätze auch die Erfahrungen, aber ich trauere dem nicht nach. Ich habe noch so viel Zeit, neue und andere spannende 
Erfahrungen zu sammeln.

Ich befriedige mich gerne und regelmässig selbst. Es ist etwas sehr Wichtiges für mich, man lernt sich selber besser kennen und dadurch wird auch der Sex viel besser. Es gibt bei einer Frau viele erregende Druckstellen, die wichtig sind und diese muss man zuerst entdecken. Ich finde durch die Selbstbefriedigung heraus, wie ich zum Orgasmus komme. Dadurch kann ich auch meinem Sexpartner Anweisungen geben. Wenn ich mich selber befriedige, benötige ich eigentlich keine Hilfsmittel, obwohl es mich eigentlich ziemlich interessieren würde. Pornos schaue ich ab und zu, wer schon nicht? Aber ich finde Pornos nicht so wichtig und ehrlich gesagt auch nicht so spannend.

Die Verhütungs-Pille möchte ich nicht mehr 
nehmen. Ich hatte sie jahrelang und finde, dass man schlecht darüber aufgeklärt wird. Man weiss gar nicht, was sie für Auswirkungen auf den Körper haben kann. Im Moment benutze ich nur Kondome, was ich als sicher genug empfinde. Ich würde gerne einen Verhütungscomputer kaufen. Damit wird die Körpertemperatur gemessen und es zeigt der Frau ihren genauen Zyklus an. Man lernt damit, den eigenen Körper viel besser kennen, anstatt ihn mit der Pille durcheinanderzubringen.

Mir ist Treue in einer Beziehung sehr wichtig, ich schätze einfach diese Intimität zwischen zwei Menschen. Definieren würde ich Treue vor allem über die emotionale Bindung. Gefühle, die man gegenüber einer anderen Person entwickelt, sind für mich viel schlimmer als nur die sexuelle Anziehung oder flirten. Man vertraut sich dann jemandem an, wie man es zuvor eigentlich nur bei seinem Partner gemacht hat. Es kann ja der Fall sein, dass man jemanden heiss findet, aber da ist nichts dabei und man kann sich normalerweise auch gut zurückhalten. Untreue fängt schon an, wenn man Gefühle für eine andere Person entwickelt, die nicht nur freundschaftlicher Natur sind. Dadurch entfernst du dich emotional von deinem Partner. Sex alleine ist noch lange nicht so schlimm und darüber kann man diskutieren. Ich selber war noch nie untreu, wurde aber auch schon mit einer Situation konfrontiert, die hätte schiefgehen können. Fehler sind menschlich, aber wenn es wirklich zur Untreue kommt, dann finde ich, sollte man über die Beziehung nachdenken und darüber, ob der Ursprung nicht irgendwo anders liegt. Ich denke, ich könnte meinem Partner Untreue verzeihen. Wenn man wirklich verliebt ist, ist man zu allem fähig. Aber es kommt natürlich auf die Situation an, wie weit ging es und wieso kam es überhaupt dazu. Verzeihen ist sehr wichtig, aber verzeihen heisst auch, es danach sein zu lassen und nicht noch jahrelang darauf herumzureiten.

Monogamie als Konzept funktioniert für mich sehr gut, ich denke aber nicht, dass es für alle das Richtige sein muss. Ich merke einfach, dass ich nicht fähig dazu wäre, diese Intimität mit mehreren Personen zu teilen. Natürlich habe ich schon über eine andere Beziehungsform nachgedacht und auch mit meinem früheren Partner darüber gesprochen. Aber das heisst noch lange nicht, dass dies für mich infrage käme. Ich finde es spannend, anderen zuzuhören, die zum Beispiel eine Dreier-Beziehung führen. Es ist nicht abwegig, aber im Moment käme Polygamie für mich nicht in Frage. Eine offene Beziehung könnte ich mir eventuell eher vorstellen, da ich denke, dass Sex mit anderen Personen noch lange nicht heisst, dass man für diese Menschen auch Gefühle entwickelt. Und trotzdem: Es ist so ein schmaler Grat zwischen «nur Sex» und «Gefühle entwickeln». Ich könnte mir vorstellen, dass ich ständig misstrauisch wäre.

*Name der Redaktion bekannt

Aufgezeichnet: Fabienne Schneider

 

Intime Einblicke (Folge 3)

Die meisten von uns haben ihn – manche mehr, manche weniger. Sex ist eine der natürlichsten Tätigkeiten der Welt. Und trotzdem fällt es uns nicht immer leicht, darüber zu reden. Unter Wahrung ihrer Anonymität lassen Seeländerinnen und Seeländer in dieser losen Serie tief blicken und sprechen offen darüber, welche Rolle der Sex in ihrem Leben spielt. pam

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