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Yukon

Lästige Blutsauger und Rauch aus Sibirien

Der Sommer 2020 ist im Yukon nicht sonderlich erbaulich. Er ist eher eine Fortsetzung des kühlen und oft regnerischen Frühlings. Das hat zur Folge, dass es zwar weniger Waldbrände gibt – es begünstigt aber auch die Stechmückenplage.

Rauchschwaden zeugen von einem neuen Waldbrand, während auf dem im Vorjahr verkohlten Boden schon neues Leben keimt. Bild: Christine Mäder
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Christine Mäder

Normalerweise bleiben wir in der Stadt Whitehorse von lästigen Blutsaugern weitgehend verschont, werden doch zwischen April und August mit Helikoptern Sprühflüge unternommen. Ein Bakterium auf Maisbasis soll die vor allem in stehenden Gewässern zuhauf zu findenden Mückenlarven abtöten und gleichzeitig den Boden behandeln. Doch der kühle und feuchte Frühling führte zu einer Welle von «Spätzündern», die nach der Behandlung ausschlüpften und sich munter weiter vermehrten. Und so sind wir jetzt einer sich gierig auf Frischblut stürzenden Stechmückenplage ausgesetzt, wie wir sie sonst nur in der Wildnis draussen erleben. Alle, die beim Angeln an einem See, beim Zelten oder auf einer Kanutour mal dem Ruf der Natur folgen mussten, können ihr Leid klagen von einer Vielzahl an arg juckenden Mückenstichen auf dem Allerwertesten!

Lange Überlebensdauer in der Erde

Biologen zufolge können Moskitos im Yukon ihre Eier in der Erde ablegen, wo diese bis zu 30 Jahre lang schlummernd überleben. Ein kalter Winter mit Temperaturen von minus 40 Grad Celsius kann sie dann zur Reife animieren. Eine Fläche in der Grösse eines Gartenpools genügt, um bis zu 2 Millionen Mozzies, wie die kleinen Bösewichte bei uns umgangssprachlich genannt werden, auszubrüten. Und es dauert nicht mal eine Woche, bis die Mücken «erwachsen» sind und eine neue Generation ins Leben rufen.

Laut Curtis Fediuk, dessen Firma für die Moskitokontrolle im Yukon zuständig ist, sind die Plagegeister dieses Jahr fünf- bis siebenmal zahlreicher als üblich. Einzig eine zweiwöchige Hitzewelle würde die Stechmückenplage erheblich abschwächen, aber bisher hatten wir bloss sporadisch mal ein paar Tage mit echt sommerlichen Temperaturen.

Mindestens 33 verschiedene Spezies

Während die meisten von uns alle Mozzies ins Pfefferland wünschen, geraten Forscher wie Dan Peach von der Universität in British Columbia in Entzücken, wenn sie hier im Yukon eine neue Art entdecken. Er hat in unserem Territorium vier bisher unbekannte Spezies gefunden, was die Vielfalt der hiesigen Moskitos auf stolze 33 bringt. «Vermutlich gibt es noch einige Arten mehr, die wir bisher noch nicht gesehen haben», sagt Dan und erklärt, dass lange nicht alle Moskitos nach menschlichem Blut dürsten: «Manche bevorzugen Vögel, andere Reptilien, und eine Art ist bloss auf Amphibien aus.» Anderseits sind Mücken eine wichtige Nahrungsquelle für Fledermäuse und Libellen. Ein schwacher Trost für mich, scheine ich doch eine magische Anziehungskraft auf die lästigen Blutsauger zu haben. Was jemanden aus meinem Freundeskreis unlängst zu der wenig schmeichelhaften Bemerkung verleitete, mich in der Nähe zu haben sei besser als jede Fliegenklatsche ...

1300 Blitzschläge in einer Nacht

Im Mai hatten die Wetterfrösche uns einen wärmeren Sommer als normal mit grosser Waldbrandgefahr prophezeit. Doch weit gefehlt: 2020 wird als eines der am wenigsten von Waldbränden heimgesuchten Jahre in die Annalen des Yukons eingehen. Der kühle und feuchte Frühling und die bis auf wenige Tage sehr unterdurchschnittlichen Sommertemperaturen mit häufigem Regen hielten die Feuergefahr in Schach. Obwohl es Mitte Juni doch mal ziemlich brenzlig wurde, nachdem in einer Gewittersturmnacht über 1300 Blitzschläge gezählt wurden, die wirklich mehrere Waldbrände entfachten. Zwei der vier gemeldeten Feuer musste aus der Luft mit Wasserbomben und am Boden mit Feuerbekämpfungscrews zu Leibe gerückt werden, die anderen beiden waren weit weg von Strassen oder Gebäuden und wurden zwar aus der Ferne überwacht, aber brennen gelassen.

Bis zum 9. August wurden gerade mal 21 Feuer gemeldet, die insgesamt 151,35 Quadratkilometer Wildnisgebiet abbrannten. Kein Vergleich mit dem feuermässig sehr aktiven 2019, das von Fachleuten als eine der komplexesten und herausforderndsten Saisons der letzten 15 Jahre bezeichnet wird. 177 Feuer vernichteten 2800 Quadratkilometer Wald – ein Gebiet fast halb so gross wie der Kanton Bern.

Verjüngungskur für den Wald

Feuer verjüngt den Wald und macht Platz für neuen Wuchs, deshalb werden bei uns Waldbrände in der Regel nur aktiv bekämpft, wenn Menschen oder Gebäude gefährdet sind. Oft befreit ein Waldbrand Bäume vom Unterholz, das dessen Entwicklung behindert. Und die Asche wirkt als Dünger für den Boden. Manche Pflanzen wie die Drehkiefer (Lodgepole Pine) können sich ohne Feuer gar nicht fortpflanzen. Die von einer Harzschicht umgebenen Zapfen brauchen grosse Hitze um aufzuspringen und die Samen freizugeben.

Ein Jahr nach einem Waldbrand keimt schon einiges; das Waldweidenröschen – die offizielle Blume des Yukons – mit seinen kräftig rosa- bis lilafarbenen Blüten bietet einen faszinierenden Kontrast zu den verkohlten Bäumen, und die von Feinschmeckern begehrten Morcheln gedeihen auf Waldbrandboden besonders gut.

In den letzten beiden Juli-Tagen wurde es urplötzlich rauchig bei uns: Ein leicht grauer Schleier liess den zur Abwechslung endlich mal blauen Himmel verblassen und verfärbte die untergehende Sonne rötlich. Ein Waldbrand in unserer Nähe? «Nein», versicherte die im Yukon für die Waldbrandbekämpfung zuständige Regierungsstelle, «der Rauch stammt von den riesigen Feuern in Ostsibirien.» Ein Hochdrucksystem brachte den Rauch mit dem Wind über die Beringstrasse via Alaska in unsere Gegend. Nach rund 48 Stunden war der Spuk vorbei. Hoffentlich endgültig.

Die ungewöhnliche Hitzewelle in Sibirien, die schon im Juni Temperaturen bis zu 38 Grad Celsius bescherte, ist ein weiterer Beweis dafür, dass sich die Arktis mehr als doppelt so rasch erwärmt wie der Rest der Welt. So vermeldete die nördlichste dauerhaft bewohnte Ansiedlung auf dem 82. Breitengrad, der kanadische Militärstützpunkt Alert auf Ellesmere Island in Nunavut, Mitte Juli zwei Tage mit 21 und 20 Grad Celsius – dreimal so hoch wie die durchschnittliche Sommertemperatur von 7 Grad.

Zombie-Feuer in der Tundra

Wie Satellitenbilder zeigten, war 2019 ein aussergewöhnliches Jahr für Waldbrände nördlich des Polarkreises, sowohl in Sibirien, Alaska und Grönland wie in der kanadischen Arktis.

Problem dieser Brände in der Tundra ist, dass sie tief in den Boden reichen und durch den immer rascher auftauenden Permafrost nun CO2 in die Luft entlassen, der bis anhin während hunderten von Jahren eingekapselt war. Diese Zombie-Feuer genannten Torfbrände können unterirdisch «überwintern» und stossen rund zehnmal so viel klimaschädliches Methangas aus wie normale Waldbrände.

Die Treibhausgas-Emissionen führen zu Erwärmung und diese steigert ihrerseits die Wahrscheinlichkeit, dass der Torfmoorboden früher im Sommer trocken und dadurch viel schneller zu Brennstoff wird. Ein Teufelskreis, dem leider kaum mehr Einhalt geboten werden kann.

Info:Christine Mäder, in Biel geboren und aufgewachsen, war von 1977 bis 1993 Journalistin und Redaktorin beim «Bieler Tagblatt». 1996 wanderte sie in den spärlich besiedeltenYukon aus, wo sie heute in Whitehorse als Administrative Assistentin in der Finanzabteilung von Parks Canada tätig ist.

Stichwörter: Fernweh, Yukon, Waldbrand

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