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Chirurgie

Leiste: Problemzone mit vielen Facetten

Wer einen Leistenbruch hat, kommt oft um eine Operation nicht herum. Dabei führen verschiedene Wege zum Ziel. «Auf den Patienten, nicht auf das Verfahren kommt es an», sagt Carsten Viehl, Chefarzt am Spitalzentrum.

Es zieht, es sticht: Bei Marco Reus, Starspieler von Borussia Dortmund, gilt die Leistenregion als Schwachpunkt. keystone

Erich Goetschi

Männer mögen für viele ihrer Schwächen verantwortlich sein. Für jene im Leistenkanal können sie indes nichts. Der bis fünf Zentimeter lange Übergang zwischen Bauch und Oberschenkel in der vorderen Bauchwand gilt als so komplex wie störanfällig. Nervenbahnen, Blut- und Lymphgefässe sowie der Samenstrang verlaufen hier durch. Und auch wenn der Bereich von Muskeln und Bändern umgeben und geschützt wird, können hier Schwachstellen im Bindegewebe entstehen. «Die Leiste ist der Schwachpunkt des Mannes», sagt Carsten Viehl, Chefarzt und ärztlicher Leiter des Departements Chirurgie am Spitalzentrum Biel (SZB).

Wer bei Viehl in die Sprechstunde kommt, hat meist bereits eine gut erkennbare oder ertastbare Vorwölbung im Leistenbereich. Oder aber er hat ziehend-stechende Schmerzen, etwa nach längerem Stehen, körperlicher Anstrengung oder beim Husten. Weil die Prävention schwierig und die Zahl der Risikofaktoren hoch ist (siehe Infobox), reicht die Palette von Viehls Patienten von jung, schlank und sportlich bis übergewichtig und fortgeschrittenen Alters. Beim Geschlechterverhältnis ist die Sache aber klar: Die meisten Betroffenen sind männlich.

Zuwarten oder nicht?

Irreführend ist hingegen die Bezeichnung «Bruch». Die Verletzung gilt als Krankheit und entsteht in den allermeisten Fällen «schleichend», wie SZB-Chefarzt Viehl sagt. Das Bindegewebe in der Leistengegend reisst auf oder erschlafft. Durch die schwache Stelle der inneren Schichten der Bauchwand schlüpfen Eingeweideteile, die durch die Lücke nach aussen drücken. Die gute Nachricht: Leistenbrüche sind ausser bei Menschen mit starkem Übergewicht oder sehr straffer Bauchdecke sowie bei Kleinstbrüchen gut zu diagnostizieren. Die schlechte Nachricht: Ein Leistenbruch ist ein mechanisches Problem der Bauchdecke, das nur mittels Operation behandelt werden kann. Medikamente bewirken nichts. «Und es gibt keine Selbstheilung», sagt Carsten Viehl.

Hier beginnt die Herausforderung. Im optimalen Fall lässt sich die Ausstülpung leicht zurückdrücken (reponibel) und verursacht im Alltag keinerlei Beschwerden, was eine Operation hinauszögert oder bestenfalls überflüssig macht (siehe Infobox). Doch meist wird der Bruch langsam grösser und macht zunehmend Probleme. Dazu kommt die Gefahr der Einklemmung, die zwar selten vorkommt, aber innert Stunden irreparable Schäden am Darm verursachen kann. «Dann muss es schnell gehen», weiss Viehl aus Erfahrung. In der Regel aber ist eine Leistenbruch-Operation ein Wahleingriff.

Minimal-invasiv oder offen?

Herausfordernd gestaltet sich die Frage nach der Methode. Denn selbst wenn sich in den letzten Jahren minimalinvasive Verfahren (Schlüssellochchirurgie) mittels Kameratechnik und Netzimplantation gegenüber den offenen Verfahren mit langem Hautschnitt immer mehr durchgesetzt haben: Einen Goldstandard gibt es bis heute nicht. Chefarzt Carsten Viehl sagt: «Jeder Patient muss differenziert betrachtet werden.» Will heissen: Für einen 80-jährigen Patienten mit Herzproblemen oder einen 20-jährigen Sportler mit einem Kleinstbruch (Weiche Leiste) wird ein anderes Verfahren angewendet als für einen 40-jährigen Bauarbeiter. Auch die Empathie des Arztes ist gefragt: Der eine möchte keine Vollnarkose, der andere kein Fremdmaterial im Körper. Gut zuhören, Verständnis aufbringen, mit dem Patienten zusammen das adäquate Verfahren bestimmen, das ist dem Viszeralchirurgen Viehl wichtig. Selber aber ist er «ein Fan» der minimal-invasiven Technik mit Netzimplantation (TEP- oder TAPP-Verfahren), bei welcher der Leistenbruch mit einem Kunstoffnetz spannungsfrei verschlossen wird – was gerade bei beidseitigen Brüche «sehr Sinn» mache, wie Viehl sagt. Die Vorteile endoskopischer Chirurgie liegen auch für das Spitalzentrum Biel auf der Hand. «Sie verringert die Belastung für die Patienten, verursacht kleinere Narben und weniger Schmerzen, man erholt sich rascher und ist schneller zurück im Alltag», schreibt das SZB auf seiner Website.

Wochen oder Monate?

Generell gilt die Leistenbruch-Operation als sichere Methode und verläuft in der Regel komplikationsfrei (siehe Infobox). Die volle Belastung ist nach einem minimal-invasiven Verfahren (7 bis 10 Tage) schneller möglich als nach einer offenen Operation (mindestens 2-3 Wochen). Die Heilung erfordert aber in beiden Fällen Geduld. Der Verzicht auf Sport und schwere körperliche Tätigkeiten ist für mehrere Wochen ratsam. Auch, um das Risiko eines erneuten Bruchs (Rezidiv) zu verhindern. Einen Heilungsverlauf nach Lehrbuch gibt es aber nicht. «Man muss gut auf seinen Körper hören», sagt Carsten Viehl.

Link: www.szb.ch -> Medizinisches Angebot -> Chirurgie

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