Sie sind hier

Abo

Málaga

Málaga la Roja – hart vom Bürgerkrieg getroffen

Camilla Landbø und ihr Sohn Amaru lernen die düstere Geschichte Spaniens kennen. Vom Meer her bombardierten die Truppen des Diktators Franco die Stadt Málaga.

In der Pyramide sind die Namen der Ermordeten eingraviert: Der Historiker Miguel Tello steht vor dem Mausoleum für die Opfer der Franco-Diktatur. Bild: Camilla Landbø
  • Dossier

Camilla Landbø

L obende Worte über Francisco Franco habe ich bislang nicht gehört. Aber politische Einstellungen, die Francos Ideologie nahe sind, kommen mir gelegentlich zu Ohren. So schön Málaga ist: Wenn es um die Geschichte des Spanischen Bürgerkriegs und der Franco-Diktatur geht, läuft mir ein Schauer über den Rücken. Zumal das Ende der Franco-Ära nicht so lange her ist. Und ich frage mich: Wie sehr schwelt dieses extreme Gedankengut hierzulande weiterhin?

 

Nicht reif für die Demokratie

Wer mich aufklärt, ist Miguel Tello, der mich in meinem Garten in Málaga besucht. «Ja, in letzter Zeit hat sich der Diskurs in Spanien wieder verschärft und die Gesellschaft polarisiert. Die Politiker beschimpfen sich als ‹Kommunisten› oder ‹Faschisten› und unter Freunden können politische Debatten ausarten», sagt der Historiker. Aber das sei eine Phase. «Das wird sich wieder mässigen, die spanische Gesellschaft ist reif genug.»

Reif für die Demokratie, das war Spanien in den 1930er-Jahren jedenfalls noch nicht. Zu viele Menschen in der Bevölkerung – besonders in der Oberschicht und in kirchlichen Kreisen – wehrten sich gegen die Reformen der neu gewählten Republik, die mehr Rechte und Gerechtigkeit für alle einführen wollte. Die gute Nachricht: Málaga war eine Hochburg der Verfechter der Demokratie, sprich: der Republikaner.

«Málaga la Roja – Málaga, die Rote, so wurde die Hafenstadt damals genannt», sagt Tello. «Die Arbeiter und die Mittelschicht machten den grössten Teil der Bevölkerung aus.» Ausserdem hatten die Kommunistische Partei, die Gewerkschaften und die Anarchisten viel Gewicht und Einfluss. Spannungen zwischen Gegnern und Befürwortern der neuen Republik gehörten zur Tagesordnung.

 

In Málaga vorerst gescheitert

Dann die Wende: Im Juli 1936 putschte unter dem nationalistischen General Francisco Franco ein Teil des spanischen Militärs gegen die gewählte Regierung – nicht auf spanischem Boden, sondern in Afrika. Direkt gegenüber Málaga liegt Marokko, damals noch spanische Kolonie. Dort fing der Spanische Bürgerkrieg an, der sich dann aufs Festland ausweitete und bis 1939 dauerte. «Auch in Málaga kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Franco-Anhängern, die den Putsch unterstützten, und Republikanern», so Tello. «Doch am Ende schlossen sich dem Staatsstreich nicht genügend Leute an, und Franco scheiterte vorerst in Málaga.»

Franco. So viel gäbe es über ihn zu berichten. Verrückt, dass er schon als 15-Jähriger in die spanische Armee eintrat und im Alter von 34 Jahren der jüngste General Europas wurde. Mit einem «selbstzerstörerischen, fast selbstmörderischen Eifer» soll er sich dem Dienst gewidmet haben.

«Nun, was geschah weiter in Málaga: Nach dem gescheiterten Putsch knüpften sich die Republikaner diejenigen vor, die Franco unterstützt hatten», sagt der 56-jährige Tello. Das sei eine Zeit voller Willkür gewesen. «Sie holten diese Menschen aus ihren Häusern, darunter Geistliche, Militärs, Leute aus der Oberschicht, und brachten sie ins Gefängnis oder erschossen sie auf offener Strasse.» Da hätten die Republikaner kein Mass gehabt. Dies habe sich jedoch um ein Vielfaches gerächt. «Als Franco ein paar Monate später die Stadt Málaga doch einnahm, kam es zu unzähligen Verfolgungen und Exekutionen.»

 

Unendliche Angst

Die Geschichte Málagas während des Bürgerkriegs sei «sehr tragisch», sagt der Historiker, der für ein Buch Zeitzeugen interviewt hat. Denn in der Schlacht um Málaga im Februar 1937 traf es besonders die zivile Bevölkerung. Es kam zu einer Massenflucht. «Meine Mutter, heute ist sie 94 Jahre alt, erlebte das als kleines Mädchen mit.»

Málaga war auf dem Festland von Francos Truppen umstellt. «Und diesen Truppen gehörten mittlerweile auch Italiener und Marokkaner an. Die Grausamkeit der professionellen, marokkanischen Söldner war von früheren Kriegen in Afrika bekannt. Die Bewohner Málagas hatten unendliche Angst.» Und als immer mehr Menschen aus den ländlichen Gebieten Andalusiens in Málaga la Roja Zuflucht suchten und die Lage immer aussichtsloser wurde, brach der Widerstand gegen Franco zusammen.

«Es war ein Wahnsinn, Tausende und Abertausende Menschen flohen aus Málaga», sagt Tello. Entlang der Küste Richtung Osten, nach Almería. In dieser Hafenstadt hatten die Republikaner nach wie vor das Sagen. «Es war der einzige noch offene Weg.» Natürlich seien unter den Fliehenden auch Republikaner gewesen, die gegen Franco gekämpft hätten. «Vorwiegend marschierte aber die zivile Bevölkerung, darunter Kinder, Frauen, alte Menschen. Und das wussten die Franco-Truppen.»

 

Haare abrasiert und durchs Dorf gejagt

«Meine Mutter, ihre Schwestern und mein Grossvater packten ein paar wenige Habseligkeiten und verliessen ihr Haus am Hafen von Málaga – und liefen los.» Bis Almería seien es rund 200 Kilometer. «Die Militärs von Franco stellten der Küste entlang Kriegsschiffe in einer Reihe auf und bombardierten vom Meer her unaufhörlich die flüchtende Bevölkerung.» Tausende starben, die genaue Zahl sei unklar. «Meine Familie überlebte, sie kam rund 110 Kilometer weit, dann wurde mein Grossvater von den Franquisten festgenommen.» Paradoxie der Geschichte: In einem dieser Kriegsschiffe sass der Bruder des Grossvaters, ein Militär. Mit dessen Hilfe konnte der Grossvater später das Gefängnis verlassen und die ganze Familie wieder nach Málaga zurückkehren.

Anderen erging es weniger gut. «Gefangen genommenen Frauen etwa, denen nachgewiesen werden konnte, dass sie der Kommunistischen Partei angehört hatten», so Tello, «wurden die Haare abrasiert und das abführende Rizinusöl verabreicht, dann jagte man sie durch die Dörfer, wo sie vor der Bevölkerung den Darm entleerten.»

 

Die Wunden werden nicht heilen

Franco erklärte 1939 den Bürgerkrieg für beendet und blieb bis zu seinem Tode, 1975, in Spanien an der Macht.

Über die Opfer des Bürgerkriegs und des Franco-Regimes wurde lange geschwiegen. Erst 2007 verabschiedete Spaniens Parlament das Gesetz der historischen Erinnerung – Ley de memoria histórica. Damit begann die verspätete Aufarbeitung. «Seither macht man mithilfe der Bevölkerung Gräber in und um Málaga ausfindig, holt die sterblichen Überreste aus der Erde, identifiziert sie», sagt Tello. «An den Mauern des alten Friedhofs San Rafael mitten in der Stadt wurden beispielsweise Tausende Franco-Gegner nach dem Fall Málagas erschossen.» Die Leichen von 2840 Menschen konnten geborgen werden, sie sind nun auf dem Friedhof in einer grossen, weissen Pyramide aus Marmor aufbewahrt. Das Mausoleum wurde 2014 eingeweiht.

Viele Wunden werden nicht heilen, sagt Tello, bevor er sich verabschiedet. In den Gesprächen mit Zeitzeugen habe er von sehr traumatischen Schicksalen erfahren. Aber die Aufarbeitung der Diktatur sei für die Opfer wichtig und richtig.

Als Miguel Tello geht, bleibe ich noch eine Weile im Garten sitzen. Ja, das sonnige Málaga hat auch seine schattigen Seiten. Mir wird bewusst, dass es noch Generationen dauern wird, bis die Verbrechen der Franco-Zeit überwunden sind.

Nachrichten zu Fokus »