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Geschichte

«Mein Grossonkel 
war ein Doughboy»

Im Ersten Weltkrieg standen in den umkämpften Ländern auch Schweizer im Einsatz – zum Beispiel Ernst Danz. Er war mit der amerikanischen Armee 1918 in Frankreich stationiert. Sein Grossneffe, der Lengnauer Reto Renfer, besitzt noch dessen Uniform.

Doughboy Ernst Danz: Das Bild entstand wohl im Jahr 1917, aufgenommen in einem Fotostudio in Des Moines, Iowa. Bild: zvg

Herbert Rentsch

Der Stoff fühlt sich steif und rau an. Ein Uniformkittel, tannengrün, mit aufgenähten Grad- und Feldabzeichen. Reto Renfer legt ihn um eine Büste und zieht die Messingknöpfe behutsam durch die Knopflöcher. Nur nichts zerreissen. Immerhin ist das Kleidungsstück 100 Jahre alt.

Renfers Vorfahre Ernst Danz trug den Kittel 1918 als Soldat der amerikanischen Armee. Er diente in der 87. Division, welche damals als Teil der A.E.F. (American Expeditionary Forces) in Frankreich im Einsatz stand. «Ja», sagt Renfer, «mein Grossonkel war ein Doughboy.»

Doughboys (sprich Dauboys), das heisst Teig-Jungs. So wurden die amerikanischen Soldaten in dieser Zeit genannt, auch jene in Frankreich. Kaum bekannt ist, dass insgesamt über eine Million Amerikaner 1917/18 dort stationiert waren. Bei den Kampfhandlungen an der Westfront kam ein Teil von ihnen zum Einsatz. Das erklärt, weshalb US-Präsident Donald Trump vor kurzem an den Friedensfeierlichkeiten in Paris teilgenommen hat.


Auswanderer in der Army
Ernst Danz war einer dieser Doughboys. «Der Bruder meiner Grossmutter wanderte als junger Mann nach Amerika aus», weiss Reto Renfer. Uncle Ernest, wie er ihn liebevoll nennt, habe sich in North Dakota eine Existenz als Farmer aufgebaut und später eine Farm in Illinois gehabt. In Renfers Familie war das Schicksal des Auswanderers stets präsent. «Zwischen den Weltkriegen kam er einmal in die Schweiz. Damals hat ihn mein Vater getroffen», so Renfer. 1978 besuchte Ernst Danz‘ Sohn Roy mit der Familie die Verwandten in der Schweiz. Renfer selbst war 1986 in den USA bei Roys Familie. «Sie zeigten mir damals Pfeilspitzen von Indianern, die sie auf den riesigen Feldern ihrer Farm gefunden hatten.»

Reto Renfer (52) wuchs in Lengnau auf, beruflich arbeitet er als Maître de Cabine bei der Fluggesellschaft Swiss. Als Militärinteressierter sammelt er in seiner Freizeit vor allem Fliegerutensilien aus dem Zweiten Weltkrieg. Diesem Umstand verdankt er den Uniformrock seines Grossonkels. Denn eine Nachfahrin von Ernst Danz hatte von Renfers Hobby erfahren und liess fragen, ob er am Kittel interessiert sei. Und ob. «Das war natürlich super», sagt Renfer.

«Das Geschenk, das die Verwandten bei einem Besuch mitbrachten, weckte meine Neugierde», erzählt Renfer. Er begann daraufhin zu recherchieren und fand über die Militärzeit seines Grossonkels erstaunlich viel heraus.


Was die Uniform erzählt
Renfer zeigt auf die Uniformjacke. «Die Winkel und Abzeichen sind wie ein Spiegel seiner Jahre bei der US-Army. Sie zeigen, in welcher Einheit er Dienst leistete.» Zum Beispiel das runde Plättchen auf dem Kragen mit den zwei gekreuzten Kanonen und der Zahl 335. Renfer recherchierte im Internet in den Militärarchiven der US-Armee. «Danz, Ernest, Army number 2,114,067», steht im Personenregister. Weiter heisst es, dass er 1889 in Bern geboren wurde und in North Dakota Farmer war. Ins Militär eingezogen wurde er als 28-Jähriger im September 1917. Mit dem 335. Feldartillerie-Regiment diente er vom 1. September 1918 bis zum 5. März 1919 «overseas», also jenseits des Atlantiks, wo er am 2. Dezember 1918 zum Korporal befördert wurde. Die Archive beweisen zudem: Die 87. Division, zu der die 335er gehörten, war 1918 in Westfrankreich stationiert. Renfer: «Sie wurde damals aufgeteilt und im Zentrum Frankreichs für Logistikaufgaben eingesetzt.» In die Kämpfe eingegriffen hat die Einheit offensichtlich nicht. Doch am Tag des Waffenstillstandes befanden sich Teile der Division auf dem Weg zur Front.


Stolz auf Familiengeschichte
Der Kittel ist nicht das Einzige, was von Ernst Danz‘ Militärzeit erhalten ist. «Ich weiss, dass auch noch sein Helm existiert», so Renfer. Diesen habe er leider nicht erhalten. Immerhin besitzt der Lengnauer ein Original-Foto seines Grossonkels in Uniform: ein schlanker junger Mann, der vermutlich eben diesen Kittel trägt, der jetzt in Lengnau lagert.

Reto Renfer erzählt die Geschichte seines Grossonkels hie und da, wenn er einen amerikanischen Fluggast betreut. «Die Leute sind jeweils sehr interessiert und freuen sich.» Sein Blick geht zur alten Army-Uniform, seine Augen leuchten. «Die Historie, die daran hängt, erfüllt mich mit einem gewissen Stolz», sagt er. «Für mich ist es nicht nur ein Teil der Familiengeschichte, sondern auch ein Stück Weltgeschichte.»

Reto Renfer mit der Uniform seines Grossonkels: Die Abzeichen auf dem linken Ärmel erzählen die Geschichte seines Einsatzes (von oben): rotbraune Eichel der 87. Acron-Division; «Discharge Strip», aufgenäht bei der Entlassung aus der Army; «War Service Chevron» für bis zu sechs Monate Überseedienst. Der Korporalswinkel wurde am rechten Ärmel getragen. hr

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