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Intime Einblicke

«Monogamie macht keinen Sinn»

Der 40-jährige Ben* lebt seit 15 Jahren in einer Beziehung und hat mit seiner Partnerin zwei Kinder. Vor gut zwei Jahren haben die beiden Seeländer eine einschneidende Entscheidung gefällt: Sex mit anderen Partnern ist seither offiziell erlaubt.

Illustration: Tiphaine Allemann
  • Dossier

Aufgezeichnet: Parzival Meister

Treue bedeutet für mich, dass ich meine Partnerin und unserer Familie nicht hintergehe, dass ich immer für sie da bin. Es ist eher ein Lebensgefühl als ein reiner Verzicht auf Sex ausserhalb der Beziehung. Ehrlichkeit ist dabei zentral. Als wir uns für eine offene Beziehung entschieden haben, haben wir als Regel einzig definiert, dass wir es dem Partner offenlegen, wenn wir uns mit einer anderen Person getroffen haben. Für mich ist das sehr wichtig. Ich habe es zu oft bei anderen Paaren gesehen: Da hat einer eine Affäre, die halbe Stadt weiss Bescheid, nur die Partnerin ist ahnungslos. Da ist es mir lieber, wir reden offen darüber.

Heute kann ich sehr locker damit umgehen, dass meine Partnerin auch andere Männer trifft. Am Anfang, als wir uns dafür entschieden haben, war das nicht so einfach. Ich musste an mir arbeiten. Ich musste mich mit mir und meiner Eifersucht auseinandersetzen. Ich musste es ablegen, besitzergreifend zu sein. Bis ich die volle Akzeptanz erreichte, brauchte es mehrere Monate. Geholfen hat mir dabei meine Einstellung, dass Monogamie keinen Sinn macht. Monogamie ist nichts Natürliches, sondern etwas, das von der Gesellschaft erschaffen wurde, um die Gesellschaft in Schranken zu halten. Sie soll verhindern, dass wir abartig werden. Monogamie ist in meinen Augen ein männliches Konstrukt, das etwas Unterdrückendes hat. Es existiert, weil der Mann die Frau in Besitz haben will. Die Machos von früher jedenfalls, die haben gemacht, was sie wollten, während Fremdgehen für Frauen ein Tabu war.

Der Entschluss aber, unsere Beziehung offen zu führen, haben wir sehr schnell gefasst. Es passierte vor rund zweieinhalb Jahren, als sie mir offenbarte, dass sie eine Affäre habe. Es war nicht so, dass sie mir sagte, ihr sei ein Fehler passiert und sie habe den anderen Mann verlassen. Im Gegenteil: Sie sagte mir, dass sie das Bedürfnis danach habe und die Affäre weiterführen wolle. Natürlich war das nicht einfach für mich, aber ich habe sie deswegen nicht verurteilt, ich hatte sogar Verständnis. Denn ehrlich gesagt spürte ich dieses Bedürfnis ja auch. Ich glaube, wir beschlossen noch am selben Abend, unsere Beziehung zu öffnen.

Natürlich war dann noch nicht alles vom Tisch. Das Thema beschäftigte uns weiter, es gab viele Diskussionen und auch Streit. Und wie erwähnt brauchte es seine Zeit, bis die volle Akzeptanz da war. Aber die Grundüberzeugung, dass es so besser sei, hatten wir beide von Anfang an. Ich hatte sehr schnell das Gefühl, eine neue Freiheit in meinem Leben gewonnen zu haben.  

Ich hatte seither ein paar Mal Sex mit anderen Frauen. Das waren aber Einzelerlebnisse, keine Affären. Meine Partnerin hat sich da schon tiefer auf die Männer eingelassen.  Natürlich besteht da die Gefahr, dass sich mehr entwickeln könnte. Aber unserer Beziehung hat es bisher nicht geschadet, und mich hat das auch nicht gestresst.

Den Sex, den ich mit anderen Frauen hatte, konnte ich ohne schlechtes Gewissen geniessen. Etwas schräg ist es eher, wenn der Moment kommt, es der Partnerin zu erzählen. Da muss man einen guten Moment erwischen. Aber dann ist es sogar möglich, dass wir darüber lachen können. Ins Detail gehen wir bei unseren Erzählungen aber nicht, allzu viel möchte ich dann doch nicht darüber wissen.

Den Sex mit diesen Frauen würde ich als spannend bezeichnen. Es waren Abenteuer, der Reiz des Neuen hat es ausgemacht. Die Qualität des Aktes kommt aber nicht an den Sex heran, den ich mit meiner Partnerin habe. Ich kann sogar sagen, dass sich die Öffnung der Beziehung positiv auf unser Sexleben ausgewirkt hat. Unser Sex ist noch wilder geworden. Und irgendwie muss ich sagen, dass mich der Gedanke daran, dass sie sich auch mit anderen Männern trifft, ein wenig anmacht.

Guter Sex zeichnet sich für mich dadurch aus, dass beide voll motiviert und spitz bei der Sache sind. Guter Sex definiert sich nicht über die Länge des Aktes, wichtig ist, dass er intensiv ist. Unser Sex ist wild, wir machen nicht Liebe, wir vögeln. In den Jahren hat sich auch eine gewisse Perversität entwickelt, was uns beiden gefällt. Wir sind zwar nicht grosse Fans von Analsex, ansonsten aber probieren wir alles aus. Bei uns ist es so, dass wir beide eher darauf stehen, dominiert zu werden, uns dem Partner hinzugeben. Aber jemand muss ja die Führung übernehmen. Also wechseln wir uns da ab, gerade so, wie es sich ergibt.

In einer so langen Beziehung kann es natürlich vorkommen, dass der Sex nicht immer gut ist, dass die Leidenschaft fehlt. Im Moment aber befinden wir uns in einem Hoch. Das drückt sich auch darin aus, wie oft wir Sex haben: Läuft es gut, machen wir es drei bis vier Mal die Woche. Diese Phase kann zwei bis drei Monate anhalten und von einem Hoch in ein Tief wechseln. Da kommt es dann vor, dass wir mehrere Wochen gar keinen Sex haben.

Den markantesten Einfluss auf unser Sexleben hatten unsere Kinder. Damit ging die Spontanität verloren, und wir erlebten damals auch die grösste Durststrecke unserer Beziehung. Am extremsten war es nach der Geburt des zweiten Kindes. Da hatten wir in einem Jahr vielleicht drei Mal Sex. Aber ehrlich gesagt hat mich das damals nicht gross belastet. Ich befand mich voll und ganz in meiner Papa-Welt, irgendwie spielte der Sex da keine Rolle mehr. Die erste sexuelle Hochphase kam erst wieder, als das kleinere Kind zirka zwei Jahre alt war. Ich kann nicht mal mehr genau sagen, wie wir es aus dem Tief geschafft haben, aber es war wichtig für uns, dass es auch im Bett wieder rund lief. Sex tut der emotionalen Bindung eines Paares unglaublich gut, der Zusammenhalt wird gestärkt. Ganz allgemein finde ich, dass Sex wichtig ist im Leben. Ich würde Sex jetzt nicht als das höchste aller Gefühle bezeichnen, aber einen wichtigen Stellenwert hat er schon.

Wenn ich schaue, wie sich unser Sex im Verlauf der letzten 15 Jahre entwickelt hat, stelle ich eine grosse Veränderung fest. Am Anfang trugen wir die rosarote Brille, haben im wahrsten Sinne des Wortes eng umschlungen Liebe gemacht. Dann kam eine Zwischenphase, in der es weder verliebt noch völlig ungezügelt zu und her ging. Heute ist unser Sex einfach wild. Die Zwischenphase fand ich nicht so prickelnd. Ob nun aber das Verliebte oder das Wilde besser ist, kann ich nicht beurteilen. Beides ist auf einem ähnlichen Niveau gut. Beim Verliebten ist es halt aber so, dass man das nicht ewig haben kann. Aber das Wilde, das entwickelt sich weiter. Unerfüllte Fantasien habe ich eigentlich nicht. Klar, da gibt es die Vorstellung eines Dreiers, aber das ist eher ein Wunsch, den ich mir ausserhalb der Beziehung erfüllen will. Zu zweit sind wir auf einem sehr guten Level und ich kann sagen, dass ich sexuell ziemlich erfüllt bin.

*Name der Redaktion bekannt
 

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